: Keine Sippenhaft bei Arbeitslosenhilfe
■ Wenn Familienmitglieder die Vermögensauskunft verweigern, muß das Arbeitsamt löhnen
Angehörige von Arbeitslosen müssen dem Arbeitsamt gegenüber nicht ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. In diesem Fall muß das Arbeitsamt Arbeitslosenhilfe (Alhi) bewilligen. Mit Beschluß vom 16. Mai 1990 entschied das Bremer Landessozialgericht, daß ein möglicher zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch in solchen Fällen nicht auf die Alhi angerechnet werden darf.
Mit seinem Beschluß setzt das Bremer Gericht einen neuen Markstein in der juristischen Auseinandersetzung um den umstrittenen Paragraphen 137.1a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Der seit Dezember 1988 gültige Paragraph setzt praktisch die Zumutbarkeitsregelung für neue Arbeitsverhältnisse außer Kraft und zwingt Arbeitslose mit Angehörigen, unabhängig von Qualifikation oder Wohnort, jede Arbeit zu übernehmen.
In Bremen läuft zu dieser Rechtslage ein Präzedenzfall, der
schließlich den Beschluß der Landessozialgerichts ausgelöst hat. Der 51jährige Arbeitslose Jürgen P. hatte sich im Sommer letzten Jahres geweigert, seinen Sohn, von dem er seit 17 Jahren getrennt lebt, auf Unterhalt zu verklagen. Während nämlich bei der Arbeitslosenhilfe der Zumutbarkeitsgrundsatz gilt, kann der Unterhaltspflichtige die Übernahme jeder beliebigen Arbeit des Arbeitslosen verlangen. Im Klartext: Der Sohn hätte von seinem Vater verlangen können, Putzmann im Münchener Bahnhofsklo zu werden, bevor er eine müde Mark hätte springen lassen müssen. P. verweigerte die Unterhaltsklage, weil er für sich die Zumutbarkeitsklausel in Anspruch nehmen wollte.
Das Arbeitsamt Bremen setzte daraufhin nach § 137.1a AFG einen fiktiven Unterhalatz fest und verweigerte P. die Zahlung von Arbeitslosenhilfe. Gegen den Bescheid legte P. im Oktober 1989
Widerspruch ein, der bis heute noch nicht entschieden ist.
Gleichzeitig betrat der arbeitslose Kaufmann einen zweiten Rechtsweg. Vor dem Bremer Sozialgericht klagte er gegen die Ablehnung nach § 137.1 a, weil er darin den verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz verletzt sah. Arbeitslose ohne Angehörige würden, so die Argumentation des Kaufmanns, bei der Bewilligung von Alhi bevorteilt, weil sie vom Arbeitsamt Leistungen bezögen ohne auf den Zumutbarkeitsanspruch verzichten zu müssen.
Das Bremer Sozialgericht übernahm diese Argumentation und stufte den umstrittenen Paragraphen als potentiell verfassungswidrig ein. Das Arbeitsamt wurde dazu verdonnert, für P. Arbeitslosenhilfe in voller Höhe zu zahlen. Gegen diese Urteil legte das Arbeitsamt Beschwerde ein, die das Landessozialgericht jetzt abwies.
Allerdings folgte das Gericht in der Begründung nicht der Vorinstanz. Offenbar war den Richtern die Einschätzung der Verfassungswidrigkeit zu heiß. Stattdessen wiesen sie dem Arbeitsamt einen formalen Fehler bei der Ablehnung der Arbeitslosenhilfe nach: Die Unterlassung der Unterhaltsklage hätte „nicht in jedem Fall zum Wegfall des vollen Anspruchs auf Alhi“ führen dürfen. Richter Großmann in seiner Begründung weiter: „Das bedeutet, daß auf den Alhi -Leistungssatz nur der fiktive Unterhaltsanspruch anzurechnen ist, keinesfalls der Alhi-Anspruch von vornherein in vollem Umfang verneint werden kann.“
Das Gericht servierte dem Arbeitsamt eine deftige Absage: Da die Nürnberger Bundesanstalt „auf Grund der geltenden Sach- und Rechtslage“ vom Sohn wohl nie eine Auskunft über dessen Einkommensverhältnisse bekommen würde, könnte sie auch keinen fiktiven Unterhaltsanspruch beziffern. Ergo: „Damit fehlen die Voraussetzungen für eine Kürzung bzw. Aufhebung der be
willigten Alhi.“
Rechtsanwalt Bernd Rasehorn bedauerte zwar, daß das Landessozialgericht der potentiellen Verfassungswidrigkeit nicht gefolgt war, empfahl jedoch allen ArbeitslosenhilfeempfängerInnen'nach diesem Beschluß die Alhi einzuklagen. Nur: Der Rechtsweg ist kein Zuckerschlecken. Wer Klagen will, muß damit rechnen, daß er für mindestens sechs Wochen ohne einen Pfennig Geld über die Runden kommen muß. So lange dauert nämlich ein Eilverfahren vor dem Sozialgericht, das die vorläufige Arbeitslosenhilfe gegenüber dem Arbeitsamt rechtlich durchsetzen muß. Jeder Einzelfall muß diesen komplizierten Rechtsweg gehen, bis das Bundesverfassungsgericht sich eines Tages des Themas annehmen wird. Das kann dauern, denn obwohl es vor anderen Landessozialgerichten ähnliche Entscheidungen gibt, scheuen die Richter eine Weitergabe nach Karlsruhe. Der 137.1a hat allerdings gute Chancen, in Karlruhe gekippt zu werden. Markus Daschne
AZ L 5 BR 36/89, SBR 60/89
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