: Im Kommunikationswirtshaus
■ Freß- und Saufbericht eines Ost-U-Boots von der Jubiläumsfeier im Kaufhaus des Westens
Wie auf den taz-Berlin Kulturseiten vom letzten Samstag in unserer Festschrift zum 40jährigen Auferstehungsjubiläum des westlichen Kaufhauses zu lesen war, wurde unserem hauseigenen Konsumreporter der Zugang zum offiziellen Jubelakt des KaDeWe in der letzten Woche aus - leider unberechtigten - linksradikalen Befürchtungen verwehrt. Ungeachtet dieser groben journalistischen Behinderung, haben wir, unserem Auftrag zu sauberem Journalismus getreu, keine Mühen gescheut, jenes metropolitane Großereignis, dem immerhin 1.300 Auserwählte beiwohnen durften, doch noch aus erster Hand zu dokumentieren, und sind nun in der Lage, unseren geschätzten LeserInnen einen Augen-/Trinkzeugenbericht vorzulegen, der uns über unser eingeschleustes östliches U-Boot zuging.d.Red.
40.Jahrestage scheinen von Natur aus nicht nur einen Hang zum Pompösen zu haben, sondern hin und wieder auch schicksalhafte Wendungen einzuleiten. Das ist in der großen Politik ebenso wie im Leben des einzelnen mitunter. Gut habe ich noch jene ausschweifenden Feierlichkeiten vor Augen, bei denen nach eiserner Wehrhaftigkeit getriebenes Blech die Karl-Marx-Allee hinuntergetrieben wurde, marschrhythmisch angeblasen und sowohl den Trommelfellen auf den Instrumenten als auch denen der mehr oder minder freiwilligen Zuhörer zur Qual. Heidiwitzka ging's vorüber an der Tribüne mit der in jeder Hinsicht künstlich erhöhten Altmännerriege, die der im Gleichschritt trötenden Asphaltcombo mit lappigem Händchen Grüße zuwarf, die man sich hätte angewidert abwischen müssen, wenn sie den Adressaten erreicht hätten...
Das Kaufhaus des Westens begeht ja in diesen Tagen ebenfalls feierlich den 40. Jahrestag seiner Wiedereröffnung, läßt jedoch nicht durch tausendfach abgelichtete und zur Protokolltüte gefaltete Herrengesichter grüßen, sondern durch das immerhin wesentlich ansehnlichere seiner Pressechefin Karin Tauer. Die ist Kommunikationswirtin und schreibt das auch auf ihr Visitenkärtchen. Zwar muß bei den in regelmäßiger Folge abgehaltenen Pressekonferenzen im KaDeWe jeder selbst wissen, wie viele Zeilen Anzeige- und Reklamefläche er der „Kommunikation“ im gepflegten Rahmen entnimmt, ihren Aufgaben als „Wirtin“ jedenfalls kommt die PR-Dame des Hauses stets glänzend nach. Ganz gleich, ob's um die Eröffnung einer neuen Frischfischabteilung oder das von Elvis‘ Exfrau mühsam binnen zweier Jahre erstellte neue Parfüm geht, das am Tauentzien vorgestellt werden soll... Immer kann der unterbezahlte und ausgehungerte Journalist auf einen guten Happen hoffen und erhält obendrein noch ausreichend Wegzehrung, um Kollegen (Einzelfall) oder die eigene Famlie nebst Hausfreundin (in der Regel häufiger) mit erlesenen Bröckchen vom reichgedeckten Tisch der Wohlhabenden zu beglücken. Es versteht sich von selbst, daß wir gelernten Ostjournalisten nach jahrelanger, die weltanschauliche Position festigender und uns gegen jede Art ideologisch-diversierender Einflüsse des Gegners immun machender Schulung zwar gern und zahlreich immer wieder die Feder für die Neuigkeiten der Karin Tauer spitzen, uns jedoch nicht im mindesten von dem glitzernden Drum und Dran ablenken lassen... So was kann uns doch nicht imprägnieren, oder wie das heißt.
