piwik no script img

SPD: Listenplätze für Bündnis 90

■ Polit-Kosmetik und fiese Taktik um die Fünf-Prozent-Hürde / Bürgerbewegungen ziehen Grüne vor / Seiters: Entscheidung über Wahlrecht hängt von DDR ab / Vogel: Hauptstadt nicht festschreiben

Berlin (afp/ap/taz) - Im Streit um ein einheitliches oder getrenntes Wahlrecht hat die SPD am Wochenende eine neue taktische Variante aus der Klamottenkiste gezogen. Die Ost und West-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel und Wolfgang Thierse, beides harte Vertreter der Fünf-Prozent-Hürde, boten dem Bündnis 90 Listenplätze bei den gesamtdeutschen Wahlen im Dezember an, in dem offenkundigen Bemühen, nicht als diejenigen dazustehen, die die Bürgerbewegungen und Aktivisten der ersten Stunde ausgrenzen.

In einer ersten Reaktion auf diesen Vorschlag sagte der Sprecher der Volkskammerfraktion Bündnis 90/Grüne, Florian Engels, am Freitag, im Falle eines einheitlichen Wahlrechts für die BRD und DDR sei an eine Kandidatur unter dem Dach der bundesdeutschen Grünen auf einer einheitlichen Liste, aber ohne vorherigen Parteizusammenschluß gedacht. Engels schloß nicht aus, daß einzelne Parlamentarier auf das SPD -Angebot eingehen könnten, allerdings seien derarige Ambitionen bislang nicht bekannt.

Thierse sprach sich nachdrücklich für einen Beitritt der DDR zur BRD noch vor den Wahlen und ein einheitliches Wahlrecht mit Fünf-Prozent-Hürde aus. Er kündigte „harte Verhandlungen“ mit der CDU in dieser Woche an. Er verwies darauf, daß auch die FDP in der DDR für ein einheitliches Wahlrecht eintrete. Der CDU hielt er vor, „eine Rettungsaktion für die DSU zu unternehmen“ und die PDS ins gesamtdeutsche Parlament hieven zu wollen, um der SPD zu schaden. „Ich finde das eine höchst fiese Taktik“, sagte Thierse in einem Interview des Saarländischen Rundfunks.

Der Bonner Kanzleramtsminister Rudolf Seiters verschob das ganze Problem in Richtung DDR. Die Entscheidung über die Modalitäten der gesamtdeutschen Wahl hänge in erster Linie von der DDR ab, erklärte Seiters am Sonntag in einem Interview des Süddeutschen Rundfunks. Die Chancen einer Einigung beurteilte er optimistisch. Ein wichtiger Gesichtspunkt sei, welche Vorstellungen die DDR im Rahmen der Verhandlungen über den zweiten Staatsvertrag entwickele. Bezüglich der Vorstellung von Ministerpräsident Lothar de Maiziere, daß zunächst die Wahl stattfinden müsse und unmittelbar danach der Beitritt nach Artikel 23 erfolgen werde, habe er verfassungsrechtlich keine Probleme. Das setze aber zwei Wahlgesetze und zwei getrennte Wahlgebiete vorraus.

De Maiziere hatte am Freitag dafür plädiert, den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik erst am Tag der Konstituierung des gesamtdeutschen Parlaments wirksam werden zu lassen. In einem Interview mit dem ZDF wandte er sich erneut gegen einen Beitritt vor der Wahl, da es sonst für einige Zeit keine für ganz Deutschland legitimierte Regierung gegen würde.

Ab dem morgigen Dienstag werden die Ministerien beider Staaten über einzelne Fragen des „Einigungsvertrag“ getauften zweiten Staatsvertrags verhandeln. Strittig ist nach wie vor auch noch die Frage, ob die künftige Hauptstadt in dem Vertrag festgeschrieben werden soll.

Der SPD-Vorsitzende Vogel sprach sich gegen die Forderung seines Parteikollegen Walter Momper nach Festschreibung aus. Das liefe auf eine Ja- oder Nein-Situation hinaus, bei der die Hauptstadtfrage nur ein Anhängsel wäre, erklärte Vogel in einem Interview der 'Bild'-Zeitung (Montagausgabe). Entscheiden solle darüber vielmehr das neugewählte Parlament. Vogel tritt allerdings wie auch Momper für Berlin als Hauptstadt ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen