: Knigge, Knete, Katastrophen: Memoiren eines Erfolglosen
■ Fußball-Zweitligist Blau-Weiß 90 wird 100 Jahre alt und bekommt als Geburtstagsgeschenk trotz schlechter Zukunftsaussichten doch noch die Lizenz
Tempelhof. Ausgerechnet die Jubelfeier zum 100. Geburtstag wäre beim Fußball-Zweitligisten Blau-Weiß 90 beinahe als Begräbnis über die Bühne gegangen. Nur mit Ach und Krach, doch unter strengen Auflagen erhielt die Profiabteilung der „Sportlichen Vereinigung“ am Freitag die Lizenz zum Bolzen. Ob jedoch unter den Blau-Weiß-Mitgliedern ein Sturm der Entrüstung entbrannt wäre, hätte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Schriftstück verweigert - dies darf bezweifelt werden.
Der Klub von der Rathausstraße zählt nicht zu den schillernd-verruchten Erscheinungen des Fußball-Business. Wie Germania 88 oder Viktoria 89, allesamt Aushängeschilder der urzeitlichen teutonischen Fußlümmelei, so standen auch die Blau-Weißen lange Zeit den neumodischen Tendenzen des Sports skeptisch gegenüber. Blau-Weiß 90, das während des Zweiten Weltkriegs seine sportliche Hochzeit hatte, trat aus dem Rampenlicht, als Vereine wie Hertha BSC, Tennis Borussia oder Tasmania 1900 mit aller (Finanz-)Gewalt nach oben durchstarteten. Was den Mariendorfern blieb, war die Traditionspflege sowie eine vorzügliche Nachwuchsarbeit. „Die hat sich für uns nie ausgezahlt“, grantelte Vorsitzender Manfred Kursawa, bevor er die gebeutelte Berliner Fußballfamilie mit einer ungeheuren Neuigkeit schockte: „Wir wollen in den bezahlten Fußball“, drohte Kursawa, nachdem seine Spieler gerade Meister der viertklassigen Landesliga geworden waren. Dies war in der Saison 1982/83. Zwei Jahre späte spielte der heutige Jubilar tatsächlich in der Zweiten Liga - dank der Nürnberger Agentur Härtfelder und deren zwielichtigem Manager Kropatschek. Kropatschek holte gealterte Profi-Kicker und hoffnungsvolle Talente an die Spree und band sie vertraglich an seine Werbeagentur. Ein Deal, der den Verein fast ruiniert hätte. Dezember '85 trennten sich die Wege des einstigen Erfolgsgespanns. Blau-Weiß 90 peilte mit Erfolg die 1.Bundesliga an, die Agentur Härtfelder allerdings geriet wegen ihrer Machenschaften zum Fall für den Staatsanwalt.
Obwohl Blau-Weiß im Nürnberger Hans Maringer einen potenten Sponsor fand, ging es deutlich bergab. Dem einjährigen Bundesligagastspiel 1986/87 folgten Routinegänge vor dem Wirtschaftsausschuß des DFB. Immer wieder monierten die Fußballgewaltigen einen zu hohen Blau-Weiß-Etat, der auf unrealistischen Zuschauererwartungen basiere. Aber immer wieder erteilte das Gremium die Erlaubnis zum Weiterspielen. 1988 sollte alles besser werden. In einer Nacht- und Nebelaktion unterschrieben Kursawa und sein Kollege Norbert Eckert von Tennis Borussia einen Fusionsvertrag. Die blau -weiße Basis murrte. „Dann lieber wieder in die C-Klasse“, war in einer hitzigen Vollversammlung zu hören. Das Mariendorfer Fußvolk, im Stadion ein Völkchen wie aus dem Knigge, lief Sturm gegen die vermeintliche Preisgabe der Vereinsgeschichte. Es hatte wohl vergessen, daß auch Blau -Weiß 90 nur ein Fusionsprodukt aus den Klubs Vorwärts 90 und Union 92 (Deutscher Meister von 1905!) ist, die 1927 gemeinsame Sache machten. Dennoch: Die Verschmelzung zwischen Blau-Weiß und TeBe fand nicht statt.
Die kommende Spielzeit hat es fraglos in sich: Die „alte Dame“ Hertha BSC ist zu neuem Leben erwacht und wird die Massen in hellen Scharen ins Olympia-Stadion locken; jenseits der Spree spielt DDR-Oberligist FC Berlin. Vorsorglich weicht der vormalige Stasi-Klub den Hertha -Terminen aus. Wo bleibt da noch Platz für die zweitklassige „Sportliche Vereinigung“ aus Mariendorf? Höchstwahrscheinlich nur wieder auf dem Arme-Sünder-Bänklein vor den Wirtschaftsprüfern des DFB.
Jürgen Schulz
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