So hatte ich mich denn auch, wie man sich denken kann, unter Stöhnen von den Kollegen verabschiedet, die mich wirklich bedauerten, abends um 19 Uhr noch zur Pressekonferenz wegen 40 Jahren KaDeWe zu müssen und den wohlverdienten Feierabend zu opfern. Ich sagte, daß es eine Unflätigkeit sei, nicht wie sonst üblich um 10 Uhr zum Frühstück, um 12 zum Mittagessen oder um 15 Uhr zum ausgiebigen Kaffee zu laden, sondern den geplagten Schreiber gar um seinen Nachtschlaf zu bringen, indem man selbst abends noch auf dem Sprung sein müsse... Aber schon mein Mentor hatte mir als Volontär erklärt, daß der Journalistenberuf zu den schwersten überhaupt gehöre, und das erfuhr ich ja bei jedem Empfang und an jedem kalten Buffet am eigenen Leibe und aufs neue, wenn es darum ging, vor den anderen bei den Kaviarhäppchen anzulangen und dennoch nicht aus der Rolle des beiläufig vor sich hin Schlendernden zu fallen...
In dem Kaufhaus plauderte man an diesem Abend zunächst über die erfolgreichen Jahre des Hauses, den schweren Anfang und die Bereicherung für die Bürger der Stadt, die das KaDeWe darstelle. Letzteres war mir noch gar nicht aufgefallen, jedenfalls kam ich bestenfalls genauso armselig heraus wie ich hineingegangen war, von Bereicherung konnte also keine Rede sein, aber die Herren aus der Direktionsetage mußten es ja schließlich wissen. Sie schenkten dem Zoo, weil ihnen gerade nach Schenken zumute war, drei Fahrräder und einen Scheck, den ich zur Not auch genommen hätte. Doch ich wurde nicht gefragt. Einige Tierarten bekämen ihre Zuckerrohrspitzen immer vom KaDeWe, sagte der Zoodirektor, diese Kunden selbst waren allerdings nicht anwesend.
Inmitten nett ausschauender Sektverteilerinnen und altem Zeug, das das Feeling der 50er wiederaufleben lassen sollte, standen wir an Stehtischen herum und warteten auf die, für uns nur an Arbeit Denkenden völlig überraschende Eröffnung eines Essens oder ähnliches. „Für wen essen Sie denn heute abend?!“ schrie mir ein bekannter Fotograf ins Ohr und hieb mir mit seiner am Auslöser gestählten Hand auf die Schulter. Zu der Abneigung, die ich ohnehin schon gegen ihn hatte, weil er in meinem Beisein lauthals in der S-Bahn junge Mädchen fragte, ob sie ihm Aktmodell stehen wollten, kam nun noch jene wegen seiner abgestandenen Witze. Natürlich mußten die Herren des Hauses auch das von ihm mit stolzgeschwellter Brust vorgetragene Wortspiel mit der „Essekonferenz“ mitanhören, was mich sehr peinlich berührte, so daß ich schnellstens aus dem Dunstkreis des gefürchteten Lichtbildners flüchtete.
In der Tat meinte auch Ulrike, die mir mißgönnte, immer nur allein bei den Arbeitsessen zuzulangen, und die ich deshalb hatte mitnehmen müssen, daß wir eigentlich auch hätten später kommen können, um die Wartezeit zu verkürzen. Während wir aber noch auf dem Weg zur sechsten Etage bereits in froher Erwartung eine possierliche Kuscheltierausstellung besichtigten, die die Verbundenheit mit dem Zoo ausdrücken sollte, erklärte ich ihr, daß man den spendablen Gastgebern wenigstens die Andeutung von Interesse für ihr Anliegen schuldig sei. Aber das lernt sie schon noch.
Als wir dann endlich im sechsten Stockwerk in der Feinschmeckerabteilung ankamen, kein herkömmliches Buffet mit livriertem Kellner vorfanden, sondern unversehens, einfach uns selbst überlassen, zwischen all dem Überfluß dümmlich herumstanden, hätte ich eigentlich gleich ahnen müssen, daß das kein gutes Ende nehmen würde. Ich hätte zu der Pressedame gehen, mein Bedauern ausdrücken und auf den unseligen Zeitdruck verweisen sollen, unterdem unsereins nun einmal zu leiden und zu arbeiten habe, hätte mich verabschiedet und die zeternde Ulrike hinter mir hergezogen. Nun ja, ein kleines Häppchen hätte man sich womöglich noch einpacken lassen können...
