HO abgeschossen, das Feld ist frei

■ Interessenvertretungen von 23.000 HO-MitarbeiterInnen protestieren gegen Regierungsbeschluß / HO will Chancengleichheit / Auch dem Handel muß Lernzeit beim Übergang zur Marktwirtschaft zugebilligt werden

Aus Dresden Detlef Krell

Gegen den Beschluß zur „Entflechtung des staatlichen Handels in der DDR“, von der Volkskammer am 6.Juli verabschiedet, läuten die Interessenvertretungen von 23.000 Beschäftigten in 17 Dresdner HO-Betrieben Sturm. Wie die Gewerkschafterin Marion Tzscheutschler, HO-Industriewaren Dresden, gegenüber der taz erklärte, wolle man von einem Streik vorläufig absehen. Jedoch werde der Gewerkschaftsrat der IG Handel, Banken und Versicherungen (HBV) am Donnerstag der Regierung die Folgen ihres Beschlusses klarmachen. Von der Diskussion und der Entscheidung in der Volkskammer haben die Betroffenen lediglich durch die Massenmedien erfahren. Das soziale Netz für die HandelsmitarbeiterInnen sei indiskutabel, ein Rationalisierungsschutzabkommen liege zur Unterschrift bei der Ministerin für Handel und Tourismus.

Die Interessenvertretungen der HO-Betriebe fordern Chancengleichheit unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, die Einbeziehung von Fachleuten der Basis bei Entscheidungen zur Handelspolitik und die Durchsetzung der versprochenen Sozialunion auch für die Werktätigen im ehemals volkseigenen Einzelhandel. In einem Schreiben an die Regierung legt die Betriebsleitung von HOMA Warenhandelsgesellschaft i. A., ehemals HO Waren des täglichen Bedarfs Dresden, Zusammenhänge um den angeblichen „Preiswucher“ der HO dar. Nach Wegfall der Subventionen kurz vor der Währungsunion seien die Einkaufspreise für DDR-Produkte in die Höhe geschnellt. Eine vernünfige Kalkulation in so kurzer Zeit sei nicht möglich, man müsse auch dem Handel Lernzeit beim Übergang zur Marktwirtschaft zubilligen. Die Handelsspanne in der DDR liege bei etwa 20 Prozent gegenüber 30 bis 40 Prozent in der BRD. Nicht Preiswucher, sondern uneffektive Produktion in DDR-Betrieben und der Wegfall der Subventionen treibe die Preise in die Höhe.

Wie der Dresdner Handelsbetrieb weiter informiert, würde Aldi gerne eigene Filialen in der Stadt eröffnen, bekomme aber kein Bauland. Aldi habe erst am Wochenende im Rat der Stadt erklärt, daß er keine der bestehenden Kaufhallen benötige, sondern als neuer, zusätzlicher Anbieter auftreten wolle. Diese Bestrebungen werden vom Handelsbetrieb befürwortet, der seinerseits mit allen Produzenten und Lieferanten Verhandlungen über Warenangebot und Preisbildung führen wird. Vor der Volkskammerdiskussion hatte die Treuhandanstalt bereits die Umwandlungen volkseigener Einzelhandelsbetriebe gestoppt. Die weitere Strukturierung künftiger GmbH und die Beteiligung fremder Partner unterliege der Bestätigung des Ministers für Handel und Tourismus.

Gewerkschaftssekretär Anton Kobel von der HBV-West verweist auf die politischen Hintergründe dieser sogenannten „Entflechtung“: „Bundes-Wirtschaftsminister Hausmann hat erklärt, er träume davon, daß bis Jahresende in der DDR 100.000 Unternehmen gegründet werden. Es ist klar, daß die nur im Kleingewerbe entstehen können. Dafür muß man bestehende Unternehmen zerschlagen. Das werden die kleinen HO-Läden und Gaststätten sein. Hausmann möchte Erfolge, und 100.000 Unternehmen wären ein Erfolg. Sie könnten vielleicht 250.000 Arbeitsplätze schaffen. Die andere Seite ist, daß gleichzeitig Arbeitsplätze vernichtet werden. Der Saldo fällt zu Lasten der Beschäftigten.“

Die HO verfügte einmal über 34 Prozent Marktanteile. Diese Zahl sinkt ständig, auch durch Vergabe von Läden. Der Vorwurf, die HO wäre ein Monopol, sei aus der Luft gegriffen. Es gehe nicht um Entflechtung, erklärte der Gewerkschafter, sondern um Wirtschaftspolitik. Beim Handel versuche man, ein Investitionswunder zu schaffen, um die vor den Wahlen abgegebenen Versprehen scheinbar zu erfüllen. Viele Handelseinrichtungen sehen sich bereits vor vollendete Tatsachen gestellt. Die HO Kamenz erhielt innerhalb weniger Tage von der Gebäudewirtschaft 25 Kündigungen für Geschäfte in kommunalen Häusern. Einen ähnlichen Trend befürchtet Riesa, wo von 173 Geschäften nur 23 in HO-eigenen Gebäuden untergebracht sind. Allerdings hat dort zumindest der Bürgermeister dem Handelsbetrieb Unterstützung zugesagt. Eine Auffassung, die sehr im Interesse der Stadt liegt, schließlich werden die Kommunen die Sozialhilfe aus ihrer Haushaltskasse bezahlen.

Anton Kobel warnte vor der Illusion, Asko, Spar oder wie sie alle heißen, würden Filialen mit 20, 30, 100 Quadratmetern übernehmen wollen. Vielmehr sei anzunehmen, daß es den bundesdeutschen Handelsunternehmern, die in Joint -Ventures eingestiegen sind, nicht unrecht ist, wenn die kleinen Läden gekündigt werden. Bisher abgeschlossene Verträge enthalten, entgegen der gewerkschaftlichen Forderung, nicht die Übernahme der Belegschaften in die neuen Unternehmen. Im Falle einer Kündigung wären allein die alten HO-Betriebe gegenüber den KollegInnen verpflichtet. Damit die HO-Geschäfte dem Konkurrenzdruck gewachsen sind, müßten vielmehr, wie kürzlich von der Belegschaft in Riesa praktiziert, unfähige Leiter „fliegen“ und integre Fachleute in die Leitungspositionen rücken.