: Run auf schrottreife Abgasstinker
■ Bundesdeutsche Gebrauchtwagenbranche saniert sich an DDR-Nachfrage / Für den Osten Benzinfresser - für den Westen die Kats / Auto-Dealer begehren Ersparnisse der Trabi-FahrerInnen
Frankfurt (dpa) - Einen Lottogewinn mit sechs Richtigen hat die bundesdeutsche Autobranche mit der Öffnung der DDR und der Umstellung auf die D-Mark gezogen. Sowohl für die Hersteller wie für den Handel ist über Nacht ein Alptraum vorüber: Die riesige Halde von durchschnittlich 500.000 bis 600.000 Gebrauchtwagen, die mittlerweile selbst bei sonnigem Konsumklima die Absatzkanäle für Neue verstopft, schmilzt wie Schnee in der Sonne.
Die allgemein gute Nachfrage sowie der „Run aufs West -Blech“ hat die Halde bereits auf etwa 400.000 Pkw schrumpfen lassen. Nach unterschiedlichen Schätzungen sind im ersten Halbjahr 40.000 bis 100.000 Autos in die DDR „abgeflossen“. Für die Gebrauchtwagenexperten von Eurotax Schwacke geht es nach der D-Mark-Einführung aber erst richtig los: „Die Währungsunion wird auf dem bundesdeutschen Automarkt gewaltige Kaufimpulse auslösen.“
Auch die Automobilproduzenten können sich die Hände reiben. Ein stark ausgedünnter Markt mit deutlich gestiegenem Preisniveau treibt auch ursprünglich auf Gebrauchte fixierte Bundesbürger in die Ausstellungssalons von BMW bis Volkswagen. Schon heute ist deshalb sicher, daß die deutsche Autoindustrie ihren 89er Produktionsrekord von 4,56 Millionen Pkw/Kombi noch einmal übertreffen wird. Auch die seit 1987 bestehende Zulassungsspitze von 2,92 Millionen neuen Pkw dürfte Ende 1990 nur noch zweitklassig sein.
Bei den Gebrauchten ist die Preisklasse bis 15.000 DM bereits „wie leergefegt“, berichtet Schwacke-Mitarbeiter Uwe Mertin. Das gelte aber nicht mehr nur für die grenznahen Regionen, da der Handel längst Nachschub aus den anderen Bundesländern geholt habe. Gleichzeitig steigen nach den Beobachtungen von Schwacke die Preise, wobei eine überdurchschnittliche Verteuerung von mehr als 13 Prozent bei älteren Fahrzeugen der unteren Preisklasse festzustellen ist.
Der „Sechser im Lotto“ ist für den Handel allerdings nicht nur die absolut gestiegene Nachfrage, sondern die spezielle Käuferstruktur der DDR-Bürger. Jahrzehnte darin geübt, Uralt -Trabis mit Tüftler-Geschick am Laufen zu halten, gehen viele Autos weg, die hierzulande längst als Schrott eingestuft werden. Gerade die älteren Modelle mit noch wenig Elektronik sind bei den Bastlern gefragt. Auch der fehlende Katalysator ist keineswegs ein Hindernis. Selbst hier unverkäufliche Exoten wie gebrauchte Lada- und Skoda-Modelle stehen kaum noch auf den Höfen der Händler.
Das Gedrängel an den DDR-Sparkassenschaltern Anfang dieser Woche bei durchschnittlichen Auszahlungsbeträgen von 5.000 bis 15.000 DM läßt die Branche weiter hoffen. Autos standen nämlich vor Kühlschränken und Waschmaschinen auf der Wunschliste für langlebige Konsumgüter. „Der Nachfrage-Schub wird sich auch auf großvolumigere Gebrauchtfahrzeuge positiv auswirken“, lautet die Markttendenz von Schwacke.
Hinter vorgehaltener Hand werden auch die Nachteile dieser Goldsträhne gesehen: „Die alten Benzinfresser und Abgasstinker gehen rüber, während hier nur noch Kat-Autos angeboten werden“, meinte ein Frankfurter Händler. Die schon bestehende Umweltbelastung in der DDR durch veraltete Industrien, Heiztechniken und Zweitakt-Trabis werde dadurch zusätzlich erhöht. Im Gegensatz zur allgemeinen Vorstellung ist im Trabi-Land die Verkehrsdichte weitaus höher als angenommen. Auf 1.000 Einwohner kamen 1989 bereits 235 Pkw. Selbst Japan mit den Autoriesen Toyota, Nissan und Mitsubishi liegt mit 251 nicht wesentlich höher. In der voll motorisierten Bundesrepublik kommen 500 Pkw auf 1.000 Einwohner.
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