Wir taten jedoch nichts dergleichen, sondern spazierten erst einige Zeit uns locker gebend zwischen den hin und wieder doch lukullisch recht verlockenden Auslagen herum, ehe wir begriffen, daß nicht irgendwo ein Tisch mit Schüsseln und Tabletts stehen würde, sondern diese ganze Abteilung hier das Buffet des Abends war, daß man hemmungslos drauflos fressen konnte zwischen den Regalen und Ständen. Hatten wir vorher recht und schlecht die Fassung wahren können, so drohten nun die Knie des an Schlichtheit gewöhnten DDRlers plötzlich nachzugeben, butterweich einzuknicken, auf das die ganze Gestalt lang auf den Boden hinschlüge. Nur die in jahrelangen Betriebsversammlungen erworbene Selbstbeherrschung bewahrte indessen vor dem Zusammenbruch und ließ uns sogar einige Male in einem Anfall aufkommender Dreistigkeit auf einzelne Tresen zugehen, an Ort und Stelle aber vorsichtshalber so tun, als hätten wir rein aus journalistischem Interesse heraus einmal nach einem Namen sehen, ein Stäubchen entfernen oder etwas notieren wollen.
Erst als man rings um uns bereits herzhaft am Kauen und Mampfen war, an dem Tisch, an dem wir uns in krampfhafter Unterhaltung den Eindruck zu geben versuchten, als fechte uns das alles nicht im mindesten an, ein Herr markerschütternd die Schale eines Hummers krachend zerbiß, wagte ich einen ersten Vorstoß. „Sagen Sie, wäre es möglich, eh, ich meine, könnten wir von dem...??“
„Hände weg!“ herrschte eine dralle Serviererin. „Sie werden hier bedient, Sie brauchen nur zu sagen, was Sie wollen, wir sind ganz für Sie da!“ Und schon wuchten wir unsere Teller mit einem Berg von Schwarzwälder Fleisch- und Wurstspezialitäten beiseite... Als dies kaum bewältigt ist, springt urplötzlich ein drahtiges Männlein aus einer Nische im Hinterhalt und verstellt den Weg: „Ich sehe Ihnen an, daß Sie Spargel essen wollen. Nein, sagen Sie nichts, wir lesen Ihre Wünsche von den Augen ab. Sie wollten eben Spargel mit in Öl gehackter Gemüsemarinade!“
„Aber ich...“
„Bitte sehr. Und hinterher gleich den köstlichen Nußquark von der Firma L. im Glase, der passende Nachtisch für jede Delikatesse!“
Da ich auch noch ein Glas mit Orangensaft in der Hand habe, balanciere ich vorsichtig die Plastiktellerchen und den Quark zum nächsten Stehtisch. Doch noch bevor ich dem Quark auf den Grund gegangen bin, muß ich süß-saure Pilze testen und einen holländischen Schokomilch-Shake. Als aber der unvermittelt einsetzenden Marschmusik einer mit Pickelhauben bemützten Gendarmenkapelle wegen das Ganze zu Boden und damit zu Bruch geht, falle ich erstmals kurzzeitig auf, habe aber inzwischen hinreichend Selbstbewußtsein gefaßt, um zu begreifen, daß hier jeder auffällt, der nicht so tut, als gehöre diese Umgebung zu seinem täglichen Einkaufsparcours.
Mit der kalten Dreistigkeit eines an allen Buffets beheimateten Spezialitätenjägers greife ich mir einen Teller Austern, träufle routiniert Zitrone über den widerlichen Glibberkram und ringe hinterher gute fünf Minuten mit einem heftigen Brechreiz, was die umstehenden Leute zu der Vermutung bringt, ich bilde mit dem lustigen Mr. Robot, der eine Dekorationspuppe mimt und hin und wieder ahnungslosen Gästen mit einem Stöckchen eins auswischt, ein Entertainer -Duo. Als meine Augen langsam wieder den Weg in ihre angestammten Höhlen angetreten haben, beschließe ich, zunächst etwas vorsichtiger zu sein und mich auf Bekanntes zu beschränken. Um den noch immer Zunge und Mundhöhle wütend verheerenden Geschmack eines unvorbereiteten Bisses in mit fauligem Seetang belegten Küstensand nach einer Ölkatastrophe herunterzuspülen, schlendere ich als nächstes die Spirituosenstraße entlang und nehme jeweils eine Probe eines weichen Sherrys, ein Glas Moselwein, teste Fruchtcocktails, Tropentrünke und Pfirsichlikör, herben, trockenen, halbtrockenen und lieblichen Burgunder sowie einige namenlose Feuerwässerchen, die gleichfalls guttun. Die widerwärtige Auster ist jedenfalls vorerst vergessen.
