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„Die Stimme der Völker für den Wandel“

■ Parallel zum Weltwirtschaftsgipfel trafen sich in Houston Ökonomen und Umweltaktivisten zu einem Alternativ-Gipfel

Aus Houston Rolf Paasch

An Selbstvertrauen mangelt es ihnen nicht mehr. „Willkommen zum wirklichen Gipfel“, so begrüßte der Vorsitzende des diesjährigen „Alternativen Wirtschaftsgipfels“ die rund 500 Angereisten aus aller Welt im Saal des „Astro Village„ -Hotels in Houston. „The Other Economic Summit“ oder kurz TOES genannt, war den gipfelgeilen Chefs der sieben führenden Industrienationen in der Ölmetropole von Texas zuvorgekommen. George Bush schlief noch an Bord der „Air -Force-One“ auf dem Weg vom Londoner Nato-Treffen zum Houstoner Wirtschaftsgipfel seinen Abrüstungs-Rausch aus, da diskutierten die TOES-Teilnehmer in seiner Heimatstadt schon zukünftige Probleme der globalen Ökonomie. Zum sechsten Mal seit dem ersten Alternativ-Gipfel 1984 in London standen in Houston die Themen auf der Tagesordnung von TOES, die ab Montag beim Zusammentreffen der Industrieländer-Fürsten mit Sicherheit nicht zur Sprache kommen werden.

„Die Stimme der Völker für den Wandel“, so das Banner hinter der Rednertribüne, sollte in den drei Sitzungstagen bis zum Sonntag Gehör finden. Und gleich nach den Eingangssongs eines bunt völkergemischten Kinderchors traten die eingeladenen Führer der auf dem G-7-Gipfel Stimmlosen ans Rednerpult. Cuanhtemoc Cardenas, als Kandidat der „demokratischen Revolutionspartei“ Mexikos trotz Wahlbetrügereien beinahe Präsident geworden, sprach sich gegen die letzte Woche von George Bush vorgeschlagenen Freihandelszone zwischen den USA und Mexiko aus.

Alberto Carvajal, Generalsekretär der kolumbianischen Einheitspartei, berichtete vom Achtungserfolg der linken demokratischen Allianz bei den jüngsten Wahlen. Und auch „Lula“ da Silva, brasilianischer Volksheld und Beinahe -Präsident gab sich nach der für Brasilien „verlorenen“ für die kommende Dekade optimistischer. Das erste Treffen der linken Parteien Lateinamerikas in Sao Paulo, von dem er gerade komme, sei ein Anzeichen dafür, daß sich die Linke aus ihrer Isolation löse und zusammen mit den demokratischen Parteien auf eine Schuldenreduzierung hinarbeiten wolle.

Der Botschaft von politischen Bewegungen in Teilen Lateinamerikas folgte allerdings eine durch und durch deprimierende Bestandsaufnahme aus den sieben ärmsten Ländern dieses Planeten, wo das durchschnittliche Jahreseinkommen unter 500 Dollar liegt. Hätten die zur gleichen Zeit in den Hotels von Houstons Downtown eintreffenden 4.000 Journalisten den Beschreibungen von Vertretern aus Bangla Desh, Guatemala oder Puerto Rico auf diesem Gipfel der Armen zugehört, dann wäre ihnen wohl die europa-zentrierte Thematik des Wirtschaftsgipfels übel aufgestoßen. Doch soviel Aufmerksamkeit vermögen die TOES -Organisatoren noch nicht auf sich zu lenken.

Wie alle Jahre wieder wurden die Ausrichter des Alternativgipfels auch in Houston wieder medial ignoriert, vor allem von der US-Presse. Dabei ist aus dem einst amateurhaft inszenierten Treffen von Alternativ-Ökonomen, Dritte-Welt-Aktivisten, Umweltgruppen und Bewegten aller Art längst ein Forum für durchaus anspruchsvolle inhaltliche Debatten geworden. Waren die Workshops 1985 in London noch von wohlwollendem Dilettantismus geprägt, so traf sich in Houston in diesem Jahr die Alternativ-Elite in Sachen Dritte Welt und Umweltpolitik. Auch diesmal waren die Themen weit gestreut, vom Öko-Feminismus über „Gandhian Economics“ bis hin zum Portrait des Veranstaltungsorts Houston als „Mikrokosmos des Nord-Süd-Konflikts“.

Doch hat sich das geflochtene Netzwerk zwischen den verschiedenen Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen, zwischen engagierten Akademikern in den westlichen Laendern und progressiven Politikern und Aktivisten vor Ort in der Dritten Welt als Resultat vergangener Treffen verdichtet. TOES war auch diesmal wieder ein kunterbunter Jahrmarkt alternativer Ideen, doch scheint der Wille und vielleicht auch der Druck, darüber hinaus zu politischem Handeln zu finden, größer geworden. Nirgends wurde dies deutlicher, als in den Diskussionen über die sogenannte Uruguay-Runde des Internationalen Handels und Zollabkommens (GATT), die bis zum Dezember zum Abschluß gebracht werden muß. Denn nicht im Scheinwerferlicht des Houstoner Wirtschaftsgipfels, sondern hinter den Kulissen in Genf wird bei der dort verhandelten Neuformulierung des „General Agreement on Tariffs and Trade“ über das wirtschaftliche Schicksal der Mehrheit der Weltbevölkerung entschieden.

„Wenn sich die USA und die ürigen Industrieländer dort mit ihren gegenwärtigen Vorschlägen zur Liberalisierung des Welthandels durchsetzen“, so läutete Martin Khor, Vize -Präsident von „Friends of the Earth“ und Koordinator der Regenwald-Bewegung in Malaysia, auf dem TOES-Treffen die Alarmglocken, „ist für die Entwicklungsländer das endgültige Ende ihrer Souveränität gekommen.“ Die ebenfalls von den Industrieländern angestrebte Erweiterung des sich bisher auf Güter beschränkenden GATT-Abkommens auf Investitionen, Dienstleistungen und geistiges Eigentum käme einer Zwangsöffnung der Dritten Welt für das ausländische Kapital gleich. Vor allem in der Umweltpolitik würde die Einführung des totalen Freihandels den Ölexporten Tür und Tor öffnen.

Wenn in den Workshops unter dem Motto „Neue Perspektiven für die Ökologie und Ökonomie“ eines klar wurde, dann war dies der Widerspruch zwischen dem „Grünen Trend“ in der industrialisierten Welt und dem „Liberalisierungstrend“ im Welthandel. Was sich für die Industrieländer wie im Giftmüllexport wunderbar ergänzt, droht in der Dritten Welt die Umweltkatastrophe zu beschleunigen.

Es war nicht von ungefähr, daß nach diesem Nachhilfe -Unterricht in Sachen GATT die ausgezeichnete Studie eines indischen Journalisten über die versuchte „Rekolonisierung der Dritten Welt“ durch das neue Handelsabkommen am Bücherstand bald vergriffen war. Wenn das TOES-Treffen in Houston mit seiner Forderung nach einem „fairen Welthandel“ nun den Anstoß für eine politische Kampagne gegen die Liberalisierungspläne des Westens bei der „Uruguay-Runde“ geben könnte, dann hätte der Alternativ-Gipfel schon seine Schuldigkeit getan. Auch ohne daß die Vertreter der Weltpresse hiervon Notiz genommen hätten.

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