Königliches Vergnügen

■ Das Blaumeier-Atelier feiert „Jakob's Krönung“ am Weserstrand

Wo nehmen sie diese Kraft bloß her? Wie kommt es, daß Blaumeiers mit ihren phantastisch ver-rückten Theater-, Musik-und Maskenfesten in Seelenkämmerchen dringen, von denen man nicht einmal mehr wußte, daß sie vorhanden sind? Wieso gelingt es ihnen immer wieder, Sehnsucht zu wecken nach weißnichtwas? Dem Publikum das Gefühl zu geben, Geschenk liegt in der Luft, Glück fliegt vorbei und Phantasie verrückt die Sinne? Warum bedeutet, Blaumeier -Spektakel zu erleben, immer auch Schweben in jenem Grenzland, wo Lachtränen und Weintränen sich vermischen? Ach, wir ahnen ja, warum uns diese Kraft so mitreißt, die wogende, bewegende, gigantische Bescheidenheit, mit der uns die Blaumeiers märchenhaft von Wirklichkeit erzählen: Sie weben den Stoff, aus dem verrückt-normale Träume sind, sie träumen mit offenen Sinnen in der verrückten Wirklichkeit herum. Und zu dieser Wirklichkeit gehört nun eben auch des „Jakob's Krönung“, was mit der gleichnamigen Bremer Kaffeesorte so viel zu tun hat wie Witz mit Wort.

Obacht! Da wird der König herangetragen, unter blechernen Klängen auf einer Sänfte am Weserstrand: Groß, riesengroß, geradezu majestätisch aufgeblasen. Huldvoll nickt er nach allen Seiten, winkt mit der Papphand, verzieht keine Miene auf seinem verfetteten Pappgesicht. Der Hofstaat - wir folgt ihm devot ins Schiff, wo er, wie jedes Jahr, gefeiert werden will. Es gibt nur ein Problem: dem König wird zu Wasser übel, also strengen sich Hofstaat und Mannschaft an, ihm eine Seefahrt zu simulieren. Und damit hebt ein Spektakel an - Fiktion in der Fiktion -, das einem in seiner majestätischen Gelassenheit, in seinem sprühenden Ein

fallsreichtum und seiner Blaumeier-Komik Mund, Augen, Ohren sperrangelweit offenstehen läßt: Die Meeres-Vorhänge links und rechts vom Schiff werden wie von Geisterhand bewegt der König wischt sich verstohlen die seekrank-schweißige Stirn - und mir wird tatsächlich ein bißchen blümerant. Ein Leuchtturm wandert, Piraten tauchen auf, ein alter Seebär pflanzt sich schrittweise auf einem Stühlchen fort - alles, damit der König glaubt, das Schiff bewege sich. Wir, die wir mit drinnen sitzen, glauben das auch, glauben es nur zu gern, denn auf und neben dem Schiff ist so viel los, daß es gar nicht anderswo sein kann als auf großer Fahrt. Es wird gespeist, gesungen, Menuett getanzt - die adligen Speichellecker lassen es sich, lachend und unablässig mampfend, zu Füßen des Königs recht wohl ergehen. Da: Jetzt wird der Kapitän gerufen, samt Steuermann: Die Schiffsmannschaft soll, auf Befehl des Königs, das „Schrubberballett“ vorführen. Aber von wegen. Ein rebellischer Haufen ist das, diese Matrosenmannschaft. Von „Stillgestanden“ oder koordiniertem Tanz kann keine Rede sein. Und dieser aufmüpfig-wilde Haufen, dies renitent -versonnene Seitwärts-Blicken, dies Einfach-Nicht -Mitschrubben-Wollen - das ist so wunderbar echt-verrückt, so durch und durch authentisch, so typisch für Blaumeiers Theater-Kunst, daß man im Lachen weinen möchte. Denn dies ist eine Renitenz, die nicht professionell gespielt wird dies ist eine Renitenz, die nichts von ihrer Rebellionskraft weiß und grade darum sonderbar glaubhaft wirkt, anrührend und mitreißend. Blaumeiers Matrosenaufstand: das ist eine menschlich-geniale Inszenierung, wie sie in keinem „nor

malen“ Theater gelingen würde.

Ja, und das Ende? Davon mag ich nichts verraten. Nur so viel: Unheimlich schaurig-schön und melancholisch verwandelt sich der majestätisch aufgeblasene König in einen Zwerg, von Meeres-Masken-Ungeheuern mucksmäuschenstumm vertrieben. Der Hofstaat - wir - geht langsam zur „Hal Över„-Fähre: Den König haben die Blaumeiers uns genommen - ein königliches Vergnügen haben sie uns geschenkt.

Sybille Simon-Zülch

Heute noch mal 22 Uhr, Fähranleger „Hal Över„