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Keine Lust auf Sportvereine

■ Feministische Sportwissenschaft in Theorie und Praxis: das „Bewegungs- und Kommunikationszentrum für Mädchen und Frauen“ in Brochterbeck

Von Ulli Klausmann

Münster (taz) - Zierlich, leise und schwerelos soll sie sein, die Kunstturnerin. Grazil läßt sie ihre Arme in den Raum wachsen, mit der gespreizten Fingerhaltung einer Ballerina. Der Turner hingegen streckt seine Arme und die flachen Hände entschlossen gen Himmel.

Bei der Weltmeisterschaft 1983 betrug die Gewichtsnorm der Kunstturnerinnen 0,28 bis 0,3 Kilogramm pro Zentimeter an Körperlänge. Das bedeutet: eine 1,70 Meter große Frau darf nicht mehr wiegen als 51 Kilo. Für Männer gibt es ein solches Schlankheitsdiktat in keiner Sportart, lediglich Jockeys dürfen nicht zu schwer sein, damit ihre Pferde schnell genug rennen können.

„Weibliche Körperambivalenzen am Beispiel der Kunstturnerin“, hieß der Beitrag von Lotte Rose auf einer Fachkonferenz des sportwissenschaftlichen Instituts der Universität Münster. Das Thema der Tagung: Frauen forschen in der Sportwissenschaft.

Feminismus und Sport - das ist eine relativ junge Verbindung. Der Schwerpunkt Frauenforschung in der Sportsoziologie, wie die Professorin Sabine Kröner ihn in Münster ins Leben gerufen hat, ist noch eine Rarität. Die Feministinnen haben sich bisher kaum für Sport interessiert, die Sportlerinnen wenig für Feminismus. Daß sich das ändert, bewies die Tagung im Münsterland.

Wie feministische Sportwissenschaft in Theorie und Praxis aussehen kann, zeigt das Modellprojekt „Bewegungs- und Kommunikationszentrum für Mädchen und Frauen“. Sabine Kröner und ihre Mitarbeiterinnen von der Uni Münster haben dieses gut organisierte und finanziell reichlich unterstützte Forschungsprojekt aufgebaut. Eine ehemalige Grundschule mitten auf dem Land (in Tecklenburg-Brochterbeck) ist umfunktioniert worden zu einer Begegnungsstätte nur für Frauen und Mädchen. Das Angebot reicht von der Wirbelsäulengymnastik bis zur Selbstverteidigung, es geht auch weit über den sportlichen Bereich hinaus; auch Fotokurse und Gesprächskreise werden hier durchgeführt. Die Teilnehmerinnen sind zwischen 3 und 83 Jahre alt und kommen aus dem Umland. Das Zentrum ist bislang eine in der BRD einmalige Einrichtung.

Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt war die Analyse der bundesdeutschen Sportkultur, aus der Frauen weitgehend ausgeschlossen werden. Der Deutsche Sportbund (DSB) beklagt, daß nur ein Drittel seiner 20 Millionen Mitglieder Frauen sind. Warum haben Mädchen und Frauen keine Lust auf Sportvereine? Die vielzitierte weibliche Sozialisation kann nicht der einzige Grund sein. Den Statistiken nach bevorzugen Mädchen individuelle, friedliche Sportarten wie Turnen, Gymnastik, Reiten. Das sind Disziplinen'in denen Körperkontakte oder körperliche Auseinandersetzung genauso wenig Bedeutung haben wie Solidarität und Teamgeist. Die den Jungen vorbehaltenen Wettkampf- und Mannschaftssportarten sind gesellschaftlich höher bewertet und werden auch im DSB mehr gefördert. Überbietungssport ist gefragt. Die Anstrengungen des DSB, durch Förderpläne mehr Frauen zu gewinnen, müssen scheitern, solange nur auf Mitgliedszahlen geachtet wird und nicht auf Inhalte.

Als gescheitert angesehen werden neuerdings auch die Koedukationsbestrebungen im Sportunterricht, die in den siebziger Jahren begannen und die dazu dienen sollten, den Mädchen Chancengleichheit im Sport zu verschaffen. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß Mädchen in gemischtgeschlechtlichen Freizeit- und Sportaktivitäten eher noch mehr benachteiligt werden.

Das Zentrum in Brochterbeck soll Mädchen und Frauen die Möglichkeit bieten, sich in einem Zusammenhang zu bewegen, in dem sie nicht als Problemgruppe einer männerorientierten Institution angesehen werden, sondern als handelnde Subjekte, die ihre Bewegungs- und Sportkultur selbst bestimmen können.

Die Tagung in Münster war geprägt von Aufbruchstimmung, von dem Gefühl, daß hier viel zu tun ist und viel passieren wird. Vielleicht lag es daran, daß im Fach Sport der Bezug zur Praxis einfacher ist als in anderen Fachbereichen. Die Aussichten sind gut, daß in diesem Bereich der feministische Anspruch, Theorie und Praxis nicht voneinander zu trennen, endlich einmal verwirklicht werden kann.

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