: „Und es wäre so mein Bock gewesen...“
■ Aus den Briefen der Prostituierten Margot Voss an Heinrich
Mann 1948/49. Die Berliner Szenen aus der Zeit der Währungsreform lesen sich fast wie ein aktueller Kommentar zur Währungsunion
Von Willi Jaspers
„In Berlin wird es immer bunter, jetzt soll eine neue Währung kommen... was nun wird, weiß man nicht, auch liegen sich Ost- und West-Polizei in den Haaren und der Magistrat auch. Auf der einen Seite ist Rußland, auf der anderen Amerika und England, ein tolles Durcheinander... Sogar die Schwarzhändler halten ihre Ware zurück, da alles die Verhandlungen abwarten will, die Ostmark war einen Tag schon 1:2, jetzt steht sie wieder 1:3 1/2. Am Bahnhof Zoo ist Schwarzmarkt, da stehen die Geldhändler und murmeln Ost gegen West, Bengels von 17 Jahren sind Großschieber. Ab und zu Razzien, aber nach 1 Std. geht's wieder weiter...
Man bekommt in Berlin alles, aber nur gegen Westgeld. Eine Westmark sind momentan 3,50 Russenmark wie an der Börse. Hier im Westen werden viele Lokale aufgemacht und gehen auch pleite. Die neue Skala mußte vor 8 Tagen auch schließen. Femina steht kurz vor der Pleite, da ist nichts mehr los. Es ist mehr los in Richtung KuDamm, Uhlandstraße, kleine Mädchen tauchen wie Pilze auf, alles will sich amüsieren und verdienen. Sehr viele schwule Lokale machen auf, für Männer und auch für Frauen...
Vom Verlag bekam ich auch 50 Mk, vielen Dank. Leider kann ich mir die Tasche nicht kaufen, da ich immer nur Ostmark bekam (Verlag liegt in dem russischen Sektor) und 100 Ostmark sind 20 Westmark und ab heute gilt die Ostmark nicht mehr bei uns. Sonst konnte man die Miete damit bezahlen und nun nichts mehr, ist das nicht schade? Und es wäre so mein 'Bock‘ gewesen, von Ihnen eine Tasche zu bekommen, denn abergläubisch bin ich auch noch. Auf meiner 'Tour‘ macht es sich auch sehr bemerkbar, hatte verschiedene Freier aus Sachsen, die können nicht mehr, weil das Geld nicht mehr gilt hier im Westsektor, ist das ein Ding, na das muß man doch irgendwie drehen können, aber wie?...
Seit Einführung der Westmark sind Theater und Kinos leer, es wurde sonst halb und halb bezahlt. Die Sektorengrenzen sind verschärft, damit man mit der Ostmark, die noch im Umlauf sind, nichts im Ostsektor kauft, ich habe noch Ihre 50 Mk, und dafür am Sonnabend zum Friseur fahren und dabei an Sie denken...
Wenn nur das Ost- und Westgeld nicht wäre. Hier gibt es, seitdem die Westmark voll eingeführt worden ist, aber sehr sehr teuer, die Läden sind leer und sehr viel Arbeitslose. Alle Leute aus dem Westen fahren nach dem Osten, da gibts freie Läden dort gibts Ostmark, also auch unerschwinglich. Auf jeden Fall unhaltsame Zustände in einer Stadt, 2 * verschiedenes Geld geht nicht... Der Staat ist pleite im Westen von Berlin, 60 % arbeitslos. Sie können sich denken, daß auch mein Beruf darunter leidet. Die Läden platzen von Ware, aber es kann keiner was kaufen, da war es vor der Währung noch besser, wo ein Pfund Butter 300 Mk kostete, und eine schöne Nacht 500 Mk. Heute ist der gute Freier für 20 Mk mit der Lupe zu suchen, ich glaube, ich werde meinen Beruf an den Nagel hängen und mir eine Arbeit als Garderobenfrau suchen. Wie in einem Roman oder als 'letzte Frau‘.“
Diese Berliner Stimmungsbilder stammen nicht aus dem Juli 1990, sondern aus der Zeit vom September 1948 bis September 1949. Enthalten sind sie in Briefen der Berliner Prostituierten Margot Voss an Heinrich Mann. Sie war eine alte Bekannte aus der Zeit von vor 1933, als der Schriftsteller regelmäßig in der Nachtbar „Bajadere“ am Kurfürstendamm verkehrte, hier hatte er auch seine zweite Frau, Nelly Kröger, kennengelernt, die wegen ihrer „niederen Herkunft“ von der Familie Mann und dem intellektuellen Umkreis verachtet wurde. An der mondänen Öde von Los Angeles war ihr Leben gescheitert. Am 17.Dezember 1944 hatte sie eine Überdosis Schlaftabletten genommen.
Heinrich Mann war inzwischen 78 Jahre alt und lebte im amerikanischen Exil, nicht ganz so einsam und traurig, wie oft behauptet. Margot Voss zumindest fand, daß er nach seinen Briefen zu schließen „doch ganz auf der Höhe und lebenslustig“ sei. Er sorgte auch dafür, daß der Aufbau -Verlag der Margot nach langem Sträuben seine Überweisungen endlich in Westmark auszahlte, damit sie sich die langersehnte neue „Bock-Tasche“ kaufen konnte - ein unerläßliches Status-Symbol, um gegenüber der jungen Konkurrenz auf dem KuDamm bestehen zu können. Das „Problem Ost gegen West mit Sachsen“ konnte Heinrich Mann allerdings nicht lösen. Das wurde aber schnell - wie heute - vom Markt reguliert. In Erfüllung ging auch der heimliche Wunsch der Margot Voss nicht, im „Spitzenmorgenrock von Nelli“, den Haushalt zu führen. Das erschien dem alten und würdigen Schriftsteller wohl doch zu pietätlos. „Was will man: Er hat sie geliebt.“ (Alfred Kantorowicz).
Auf den letzten Brief der Margot Voss vom 11.September 1949 hat Heinrich Mann nicht mehr geantwortet. Er starb am 12.März 1950 inmitten der Vorbereitungen für seine Heimkehr nach siebzehnjährigem Exil. Offensichtlich hatte er sich entschlossen, die Einladung der DDR-Behörden anzunehmen, seinen Lebensabend auf der Wartburg zu verbringen, nicht ohne sich zu mokieren: „Hier kämpfte einst Martin Luther mit dem Teufel. Jetzt gibt es eine Centralheizung.“
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