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Der Winter des Patriarchen

■ UdSSR-Kuba oder das Ende einer sozialistischen Utopie in den Tropen

DOKUMENTATION

Nur ganz selten noch hört man in Moskau die so melodische Sprache der Kubaner. Viele kubanische Studenten der Lumumba -Universität und anderer höherer Lehr- und Ausbildungszentren wurden in ihre Heimat zurückgeschickt. Für das kommende Jahr ist der Andrang von Studenten und Spezialisten für Moskau, Leningrad und andere Städte drastisch reduziert worden. Die Angehörigen der kubanischen Botschaft verlassen unsere Hauptstadt mit dem Stigma „ich war während der Perestroika nach Moskau entsandt“ - was wirkliche Beschränkung bedeutet, wenn sie in ihrer Heimat neue Arbeit suchen. Diese Leute „sind angesteckt von den Ideen der Perestroika“, und sie sind womöglich gefährlich für die kubanische Führung, die die reformerischen Ideen der UdSSR nicht teilt, noch viel weniger aber die „Rückkehr zum Kapitalismus“ der osteuropäischen Länder (Fidel Castro). Doch das sind nur die oberflächlichen Züge der Abkühlung, wenn nicht der Krise, in den kubanisch-sowjetischen Beziehungen.

Weg mit „Ich bestimme und befehle“

Die Politik Gorbatschows ist darauf gerichtet, das überfällige sozialistische System des „ich bestimme und befehle“ abzuwracken, zur Marktwirtschaft überzugehen, die Kooperation mit dem Westen zu erweitern, radikale politische Reformen durchzusetzen, das Mehrparteiensystem und Wahlen mit echten Alternativen einzuführen, die Außenpolitik zu entideologisieren und zu entmilitarisieren, und das gilt auch für die entsprechenden Abstufungen gegenüber der Dritten Welt (Regionalkonflikte).

Fidel Castro lehnt den Markt und andere Attribute des Kapitalismus ab, verdammt weiterhin das „verfluchte Geld“, nimmt keinerlei Angriff auf das Monopol der an der Macht befindlichen kommunistischen Partei hin. Er will weiterhin die „internationalistische Pflicht“ erfüllen, Revolutionen in der Dritten Welt zu unterstützen. Mit dem Geist eines Messias, der ihm innewohnt, sagt er, das kubanische Volk wurde dazu auserwählt, einziger „Bannerträger des Sozialismus“ auf der Welt zu sein. „Sozialismus oder Tod!“ - so lautet nach Fidel die Sehnsucht seines Volkes.

Die Wurzeln der gegenwärtigen ideologischen und politischen Diskrepanzen zwischen der Sowjetunion und Kuba gehen sehr tief. Sie sind darauf zurückzuführen, daß die kubanische Führung - trotz wirtschaftlicher, politischer und militärischer Abhängigkeit von der UdSSR - stets eine weitgehende politische Autonomie für sich beansprucht.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Behauptung Fidel Castros, wonach „der Sozialismus nicht mit der siegreichen Roten Armee nach Kuba kam, wie dies in den osteuropäischen Ländern der Fall war“, daß er vielmehr Ergebnis eines schweren, eigenständigen Kampfes der von ihm geführten Guerilla war und sich auf nationale, lateinamerikanische Traditionen stützte.

Man muß dann aber auch zugeben, daß die Führer der kubanischen Revolution - unter den höchst ungünstigen Bedingungen der totalen Blockade durch die Vereinigten Staaten und nach der gescheiterten Invasion von 1961 - ihre Blicke auf die UdSSR richteten und dies ihre politische und ideologische Option definitiv bestimmte: für den Sozialismus. Ebenso klar ist aber auch, daß die kommunistische Ideologie, die eben nicht ohne praktische Absichten verkündet wurde, einem zwischen Kuba und der UdSSR verabschiedeten politisch-militärischen Pakt als Banner diente. Beide Seiten waran daran interessiert. Kuba traf auf einen starken Verteidiger im Besitz von Atomwaffen. Die sowjetische Führungstruppe (zu Zeiten von Chruschtschow und danach von Breschnew) erhielt einen bequemen Stützpunkt für ihre Expansion auf den fernen amerikanischen Kontinent und die ersehnte Chance, sich mit einer Faust an der Brust der USA festzukrallen. Aber schon die Krise in der Karibik zeigte die Gefahren dieses Kalküls.