Dafür macht sich wohlige Wärme in meinem Inneren breit, und ich beginne mich so recht wohlzufühlen inmitten all des Freßkrams. Im Vorbeigehen schiebe ich ein halbes Tableau Gebäck zusammen und stopfe es mit einem Zuge, auf Ex sozusagen, in den Mund, daß selbst die Serveuse unter dem Häubchen staunen muß. Dieweil ich Prager Schinken und Salami auf einen Teller schichte, erklärt nebenan eine Dame dem Buffetier, daß sie diese Würste dort hinten immer für ihren Hundi mitbrächte, worauf der arme Mann ganz weiß wird im Gesicht und stammelt: „Gnädige Frau, diese Delikateßwürstchen sind unsere Spezialität, nichts gegen ihren Hund, aber ich, also ich finde wirklich, ehm...?“ Abwesend und etwas blöde vor sich hin starrend, öffnet nebenan ein anderer Sektflaschen im Akkord. Goldpapier ab, aufdrehen, plopp, Goldpapier ab, aufdrehen, plopp...
Nun, da sich die anfängliche Gehemmtheit mehr und mehr verflüchtigt, macht die Pressearbeit erst so richtig Spaß, man probiert nach Herzenslust überall etwas, spült mit verschiedensten Gläschen nach und läßt sich's überhaupt wohlsein. Ringsherum lockern sich gleichfalls die Sitten, ein großer Strauß mit Lila-Herzen-Luftballons wird geplündert, und bald ziehen die vormals ernsthaften Gäste putzige Strippchen hinter sich her. Ulrike ist da weitblickender und läßt sich nicht auf derart kurzlebige Freuden ein. Sie stopft, was sie kriegen kann, in ihre Taschen, während ich ihr im lärmenden Gewühl gewissermaßen Feuerschutz geben muß und mir vorkomme wie John Wayne ohne Hut. War mir dieses offenbar typisch östliche Mitnehmen bei jeder Gelegenheit anfangs noch etwas peinlich, so beobachten wir beim anpirschenden Herumlungern um eine Kiste mit Schmalzriegeln, die nach einem Himmelsgestirn benannt sind, daß selbst gutsituiert ausschauende Wessis wie zufällig vorbeikommen und hemmungslos in die Kartons greifen, eingeschweißte Schinken scheinbar fachmännisch mit einem wiegenden Händedruck prüfen und statt auf den Haufen in ihre Tasche legen oder gar Servietten mit Wohlschmeckendem vollstapeln... Es scheint ein richtiger Sport zu sein. Man muß nur aufpassen, daß der maßgeschneiderte Anzug nicht gar so beutelt beim Laufen.
Nach der fünfzehnten Weinprobe verspüre ich den schwer bezähmbaren Drang, der einen oder anderen ansehnlichen Dame in den Hintern zu kneifen. Ulrike hält das für ein Alarmsignal, weshalb ich nicht mehr kosten darf, sondern einen Kaffee an der Bar nehmen muß - sie paßt auf, daß ich keinen mit Rum bestelle. Es sieht ungemein komisch aus, wie die Dame, die sich gerade neben mir auf einen Barhocker niedersetzen wollte, durch den Saal taumelt, nachdem ich ihr die Sitzgelegenheit im richtigen Augenblick weggezogen habe. Sie lacht aber nicht mit mir, sondern sieht eher böse aus. Das tut später auch eine Serviererin, deren beachtlichen Vorbau ich mit einem Konfekttrüffelchen schmücken will. „Mein Herr!“ sagt sie, worauf ich mich mit mehreren Kratzfüßen entschuldige und zum Zeichen meiner Reue bei jeder Verbeugung die Schöße meines Jackets wie ein Pfau hochschlage, weil ich meine, damit besonders Eindruck zu machen. Ulrike ist aber auch damit unzufrieden und hat an meinen Manieren immer etwas auszusetzen.
