: „Bevor du zu salzigem Meerschaum wirst...“
■ „Traumbilder“ der Klasse Elfie Fröhlich des Fachbereichs 11 der Hochschule der Künste
Es ist eine Ausstellung, aus Luft gemacht, als ob Daunenfedern an die Wände geheftet wären, dazu ein paar Gänsekiele. Dabei handelt es sich um Fotografie, um Materialstudien und manchmal zu nahe Zugänge zum Gegenstand.
Katharina Stolper hat eine „Zunge“ von einem Rind fotografiert. Man sieht nur Schleimhäute, aber eigentlich sieht man Schamlippen und Penisansätze, ob es euch gefällt, liegt wirklich an euch. Zwei Makroaufnahmen, 16fach wiederholt, lassen Verwirrung entstehen. Zwei plakatgroße Portraits von Ines Reißling „Melodramatische Variante der Neuzeit“ schneiden durch den Raum in greller Deutlichkeit. Es sind Selbstportraits mit Tränen, Schnulzlippe und Kitsch, in Momenten der Selbstvergessenheit beobachtet. Mit Schlangenhaaren, die den Kopf umwehen.
Frieder Wolfram zeigt sich selbst mit der Kamera im Bild als „Selbstprotrait Solarisation“ - vier riesige Vergrößerungen, für die sein Gesicht entschiedene Mustermarkierungen hergibt. Das Selbst findet sich auch bei Heike Winter, Karine Azoubis und Heike Behling. Von Heike Winter flattern kleine, sechs mal sechs Zentimeter große Expressiv-Aufnahmen durch den Raum, überall plötzlich als Überraschung auftauchend. Karine Azoubis läßt sich selbst privat zu Hause sein, ruhig, gelöst und in fröhlicher Eitelkeit. Sie fädelt sich dann in unterschiedliche Goldrahmen und flattert darin herum. Heike Behling zeigt sich selbst in „Traumbildern“ im Verschwinden begriffen, weiß nicht, ob sie eigentlich ganz da sein möchte, ihre Körperkontur an einem Papier-Horizont verweht. In den Rahmen hineinkomponiert werden die auf eine farbige Leinwand geklebten Fotos zur Ganzheit.
Frank Wouwras Portraitgegenstand ist ganz abgewendet, findet nur eine formale Korrespondenz mit metallischen Sternformen eines Gitters, die eine utopische Harmonie bilden und so das Versprechen des Fotos halten. Sabine Winderl hat Akte fotografiert, aber was sind Akte? Wüstenlandschaften, Sanddünen, es sind Wirbelsäulenansätze am Hals, klein und fein, und doch ist die ganze Unendlichkeit der Wüste in ihnen.
Drei Fotoinstallationen ziehen sich vertikal durch die Zeit: zum einen Isolde Morshäusers „Maulwurf mit Spaten auf der Suche nach dem Licht“ - es zeigt das Werden und Vergehen im Märchenland, und ein blaues Lämpchen leuchtet immer. Alle Fotos sind überwacht von einem riesigen Nagel, den vielleicht die Sieben Zwerge bei sich hatten, und man sieht Wasser und Schatten, einen Frosch, aus dem wir alle wurden, eine Drahthandprothese, die wir alle brauchen werden, und einen Werwolf, der uns allen noch begegnen wird, schließlich einen Himmelsaufbruch, in den hinein die Gegenwart einfach läuft.
Unaufgeklärte Geheimnisse sind alle Bilder von Bente Geving, neun Fotografien, die dem indiskreten Blick die Tür aufgemacht haben, der nackte Mann liegt auf dem Bett und hält sich die Hand vors Gesicht. Das Streiflicht über die Oberschenkel einer Frau kommt nicht sehr weit und sonderbare Rücken stehen in der Nacht an komischen Ecken herum. Drei verschwommen-bizarre Schwäne schwimmen in ihrer Weißhaftigkeit auf der Spitze der Installation und nobody knows, warum sie solche Magie haben.
Chrsitine Schmerse hat in ihrer Fotoinstallation die Vorgänge beobachtet, „Bevor Du zu salzigem Meerschaum wirst“: Da liegt schwarzer Granitsand zu den Füßen, vor dem Verschlucken im Dunkel flimmern noch Schuhe unter einem Fischskelett. Das Märchen von der Meerjungfrau ist ins Video eingegangen, woraus dann wieder Fotografie wurde, aber wir werden schon trotzdem noch zu salzigem Meerschaum werden.
Konkret im Wechselspiel zwischen Abbild und Wirklichkeit ist die Arbeit von Claudia Schmähl, die - wie fast alle Arbeiten in dieser Ausstellung - „Ohne Titel“ heißt. Ein plakatgroßes Schwarz/Weiß-Foto bringt die Rundung eines Baumes ungeheuer konkret zur Geltung, das Relief der Borke ist greifbar nah. Dagegen befindet sich zur Linken die Positiv-Umdrehung, auf einer Litfaßsäule sind rundherum 50 Borkenstücke befestigt, blau, rot, gelb, weiß bemalt, was ist nun wirklicher?
Ebenso hat Anja Knecht die Wirklichkeit auf die Spitze getrieben, drei Fotobahnen „The Pencil of Nature“: Was die Natur gemalt hat, war die Farbe. Es gibt eine grüne, eine gelbe und eine rote Farbbahn, die Vergrößerungen von Naturzentimetern sind. Und die Natur setzt sich wiederum zusammen - die Fotografie malt ihr eigenes Bild aus dem Korn, aus den Partikeln der Farbe.
Die Ödnis für den normalen Blick zeigt Stefan Schmitt mit „Acht Einfahrten“ - klassisch korrekte Fotografien von Autobahneinfahrten, Autolein, Autolein, du sollst wandern, von der einen Autoeinfahrt zur andern. Konkrete Fotografie ist auch Marc Birkhölzers Aufnahme „Keine Grenzöffung vom 14.11.89“. Viele, viele östliche Grenzsoldaten stehen da und wissen nicht, warum. Warum alles, warum nichts, warum sie? Ihre Konturen lösen sich deutlich im Dunst auf.
Anne Heike Grüneke war in Rom und hat sich dort die Besinnung nehmen lassen: „Klangbild Rom“ ist eine sehr beeindruckende Umsetzung von Akustik, nämlich Verkehrsgeräuschen in Zeichnung, die schrittchenweise verrückt, um eine Fotografie des Kollosseums laufen, wo sie entstanden sind. Kaum noch Fotografie ist Isabell Watrin's Reiskomposition. Auf schwarz-halbmondförmig gerissenem Karton fliegen schwarze und sehr wenig weiße Reiskörner herum, sie berühren Sprache, Schrift Drucküberfluß, huschen über kaum noch als Fotografie Wahrnehmbares und haben sich so doch immerhin ihr Leben bewahrt.
Dietmar Weiermann goes back home: „Gegenstände der Erinnerung“ sind seine Sache, Fotos real-sentimentaler Privatheit, vertreten durch Teekanne, Bett, Kissen, Sofa; daneben hart-reale Dine wie Wecker, Farnzweig, Ludwid -Ganghofer-Buch.
„Traumbilder“ war Thema des Seminars bei Elfie Fröhlich und so wurde vorwärts, rückwärts, mittewärts geträumt. Auch die Komposition dieses Ausstellungsraumes Lieztenburger Straße 45 hat etwas von einem Traum...
Sophie Ferdinand
Bis 22. Juli 90 täglich von 10 bis 20 Uhr, außer samstags, Lietzenburgerstraße 45.
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