: Schmetterlingsraupen sprechen die Sprache der Ameisen
BUNSENBRENNER
Insektenschläue
Schwer ist das Leben der Schmetterlingsraupe. Ihr schmeckt's nicht nur gut, wie jeder Gärtner weiß, sondern sie schmeckt auch gut.
Parasitäre Wespen und Fliegen legen ihre Eier mit spitzem Legestachel in die saftigen Maden. Die Brut knabbert die Raupe von innen her an. Der Tod kommt langsam, aber gewiß. Damit nicht genug: Erwachsene Wespen ergattern die nichtsahnenden Vielfrasse im raschen Vorbeiflug. Wer noch soeben im Grünen Grünes schmatzte, wird grausamst vernascht.
Was soll eine Raupe tun? Die Mitglieder zweier Familien haben sich eine schlaue Überlebensstrategie einfallen lassen. Sie heuern Leibwächter an. Nicht einen oder zwei, nein ganze Horden - in Form von Ameisen. Grund genug für hungrige Feinde, sich ihre Mahlzeit woanders zu suchen.
Doch ist im Leben nichts umsonst, schon gar nicht ein Bataillon von Leibwächtern. Die Ameisen werden mit Naturalien - Zucker und Aminosäuren - entlohnt, die die Raupen aus speziellen Drüsen ausschütten. Die Garde läßt's sich schmecken.
Raupen der Familie Riodinidae und Lycaenidae hätten ohne den Ameisengürtel keine Überlebenschance. P. J. Vries von der Universität Texas wollte wissen, ob das symbiotische Paar rein zufällig zusammenfindet. Mit Mikrophon, Verstärker und Tonband machte er sich auf nach Panama, um dort Thisbe Irena von der Familie der Riodinidae „zuzuhören“. Thisbe zeigte sich von ihrer kommunikationsfreudigsten Seite. Sie vibrierte regelrecht und produzierte so leise Laute, die sich über den Boden ausbreiteten und noch in fünf Zentimetern Entfernung zu messen waren.
Die Ameisen mochten die Signale und kamen zuhauf, bis Vries die Raupen gekonnt zum Schweigen brachte. Das tat er, indem er die Papillen entfernte, mit denen die Raupen ihre good vibrations produzieren. Keine Ameise weit und breit ließ sich mehr blicken. Was finden Ameisen gerade an diesen Vibrationen? Schließlich wird in der Insektenwelt überall heftigst vibriert, gesummt, gebrummt und anderweitig akustisch signalisiert.
Vries ging an die Feinarbeit. Er registrierte, analysierte, maß und berechnete die Vibrationen von 20 Raupen, und er fand des Rätsels Lösung: Mit genau den gleichen akustischen Signalen kommunizieren Ameisen untereinander. Eine Ameise, die eine Futterquelle gefunden hat oder in großer Not ist, trommelt ihre Kolleginnen mit eben dieser Frequenz, Amplitude und Wellenform zusammen. Die „Schlauen“ unter den Raupen „lernten“ im Lauf ihrer Evolution die Sprache der Ameisen. Weniger gewieften Kollegen fehlten die Leibwächter. Sie waren dem Untergang geweiht.
Daß zwei so unterschiedliche Insektenarten wie Ameisen und Schmetterlinge miteinander kommunizieren, erstaunt die Forscher. Beunruhigt es sie? Wer weiß schon, welche verschwörerischen Absprachen im Insektenreich noch im Gange sind. Und gibt es nicht genug Zukunftsforscher, die schon lange wissen, daß die Welt von morgen den Insekten gehört...san-MC
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