„Tut mir leid für den Rest der Welt“

■ ... sagte Intimchef Beckenbauer nach dem Gewinn der begehrtesten Fußballtrophäe der Welt / Die Mannschaft der Bundesrepublik bezwang im Weltmeisterschafts-Endspiel in Rom durch einen Foulelfmeter von Brehme, sechs Minuten vor Spielende, Argentinien mit 1:0

Wochenlang haben sie nun auf diesen einen Moment hingearbeitet und wohl noch länger davon geträumt. Und als er dann da ist, wissen sie gar nicht so recht wohin mit ihrem Glück. Rennen von einem zum nächsten, liegen sich in den Armen und auf dem Boden übereinander. Was kann man denn schon machen, wenn man gerade Weltmeister geworden ist?

Viel Zeit haben sie sowieso nicht, ihrem Taumel freien Lauf zu lassen. Schon sind sie Opfer des offiziellen Programmteils „Ehrung“. Aus den Katakomben steigen weißgewandete Frauen, das Haupt dekoriert mit Nachbildungen antiker Stätten. Das Licht wird gelöscht, und rote bengalische Feuer entflammen, Punktstrahler kreiseln über das Publikum: Leni Riefenstahl in Cinecitta.

Nehmen sie überhaupt wahr, wohin sie geraten sind? Kaum, denn während oben FIFA-Präsident Joao Havelange und die anderen Honoratioren an die argentinische Mannschaft Medaillen verteilen, während immer wieder ein wütendes Pfeifkonzert das Bild von Diego Maradona auf den zwei großen Monitoren begleitet, stehen sie auf der Aschenbahn im Kreis und hüpfen wie eine ausgelassene Singegruppe. Viel zu lange dauert das Warten und Händeschütteln, 20 Minuten fast, bis Matthäus als erster den Pokal in den Händen hält. Jetzt können sie wieder los, laufen, verfolgt von einem Pulk von Fotografen, die obligatorische Runde, reichen das vergoldete Ding von Hand zu Hand. Und mitten auf dem verdunkelten Platz, am Anstoßkreis, steht alleine ihr Trainer.

Diesmal ist Franz Beckenbauer nicht ausgeflippt, diesmal hat er nicht die Arme hochgerissen und sich den Druck aus dem Leib geschrien. „Ich wußte, daß uns niemand das Wasser reichen kann“, sagt er wenig später, „wir sind einfach die Besseren.“ Ganz verhalten zeigen sich seine Gefühle, ganz so, als wolle er seinen Satz, der Titel sei ihm persönlich nicht wichtig, jetzt in seinem Verhalten ausdrücken. Keine Regung? „Man kann mich im Moment als sehr glücklichen Menschen betrachten.“

Der „Kaiser“ sorgte

für gutes Klima

Er hat ja nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß sie jetzt um ihn herum alle ausrasten können. Immer wieder war er für eine Überraschung gut, hat mal Thon aus dem Hut gezaubert und, obwohl der gut war, wieder in die Requisite gestellt. Hat die verletzten Kohler und Häßler wiederentdeckt, Buchwald, dem so ungeschickt Wirkenden, zu einem grandiosen Coming-out verholfen, ihn mal im Zentrum spielen lassen und mal rechts als Antreiber. Und zum Schluß hat der Schwabe den lange weltbesten Ballartisten im Finale einfach zugedeckt.

Es ist ja nicht so, daß nicht viele seiner Spieler jahrelang von „Selbstvertrauen“ und „sich in den Dienst der Mannschaft stellen“ geredet hätten. Nur wenn es drauf ankam, dann hätten sich die Matthäus und Brehme immer am liebsten weggestohlen. Und jetzt plötzlich, bei dieser 14. Fußball -Weltmeisterschaft, haben sie mit der Gewißheit ihre sieben Spiele absolviert, daß nur sie hier gewinnen können. Dieses Klima, sagen alle, hat der Beckenbauer produziert. Der fand nur „schade, daß die Argentinier nicht mitgespielt haben“. Nur zu gerne hätten sie diesen Erfolg auch auf dem Rasen gefeiert. Aber wie soll etwas wie Phantasie und Stimmung entstehen, wenn eine Mannschaft nichts tut, als ihr Tor zu verrammeln? Die zerstörende Lust beinhalte auch eine schaffende Kraft, haben die alten Anarchisten ihre eigenen Aktionen interpretiert. Aber das Team um Maradona kann davon nichts gehört haben. Und Luis Cesar Menotti, der Argentinien 1978 zum Titel führte, wird seine Theorie von der Politik im Fußball erweitern müssen.

