: Verbotene Galerie-Zonen
■ „Räume“ - Improvisationen über Licht-Bilder im Arsenal
Auch heute begegnen einem in Bernau noch manchmal amphibienartige Fahrzeuge in braunem Moosgrün und erscheinen, wenn sie so über das Kopfsteinpflaster dahinbrausen, wie Beton aus El Alamein oder anderen unwirklich-ereignisreichen Gegenden. In der kleinen Kreisstadt nordöstlich von Berlin sitzen sowjetische Soldaten hinter dem Steuer solcher Autos. Ungeschützt, zu Fuß, sieht man sie immer seltener, obwohl ihnen Bernau ja fast gehörte (Rose Schulze). Damals. Und aus jener Zeit stammen die Dias zu einer von vier Improvisationen über Licht-Bilder, die am Samstag im Arsenal-Kino zu sehen waren. Rose Schulze hat die Dias fotografiert, bearbeitet, zusammengstellt und überblendet. Georg Katzer und Wolfgang Fuchs begleiten die Show mit elektronischer Musik.
Drei Jahre lang ist Rose Schulze den Unnahbaren und ihren Frauen heimlich gefolgt, in die verbotene Zone. Bekannte in der Stadtverwaltung von Bernau hatten die Künstlerin informiert, wann welche Kasernen geräumt wurden (ohne daß ihr Grund und Ziel der Truppenbewegung klar waren) und wo die Schlupflöcher in den Zäunen waren: „Man spürte noch den Atem der Leute.„ Rose Schulzes Dias dokumentieren den Auszug der sowjetischen Soldaten, ohne so zu tun, als würde sie bei dieser „spionageverdächtigen“ Recherche etwas von deren Leben verstehen. Im Gegenteil: Es sind verbotene Bilder zwar, von apokryphen Zeichen und Inschriften in den Wänden von Schlafsälen, von verlassenen Kasinos, mysteriösen Treppenfluchten und Hallen in sonderlichem Gelb und Braun. Aber sie verschließen den Zugang zur Zone wieder, klären nichts auf, entrücken eher. So gleitet man ohne Kraftanstrengung, weil jede terrestrische Orientierung aufgehoben ist, schwerelos von Dia zu Dia in noch fremdere Räume, manchmal auch hinaus auf den Kasernenhof, wo Schatten von in Stein gehauenen Soldaten wachen. Georg Katzer und Wolfgang Fuchs schienen sich bei ihrer Improvisation zu dieser Serie leider etwas zu fest vorgenommen zu haben, in jedem, aber auch wirklich in jedem Zuschauer die Erinnerung an Tarkowskis „Stalker“ wachzurufen. Einzig das Geräusch, wenn das Magazin beim Bildwechsel sein profanes Hartplastik -Klicken von sich gab, verhinderte die akustische Perfektionierung eines synthetischen Filmkulisseneffekts.
Rose Schulze erzählte, daß sie, als sie jüngst zum ersten Mal mit offizieller Genehmigung hätte fotografieren können, das Projekt für sie abgeschlossen gewesen sei. Früher habe sie in den verlassenen Kasernen solche Angst gehabt, daß wegen ihrer zittrigen Hände viele der Dias verwackelt seien. Ohne diese Angst aber verschwinden wohl auch die scharf imaginierten Bilder, die sie in den verlockenden Räumen hinter den hohen Zäunen gesehen hat, vom geheimnisvoll -sehnsüchtigen Soldatenleben in der Zone, mitten in Bernau.
Hoffentlich waren nicht so viele Galeristen im Publikum, die, weil sie mittlerweile schon sämtliche Kreuzberger Keller ausgefegt und illuminiert haben, durch die Bilder von Rose Schulze auf neue, verkaufsfördernde Räume aufmerksam geworden sind. Ein paar logistische Anweisungen nur, und die Kasernen würden vom mächtigen Imperium des Kunstgewerbes einverleibt.
Dorothee Wenner
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