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Geräuschknäuel in der Dämmerung

■ Bericht über U-Haft aus einem Knast wie Heimsheim

Das Einschneidenste was dir ziemlich bald auffällt, ist dieses ständige hohe Singen im Kopf. So intensiv, daß du alles andere um dich herum nicht mehr wahr nimmst, außer wenn du dich sehr konzentriert mit irgendwelchen Dingen beschäftigst. Das kommt von der grundsätzlichen Reizarmut und ihrem Gegenpart, der Reizüberflutung.

Schon im Normalzustand des Lochs - der Zelle - bekommst du sehr wenig von außen mit, sei es vom Hof oder von anderen Löchern - eben von „draußen“. Es sind ferne, dumpfe Geräuschknäuel, die schwierig zu durchdringen sind. Am deutlichsten noch die Schreie und Rufe von anderen Gefangenen, die Autos, das Be- und Entladen von LKWs. Alles jenseits der Mauern kommt wie aus weiter Ferne. Langsam, dumpf - fast wie ein Tonband in Zeitlupe. Immer wieder denkst du: Das oder die Geräuschfolge kennst du. Im nächsten Moment - nichts, keine Erinnerung, kein konkretes Bild taucht auf.

„Ich bekam einen Monat lang nicht raus, daß etwa hundert Meter Luftlinie entfernt eine Autowerkstatt war, wo sie jeden Tag die Autos im Hof dampfstrahlten. Ich wußte, daß ich diese Geräusche kenne, auch den Geruch des Reinigungsmittels. Wegen der Sichtblende konnte ich es aber nicht sehen und erst als der Aufzug mal kaputt war und ich zum Hofgang über das Treppenhaus ging, konnte ich das durch die Fenster dort mitkriegen, weil da keine Sichtblenden dran waren. Da fiel es mir wie Schuppen vor den Augen - eine irre Erleichterung, weil du auch irgendwann an dir und deiner Wahrnehmungsfähigkeit zweifelst.“

Mit Sichtblende wird alles noch mehr verzerrt. Es herrscht eine ständige Dämmerung. Sichtblenden sind Stahlrahmen, in die Stahlbleche horizontal in einem Winkel von 45 Grad eingeschweißt sind. Wenn du dich davor auf den Boden legst, kannst du den Himmel sehen. Von weiter weg sieht es aus wie eine Eisenwand. Du mußt das Licht immer anlassen, weil durch die Schlitze kaum Licht dringt. Durch das Neonlicht und das Brummen der Röhre bedeutet das Dauerkopfschmerzen.

Die Geräusche von außen werden noch verschwommener, während die von innen - verstärkt durch den Hall im fast leeren Loch - noch extremer gesteigert werden. Schritte auf dem Gang, Schlüsselklappern, Türenaufschließen in der Nähe, Rufe oder das Scheppern der Eimer beim Putzen und Essenausgabe sind wie Stiche in den Kopf, alarmieren dich sofort. Kommen Geräusche von weiter weg, sind sie zwar immer noch lauter als die von draußen, aber genauso dumpf. Mit dem Unterschied, daß sie leichter zu identifizieren sind, da du diese Realität, die sich in immer gleichen Abläufen abspielt, kennst - weil es deine ist.

Auch der Zeitbegriff verändert sich. Die Zeit fließt langsam und träge dahin. Niemals rast sie, wie du es draußen oft erlebst. Ganz unbewußt machst du alles viel langsamer und intensiver. Egal ob essen, waschen und vor allem Briefe, Bücher und Zeitungen lesen.

Nicht nur um diesem Dahinschleppen der Zeit einen Gegenpol zu setzen, sondern grad auch weil es die einzigen Dinge sind, wo du außer dem diffusen und verschwommenen Geräuschbrei etwas von draußen, wenn auch nur ausschnittweise, mitkriegst und spürst, liest du anders. Du fliegst nicht mehr über alles weg und ziehst dir die Sachen genau raus, die dich interessieren. Du liest alles, kriechst in jede Zeile, jedes Wort rein. Spürst Gefühlen, Bedeutungen in dir selbst und dem Geschriebenen nach.

Und dann eben das Schreiben - neben den Besuchen im Trennscheibenraum die einzige Möglichkeit des Miteinander nach draußen. Genauso beim Besuch - jeder Satz und jede Zeile bekommen eine riesige Dimension und Qualität. Nichts acht- und gedankenlos Dahingeworfenes. Reden - die Hauptform des Miteinander, der Mitteilung und des Empfangens verkümmert.

Die Besuche - zerhacktes Leben für Augenblicke hinter spiegelndes Glas verpackt. Die Wörter und Sätze kriechen unwirklich bekannt unter der Panzerglasscheibe durch das Fliegengitter zu dir durch und zurück. Die Freude des Sehens und die gleichzeitige Lähmung jedesmal. Und am Anfang die Angst um jede Sekunde, die durch die vom Knast gezogene Grenze verrinnt. Es ist jedesmal ein Schock. Sich nicht berühren können, sich genau ansehen und die Regungen, Mimik, Gestik spüren, erleben. Alles durch die Verzerrungen des Glases steril verpackt, nur grob sichtbar. Grad daß die Erinnerung daran, wie es ist, nicht verblaßt.

