: „Guck, jetzt wird's wieder schlaff“
■ „Seelenmord - Abschied vom Mythos Familie“ / Fortbildungsvideo über sexuelle Gewalt entsteht
Im Hulsberger Kindergarten werden für einen Film über die Folgen sexueller Übergriffe Mädchen beim Malen und beim
Würstchenessen gefilmt. Der Mampf- und Quasselbetrieb geht in aller Ruhe weiter, während das Kamerateam hinter den Schein
werfern hockt. Eine schwierige Szene ist dran: Katharina, sieben Jahre, hat ein Würstchen in der Hand und sagt: „Guck mal, jetzt wird es wieder schlaff.“ Erst wollte keine die Szene spielen. Warum ist dieses Thema unaussprechlich?
Der Sinn von Heidrun Mössners Videoprojekt liegt im Vermitteln von Wissen um die Signale kleiner Mädchen, die Erwachsene mißtrauisch machen müßten: „Komische Dinge, unangenehme Berührungen, können Kinder nur Menschen mitteilen, die deutlich zeigen, daß sie im Zweifel auf ihrer Seite stehen. Auch dann, wenn das Kind sich schlecht vorkommt,“ sagt die Filmemacherin.
Aber woher sollen ErzieherInnen und LehrerInnen wissen, wie die versteckten Äußerungen aussehen, die Hinweise auf sexuelle Übergriffe geben könnten? „Kinder sprechen nur über einfache, greifbare Dinge, für Schwieriges, Kompliziertes, Widersprüchliches fehlen ihnen noch die Worte. Es gibt zum Thema keinen Film, keine Dia-Serie, kein didaktisches Hilfsmittel, mit dem Erzieherinnen sich weiterbilden können. Ich kenne alles, was auf dem Markt ist, das meiste ist voyeuristisch. Es werden die sogenannten Opfer als solche vorgeführt. Um Kinder geht es in diesen Filmen nicht. Der Bedarf an
Lehrmitteln ist nach der Erfahrung von Schattenriß (Selbsthilfe- und Beratungsgruppe für mißbrauchte Frauen/d.R.) riesig.“
Seit drei Jahren machen die Schattenrißfrauen Kurz -Schulungen in Kindergärten, Elterninitiativen und für Lehrerinnen, für die nicht geworben werden muß. Täglich gibt es Anfragen, wie man erkennt, daß etwas nicht stimmt. Aus diesem unhaltbaren Zustand kam der Plan zum Drehbuch. Eine Sozialpädagogin, die frisch von der Uni im Hulsberger Kindergarten hospitierte, ist in das Projekt eingestiegen. „Ich erinnere mich an Szenen meiner Berufspraxis, die mir im Nachhinein spanisch vorkommen. Zum Beispiel das Mädchen, welches stocksteif wurde und erstarrte, als bei einem Singspiel ein Junge sie bei der Polka von hinten umfaßte. Es war ein Signal für die Angst vor körperlicher Berührung durch ein männliches Wesen, und das, obwohl der Junge erst sieben war. Das muß nicht zwangsläufig mit sexuellem Mißbrauch zusammenhängen. Aber ich würde verstärkt mich dieses Mädchens annehmen.“
Was kann man unternehmen in so einem Fall? „Zur Mutter würde ich nicht gehen. Nach den Erfahrungen der Schattenriß -Frauen nehmen Mütter ihr Kind oft aus der Einrichtung heraus, weil sie mit dem Problem nicht
konfrontiert werden wollen. Das alles wußte ich nicht, in meiner Ausbildung ist das kein Thema.“ gür
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen