: Massaker in Mosambik
■ Einhunderttausend Tote und wir unterstützen sie
Wenn Sie gerne einmal sehen würden, wie Freiheitskämpfer die Linken mal so richtig aufmischen, dann gibt es dafür im Augenblick kaum einen geeigneteren Ort als Mosambik, das sich selbst als einen marxistischen Staat bezeichnet. Ich komme gerade von einem Besuch dieses Landes zurück.
Mozambique ist etwa doppelt so groß wie Kalifornien. Zur Zeit gibt es dort ausreichend Regen. Das Land verfügt über die längste Küstenzone aller afrikanischen Staaten und eine Bevölkerung, die halb so groß ist wie die von Tokio.
Man braucht nur eine Linienmaschine der South African Airways zu nehmen, die einen in die Hauptstadt Maputo bringt. Das ist etwa so, als wenn man von Chicago nach Detroit fliegt. Dann chartert man sich ein kleines Flugzeug, um eines der Dutzende von Flüchtlingslagern für die Kommies zu besuchen.
Vergessen Sie Avis oder Hertz. Die Freiheitskämpfer haben alle Straßen vermint und die meisten der Brücken in die Luft gejagt. Außerdem würden sie jedes Fahrzeug, das ihnen vor die Zielgeräte kommt, durchlöchern wie einen Schweizer Käse, natürlich auch jedes Boot oder jedes tieffliegende Flugzeug.
Sie können gar nicht anders, denn schließlich könnte es sich dabei um einen Transport von Lebensmitteln oder Kleidung oder medizinischen Gütern für ihre Feinde, die kommunistischen Flüchtlinge, handeln.
Sie nennen sich selbst die Nationale Widerstandsbewegung von Mosambik oder kurz Renamo. Ursprünglich von den weißen Rhodesiern und südafrikanischen Idealisten ausgebildet und ausgerüstet, haben sie seit 1976 dem Rest der Welt gezeigt, wie eine Handvoll Söhne der Freiheit in einem sehr armen Land mit einer schwachen Armee mehr als eine Million Bauernfamilien in die Städte und Dörfer vertreiben können, wo sie keine Möglichkeiten haben, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, und statt dessen über eine Luftbrücke mit Nachschub versorgt werden müssen - mit dem Erfolg, daß sie jetzt am Verhungern sind.
Die Bauernfamilien haben ihr Schicksal ohne Zweifel verdient, denn sie haben ihre Regierung nicht davon abgehalten, sich im Jahre 1975, als Mosambik unabhängig wurde - dem gleichen Jahr übrigens, in dem wir aus Vietnam verjagt wurden -, offiziell als marxistische Regierung zu bezeichnen.
Vielleicht haben sie wirklich angenommen, die Freie Welt würde ihnen das einfach tatenlos durchgehen lassen. Auf jeden Fall haben sie es zugelassen, daß ihre Regierung sich für das Böse statt für das Gute entschieden hat, und deswegen können sie jetzt auch niemandem einen Vorwurf machen außer sich selbst.
Auch nicht korrupter als die Behörden von Boston
Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, daß die meisten von ihnen noch nie etwas von Karl Marx oder Moskau gehört haben. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, daß ihre Regierung gegenwärtig bemüht ist, ein gemischtes Wirtschaftssystem einzuführen und nach Auskunft des amerikanischen Journalisten William Finnegan, der zwei Jahre lang das ganze Land bereist und seine Erkenntnisse im letzten Mai in einem zweiteiligen Bericht im 'New Yorker‘ veröffentlicht hat, auch nicht korrupter ist als sagen wir die Behörden von Boston.
Die Renamo wird nie und nimmer aufgeben, solange sie noch ausreichend Munition besitzt.
Ich war auch in Biafra während des nigerianischen Bürgerkriegs vor einigen Jahren, aber welche moralische Lektion hätte ich lernen können aus dem Anblick der streichholzdünnen Glieder und der schwarzen Kinder, die dank Eiweißmangels auch ohne Anwendung von Wasserstoffperoxid erblondet waren.
Keine der beiden Seiten in dem Konflikt war marxistisch orientiert, deswegen konnte man auch niemanden als Freiheitskämpfer bezeichnen. Es ging ganz einfach nur um Erdöl.
Mit welcher Erleichterung kommt man dagegen nach Mosambik, wo das Hungern der Menschen einen Sinn hat und etwas ist, was man nach Hause schreiben kann.
Und genau das mache ich jetzt. Ich schreibe nach Hause.
Nach Auskunft unseres Außenministeriums hat die Renamo allein während der letzten Jahre rund 100.000 Menschen getötet. Etwa zehn Prozent davon waren Kinder, die in den Busch getrieben wurden, wo sie ganz einfach verhungerten, ehe sie ein Flüchtlingslager erreichen konnten.
Wer sagt denn, daß die Demokratie überall nur verliert?
Und die Bescheidenheit der Freiheitskämpfer ist überaus bewundernswert. Sie sind nicht so vermessen, Gebiete regieren zu wollen, in denen sie sich darauf beschränken, die von ihnen gefangenen Zivilisten als Lastenträger oder als Zielscheiben oder wofür auch immer zu benutzen und Schulen und Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen niederzubrennen, die naive Menschen glauben machen könnten, daß eine sozialistische Regierung auch Vorteile habe.
Und wer unterstützt die Feinde der Freiheit, die Flüchtlinge? Viele Amerikaner tun das, ohne es zu wissen, wenn sie dem Internationalen Roten Kreuz oder Care oder einer der vierzig anderen wohlmeinenden Hilfsorganisationen, die dort arbeiten, Geldspenden zukommen lassen, damit sie diesen Menschen ganze Flugzeugladungen von Getreide schicken können - mit einem Aufwand von rund einem Dollar pro Pfund!
Schreiben Sie an Ihren Kongreßabgeordneten.
Kurt Vonnegut Übersetzung: Hans Harbor
Aus: 'The New York Times‘ vom 14.11. 1989
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