Wenn du dich in irgendeinem Raum befindest, schaust du unbewußt immer wieder zum Fenster raus. Es ist die Öffnung, die zeigt, daß es danach weitergeht, daß da mehr ist als dieser Raum. Auch wenn du den Anblick schon zigmal gesehen hast und alles kennst. Es zieht dich immer wieder dahin.

Im Loch befindet sich das Fenster gegenüber der Tür. Wenn es geht, stellst du den Tisch und das Bett so, daß du immer durch das Fenster siehst. Schaust weg von der Stahltür, dem Waschbecken und dem Klo, das immer daneben im Eck eingebaut ist. Schlafen tust du aber immer mit dem Blick zur Tür ganz automatisch.

Die Stahltür markiert auch rein räumlich eine Grenze, die du setzt und um die du kämpfst. Wenn du schon gezwungen wirst, hier zu leben, dann soweit es geht nach deinen Vorstellungen. Es ist dein Raum da drin, den du dir nimmst, nicht nur in dir. Daß du Möbel stellst wie du willst, Bilder aufhängst wo du willst - da fängt der alltägliche Kampf schon an. Dazu gehört auch der Kampf um den Spion. Den klebst du natürlich zu. Sie reißen das dann immer weg, entweder gleich, wenn du im Hof bist, oder nach ein paar Tagen. Und so geht das dann immer hin und her. Oder daß sie das Radio selbst aus dem Loch holen müssen, wenn sie Plomben kontrollieren wollen, das du es ihnen nicht übergibst...

Was du siehst, wenn du aus dem Fenster schaust, ist ein Teil des Lochs, vielleicht noch andere Gebäudeteile gegenüber oder an der Seite. Vielleicht auch ein Stück Hof mit Mauer. Aber das alles Beherrschende ist der Himmel. Es gibt keinen langsamen Übergang zum Horizont, der sich in der Ferne verliert. Es ist abrupt. Du siehst zehn, 20 oder vielleicht 100 Meter weit - und dann gleich die Unendlichkeit. Wenn du längere Zeit so schaust, schmerzen dir die Augen.

Beim Hofgang in einem kleinen Hof ist es nicht anders. Unter dir der Asphalt, vor dir die Mauer, über dir der Himmel - von Gras und Bäumen keine Spur. Der Übergang genauso abrupt. Kommst du dann mal in einen großen Hof oder wirst zum Prozeß vorgeführt, oder du kommst in ein Loch, wo du über die Mauern und andere Gebäudeteile hinwegschauen kannst - wird es dir im ersten Augenblick ganz schwindelig, weil du das gar nicht mehr kennst, so weit zu schauen, viele Dinge zu sehen, Menschen, Bewegung. Das ist wie wenn jemand eine Mauer vor deinen Augen wegnimmt, wie wenn du von einem dunklen, engen Raum hinaus auf die sonnige Straße trittst.

Im Bunker bist du nackt - manchmal auch im Wortsinn. Die Bezeichnung „Schlachthausatmosphäre“ paßt nirgends besser als hier. Du hast nichts. Tagsüber wird dir, sofern du überhaupt hast, die Matratze und die Decke weggenommen. Hofgang gibt es nicht. Du sitzt, stehst, liegst rum in diesem düsteren, sargähnlichen Loch. Dein Blick wandert immer wieder zu dem Loch im Fußboden, durch das du dich am liebsten fortstehlen möchtest. Der Gestank nimmt dir fast den Atem. Auch hier gibt es keine Ritzen oder Fugen an den Wänden. Flecken und Muster aus Urin und Scheiße, angebracht von deinen Vorgängern, sind auch nur eine kurze Ablenkung.

Oft sitzt du auf der Zelle und denkst, daß du in einem Totenhaus bist. Du weißt, wie viele gleich dir hier sitzen mit den gleichen Ängsten, Hoffnungen und Träumen. Selten bekommst du das mit. Das ständige Mißtrauen und die nur allzu berechtigte Vorsicht beherrschen alles. Auch dich, auch zu dir selbst - wenn du schreibst, träumst, dir Altes vorstellst. Nie läßt du dich ganz gehen oder fallen. Ein Geräusch vom Gang - Alarm - aus. Beim Hofgang, falls du Gemeinschaftshofgang hast, kannst du das Gelaber über „bald rauskommen“ und „was dann abziehen“ bald nicht mehr hören. Wenn die Wichsblätter hin und her geschoben werden, läßt du es bald, dauernd darüber zu diskutieren, was das soll und warum das läuft. Genauso bei den unendlichen Sprüchen über Frauen und AusländerInnen. Es wiederholt sich immer gleich nur Wenige, die anfangen sich eigenes zu überlegen. Du grenzt dich ab, beziehst Position, sagst deine Meinung, machst die Sprücheklopper an und beschränkst dich auf die, von denen was Positives zurückkommt. In der Brutalität der Mauern erkennst und erlebst du ja selbst die eigene Kaputtheit und die 1.000 Fluchten davor.

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