Trotz alledem wurde der politisch-militärische Pakt zwischen Kuba und der Sowjetunion - nach einer durch den Abzug der sowjetischen Raketen bedingten Abkühlung in den Beziehungen beider Staaten - in den 70er Jahren verstärkt und trug seine bitteren Früchte. Unter Ausnutzung der Parole von der sogenannten internationalen Hilfe für die revolutionären Freiheitsbewegungen wurde - beiderseits eine Expansion in Richtung Dritte Welt geboren: 1975 in Angola und 1978 in Äthiopien. Die Führungstruppe von Breschnew zahlte die Waffen und sorgte für sowjetische Berater. Kuba seinerseits schickte Truppen: 50.000 Soldaten nach Angola, 20.000 nach Äthiopien.

Die ökonomischen Früchte des sozialistischen Experiments in Kuba waren nicht weniger bitter. Ein ineffektives Wirtschaftssystem, das die miserablen sowjetischen Muster auch noch kopierte (das überfällige System des ich bestimme und befehle, eine vollkommene staatliche Monopolisierung und Zentralisierung, die keinerlei Initiative von unten erlaubt), konnte nicht einmal die schlichte Reproduktion ohne breite und ununterbrochene auswärtige Hilfe garantieren.

Die UdSSR mußte jährlich rund eine Milliarde Rubel zahlen, und die Schulden Kubas gegenüber der UdSSR stiegen auf nahezu 15 Milliarden Rubel. Beide Seiten bedienten sich einer dubiosen ökonomischen Praxis: die UdSSR kaufte an die 4,5 Millionen Tonnen kubanischen Zucker zu Preisen, die um das Doppelte oder Vierfache über dem Weltmarkt lagen, und verkaufte Erdöl zu sehr niedrigen Preisen an Kuba, gab dem Land damit die Möglichkeit zum Wiederverkauf des Erdöls zwecks Devisenbeschaffung, die wir selber so nötig haben. Es ist also kein Zufall, wenn sich jetzt im sowjetischen und im Parlament der russischen Föderation neugewählte Deputierte gegen diese unselige Politik aussprechen.

Die Perestroika in der UdSSR, die Neuorientierung von Gorbatschows Außenpolitik von der Konfrontation zur Kooperation mit dem Westen und der revolutionäre Wandel in Osteuropa setzen für die künstlichen Beziehungen zwischen Kuba und den Comecon-Mitgliedern einen Endpunkt.

Gesucht wird:

ein Sündenbock

Um nun die ganze Wahrheit zu sagen: es muß ein Zeichen gesetzt werden, denn Kuba mit seiner hochgradig militarisierten Gesellschaft stellt einen destabilisierenden Faktor in der zentralamerikanischen Region und der Karibik dar. Vergessen wir also nicht, daß Kuba - neben dem an der Bevölkerung gemessen zahlenmäßig größten Heer in ganz Lateinamerika - eine Million (10 Prozent) seiner Bürger in über das gesamte nationale Territorium verteilten Reserve -Divisionen organisiert hat.

Selbstverständlich sucht das kubanische Regime einen Sündenbock, um all seine Fehler zu rechtfertigen und um die Tatsache nicht anerkennen zu müssen, daß die revolutionäre Utopie in die Krise geführt hat, um nicht zu sagen: in die nationale Tragödie. Vielleicht läßt sich diese Situation ja noch verlängern durch Ausgangs-, sprich Ausreisesperre und indem man eine psychotische Atmosphäre schafft angesichts einer Invasion aus dem Norden. Aus hiesiger Sicht besteht die Gefahr einer Invasion nicht, wenn man die gegenwärtige sowjetisch-nordamerikanische Annäherung betrachtet und das allgemeine Klima der internationalen Entspannung. Die Zukunft gehört schon nicht mehr den Militärs, aber auch nicht den utopistischen Politikern. Die Zukunft wird geprägt von den Kräften, die fähig sein werden, den politischen Dialog zu führen, die zu vernünftigen Übereinkünften kommen für das Leben im allgemeinen und für den Fortschritt der Zivilisation.

Wie viele dünkelhafte Dogmen haben vorgegeben, die objektive Wahrheit zu bestätigen, und sind zusammengebrochen, weil sie mit der Wirklichkeit zusammenstießen! Und wie viele Menschenleben haben sie gekostet! Wir vertrauen darauf, daß wir uns in allernächster Zukunft von weiteren Dogmen befreien; besser gesagt: wir müssen uns von ihnen befreien, um überleben zu können.

Irina Zorina

Die Autorin ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Der Text (leicht gekürzt) erschien in der Madrider Zeitung 'El Pais‘. Übersetzung: Anna Jonas

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