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Das Militär als zoologische Sensation

■ Zur aktuellen Wehrdienst- und Nato-Debatte

KOMMENTARE

Jede halbwegs neue Theorie über das plötzliche Verschwinden der Dinosaurier erfreut sich großer Medienaufmerksamkeit. Schweigen dagegen über die These allerdings, daß sie sich, in transformierter Form, zum Herrn der Welt aufgeschwungen haben: als riesenhafte Panzerechsen mit minimalem Hirn, als Militär. Nur weil man die Vorzeit-Kolosse mit dem schmalen Verstand für radikal ausgestorben hält, gelten Veranstaltungen wie der Nato-Gipfel vergangene Woche nicht als zoologische Sensation. Liest man hingegen die Beschlußprotokolle, etwa die Feststellung, Atomkriege wolle man nur im äußersten Notfall führen, dann wird klar: Die Nato ist kein Fall für Politologen und auch nicht für psychiatrische Paranoia-Experten, hier helfen nur die Paläontologen.

Die Bundesregierung hat diese Diagnose in diesen Tagen gleich mehrfach unterstrichen: Mit einem gigantischen Militär-Etat, dessen penetrante Aufblähung durch ein paar Buchhaltertricks nur notdürftig wegparfümiert wurde. Und mit einem grandiosen Abrüstungssignal nach Wien: Die Bundeswehr soll um 35.000 Mann reduziert werden, dafür kommen 50.000 NVA-Soldaten hinzu.

Damit das „positive Signal“ (Stoltenberg) nicht zu deutlich ausfällt, werden die 35.000 nicht gleich nach Hause geschickt. Der Truppen-Bestand wird vielmehr langsam ausgedünnt, die Wehrdienstzeit von 15 auf 12 Monate verkürzt, verbunden mit „konkreten Vorschlägen für eine effektivere Nutzung der kürzeren Wehrdienstzeit“. Nur weil wir sie für ausgestorben halten, können wir die Saurierhaftigkeit dieses Stoltenberg-Satzes nicht erkennen sie fließt ohne weiteres und ohne jeden Kommentar durch die Nachrichtenagentur-Kanäle. Wie Waffen ohne Feind „effektiver“ genutzt werden sollen, diese Frage darf man den Militärs nicht stellen, dann glotzen sie wie Panzerechsen.

Eines aber unterscheidet unsere Militärs ganz wesentlich von den Tyrannen der Vorzeit: Während Tyrannosaurus und Co. autonom durch die Sümpfe stampften und Schrecken verbreiteten, lebt das Militär ausschließlich als Parasit. Nur durch Millionen von Wirtspflanzen konnte es überhaupt zu seiner Größe anwachsen. Solange die steuerzahlenden WirtInnen nicht den Saft abdrehen, haben die Dinosaurier ihre Rechnung immer mit dem Wirt gemacht.

Mathias Bröckers

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