Der Kaffee ist zwar gut, kann mir aber den Spaß an der Party nicht nehmen. Die Bemerkung eines Weinspezialisten, in der Flasche sei eine gute „rheinische Traube“, bringt mich auf den Kalauer, dieselbe suchen zu wollen und behufs dieses Zweckes die Bouteille schwungvoll gegens Licht zu halten. Daß sie bereits geöffnet war, hatte ich übersehen, weshalb dieser Gag auf den Weinfreund keinen großen Eindruck machte, jedoch handtellergroße Flecken von den Spritzern auf seinem Hemd hinterließ.
Weil es ohnehin meine Art ist, mich unauffällig in der Öffentlichkeit zu bewegen, wollte ich nur noch rasch das letzte Plätzchen von einem Silbertablett fischen. Irgendwie muß die Gebäckzange aber nicht richtig justiert gewesen sein, jedenfalls entspann sich ein fesselnder Kampf, der noch dadurch erschwert wurde, daß das letzte Plätzchen mir hin und wieder wie zwei vorkam, dann aber wiederum allein auf dem Silber herumlümmelte und partout nicht zwischen die Beißer der Zange wollte. Da ich aber einmal meinen Ehrgeiz daran gesetzt hatte, es mit dem sturen Werkzeug zu fangen, schob ich nach Art der Hockeyspieler das widerborstige Backwerk von einem Rand zum anderen und kam mächtig in Rage. Zuletzt hackte ich den garstigen Keks einfach mittendurch, wobei Umstehende den wütenden Ausspruch gehört haben wollen: „Divide et impera“, was belegt, daß meine solide Schulbildung auch in Augenblicken höchster Konzentration ein gutes Fundament für rasche Erfolge bietet. Als ich letztlich mit der Hand das zerkrümelte Ding griff und in den Mund stecken wollte, applaudierte man um mich her. Noch heute ärgere ich mich, damals nicht meine Visitenkarten bei der Hand gehabt zu haben...
So nach und nach ließ jedoch das Bedürfnis, von den vielen Ständen und Angeboten etwas zu kosten, merklich nach. Im Gegenteil, ein gewisser Widerwille machte sich breit gegen alles Eßbare. Ich stellte mir vor, wie sich die Leute hier drinnen vollstopften und, kaum vor der Türe, sich wieder übergeben müßten. Zweifellos hätte mich dieser Gedanke sehr belustigt, hätten sich nicht selbst in meiner ansonsten sehr gut trainierten Magengegend ernst zu nehmende Anzeichen von Übelkeit bemerkbar gemacht, die mich zu der tiefschürfenden Erkenntnis veranlaßten: „Es gibt Wichtigeres im Leben als Essen!“ Als ich das aber Ulrike erklären wollte, noch untermalt von der Bemerkung, daß mir all das Freßzeug zum Halse heraushänge und sich die Leute nach uns umdrehten, wurde mir klar, daß ich wohl etwas zu laut gewesen sein mußte. Jedenfalls war auch Ulrike mit einigen Mitarbeitern des Hauses gemeinsam der Ansicht, daß wir jetzt besser nach Hause gingen.
Daß wiederum wollte ich damit gar nicht gesagt haben, denn der Anblick der vertretenen Damen wärmte mir doch angenehm das Gemüt, und außerdem kam mir da so ein Kribbeln und Spannen in der Lendengegend auf, das mich immer so gesprächig macht. Frauen gegenüber jedenfalls. Ich versuchte das auch zu artikulieren, muß allerdings irgendwie überrumpelt worden sein und erinnere mich erst wieder der nervenden Vorhaltungen Ulrikes in der S-Bahn, daß uns das KaDeWe bestimmt nie wieder einladen werde. Und daran sei ich schuld. Wahrscheinlich hat sie sich auch als Entschädigung dafür meinen Präsentbeutel genommen, den wir unten an der Tür beim Nachhausegehen bekamen. Ich weiß nicht mal, was drin war.
Jedenfalls scheinen wir Ostdeutschen mit 40. Jahrestagen einfach kein Glück zu haben...
Ralf Schuler
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