Linker Fußball, hat er immer doziert, sei Kreativität und die Bewegung nach vorn, und der rechte versuche das zu verhindern. Von rechtsradikal hat er dabei nie gesprochen, aber was wird er sagen von einer zweiten Halbzeit, in der Bodo Illgner zum ersten Mal nach 36 Minuten den Ball in die Hand bekam - bei einer Rückgabe von Kohler? „Die hätten nie ein Tor geschossen“, war sich Brehme sicher, „da hätte schon der liebe Gott helfen müssen.“ Der aber kommt nicht vor bei Menotti und auch nicht im richtigen Leben.

Zur Selbsthilfe war Argentinien zu schwach. Dezimiert um vier Stammspieler wegen gelber Karten, blieb da nur der Versuch, sich über die Zeit zu retten, wie schon gegen Brasilien und Jugoslawien zuvor. Und beinahe hätte es ja auch wieder geklappt. Es bedurfte schon eines Elfmeters sechs Minuten vor dem Abpfiff, um das zu verhindern. Und sogar um den ließe sich streiten. „Da hat der Völler mitgeholfen“, meint Beckenbauer, weil der umsank neben Sensinis langem Bein. Und Brehme - weil Matthäus nicht wollte - schob den Ball rein.

„Es war die Hand

der Mafia“

Bis dahin lief alles in eine Richtung. „90 Minuten an die Wand gedrückt“ (Beckenbauer) haben sie ihren Kontrahenten, bloß herausgesprungen ist nicht viel dabei. Serrizuela stand Völler auf den Füßen, Ruggeri Klinsmann, Simon besorgte als Libero vor dem Tor den Rest, und die anderen zogen einen engen Gürtel um den Strafraum. Der riß selbst nur wenig, nachdem Monzon, gerade 20 Minuten eingewechselt, Klinsmann einen Freiflug verschaffte und sich einen schnellen Abgang. Später wurde noch Dezotti vom Platz gestellt, weil er Kohler an den Kragen ging (88.), aber da war schon alles gelaufen.

Ein bißchen bedauerlich war es schon, daß der Titelkampf auf solche Weise entschieden wurde, und Maradona strickte dann auch gleich an der Legende, der Schiedsrichter habe „das Spiel zerstört“. Dunkle Mächte sah er am Werk: „Die Mafia hat gewonnen.“ Dann hätte er eben mehr tun müssen, als den Ball nur einmal Richtung Illgner zu befördern, nach 35 Minuten und dann auch noch übers Tor bei seinem einzigen Freistoß. Und Berti Vogts, der als ehemaliger CDU-Wahlhelfer und künftiger Bundestrainer an Gerechtigkeit glaubt, fand: „Die Bestrafung durch den Elfmeter war der verdiente Lohn für so ein Spiel.“

Aber was kümmert das alles die, um die es geht an diesem Abend. Die haben sich längst die Magnumflaschen über dem Kopf ausgegossen in ihrem Umkleideraum, sind eine Viertelstunde lang herumgesprungen wie die Verrückten. Und Sepp Maier, der Hobbyfilmer, hat fest die Linse draufgehalten. Zwei Stunden später tanzen sie noch immer. Klinsmann treten bald die Augen aus dem Kopf vor lauter Johlen, Völler hat im Bus die Beine hochgelegt und schüttelt den Pokal, Brehme schlägt wie von Sinnen mit den Händen gegen die Scheibe. Nur Häßler wirkt wie immer ein bißchen verschüchtert.

Wie ein Firmenchef

beim Betriebsausflug

Und während der lange Wagen wippt vom Gehopse der Spieler im hinteren Teil, steht vorn Franz Beckenbauer, die Krawatte noch immer korrekt wie sie sein muß, und schaut - ein bißchen verhalten, ein bißchen amüsiert - wie der Firmenchef beim Betriebsausflug. Littbarski hat gesagt, sie würden jetzt gleich das Hotel abbrennen, aber einer wie Klinsmann würde im Moment nicht einmal das mehr mitbekommen. In drei bis vier Tagen, hat Uwe Bein vermutet, müßte er sich das Ganze auf Video angucken, um zu verstehen, was da überhaupt passiert ist an diesem Sonntag in Rom. Er kann sich ja bei Sepp Maier die Kassette ausleihen.

Herr Thömmes, Roma