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Arbeitlosigkeit als Unterhaltungswert

■ SPD entdeckt Bremens Zukunft als Stammtisch-Thema nach der Fußball-WM

Woher 16.000 Langzeitarbeitslose wieder Hoffnung nehmen sollen, wie man für 15.000 Bremer in der Rüstungsindustrie eine sinnvollere Arbeit organisieren kann, wie man Bremen zu einem Zentrum für Öko-Forschung und -Fertigung machen kann das sind genau die Fragen, die Bremer Sozialdemokraten einen Teufel scheren.

Von 269 Delegierten im Unterbezirk Ost zogen es am Dienstag abend 104 vor, gleich zu Hause zu bleiben als einer Grundsatzdebatte über Bremer Wirtschaftspolitik zu folgen, die Mehrheit der 165 erschienen hatte zwar allerlei zu bereden, mit der zuvor einstimmig verabschiedeten Tagesordnung hatten ihre Beiträge nichts zu tun.

Lärmend, dröhnend und murrend über die Kompliziertheit der Antragslage - immerhin waren zwei (!) DIN-A-4 Seiten zur Kenntnis zu nehmen - saßen die GenossInnen drei Stunden lang in den Bänken des Bürgerhauses Vahr und demonstrierten allgemeines Desinterssse und Unzufriedenheit mit Klaus Wedemeier. Nicht wg. falscher Politik sondern wg. richtiger Vorbereitung: Wedemeier war nicht nur irrtümlich davon ausgegangen, daß die Genossen mit ihm über sozialdemokratische Wirtschaftspolitik reden wollten, er hatte sie auch ernst genommen und 21 Seiten mit Stichworten zu seiner Rechtfertigung vollgeschrieben. Die Genossen wollten Wedemeiers Erfolgsbilanz (10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, 12.500 Fortbildungsplätze) ebenso wenig hören wie seine Appelle an den nötigen „langen Atem“. Mehrfach verstummte der Bürgermeister und sandte hilfesuchende Blicke Richtung Versammlungsleitung.

Das Interesse sank, der Geräuschpegel stieg, als die Parteibasis in Gestalt des SPD-Wirtschaftsexperten Heinz -Gerd Hofschen das Wort ergriff und dem Senat ( soweit im allgemeinen Krach noch zu verfolgen) vorhielt: „Der Senat hat in den letzten Jahren eine Milliarde in Wirtschaftförderung investiert ohne die selbstgesetzten Ziele zu erreichen. Die Wirtschaftpolitischen Aktionsprogramme haben nicht gegriffen und Instrumente, die nicht greifen, muß man verbessern.“

Nach zweieinhalb Stunden Abstimmung:Auch wenn eigentlich keiner wissen konnte, warum - jetzt müssen Fonds für Rüstungskonversion her, der Ökologie-Fonds muß auf 35 Millionen aufgestockt, es müssen 13 Millionen für die Beschäftigung von Frauen und außerdem ein 100 Millionen -Sofortprogramm gegen die Arbeitslosigkeit her.

Erfolg für Klaus Wedemeier: Eine Minderheit konnte er so gründlich von der falschen Zielrichtung des Antrags überzeugen, daß sie selbst jene Passage ablehnte, in der es schlicht heißt: „Ein regionalpolitisches Zukunftskonzept bedarf auch eines demokratischen Diskussionsprozesses“.

K.S.

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