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Ridley hat nur gesagt, was andere denken

■ Der britische Industrie- und Handelsminister zog am Samstag Konsequenzen und erklärte seinen Rücktritt

PORTRAIT

Von Ralf Sotscheck

Nicholas Ridley, der britische Industrie- und Handelsminister, hat am Samstag seinen Rücktritt eingereicht. In einem Interview mit dem 'Spectator‘ hatte Ridley am Donnerstag die europäische Währungsunion als „Gaunerei der Deutschen“ bezeichnet. Die Abtretung der britischen Souveränität an die Europäische Kommission verglich er mit einer „Unterwerfung unter Hitler“, die französische Regierung mit einem „Schoßhündchen der Deutschen“. Ridley nahm zwar noch am Tag der Veröffentlichung seine Äußerungen „uneingeschränkt zurück“, doch Premierministerin Margaret Thatcher konnte ihn nicht mehr halten. Unterstützung erhielt er lediglich von einigen Tory-Hinterbänklern: „Irgend jemand mußte das ja mal sagen“, meinte ein Abgeordneter. Bereits eine Stunde nach Veröffentlichung des Interviews hatten acht Parlamentarier im Parteibüro ihre Übereinstimmung bekundet. Der 'Independent on Sunday‘ schrieb: „Während die meisten Menschen für ein vereintes Deutschland sind, fürchten viele eine Rückkehr zum Faschismus, und die Erinnerungen an den Krieg sind noch weithin wach.“

Darüber hinaus wurde gestern das Protokoll eines Treffens im März zwischen Thatcher, Außenminister Douglas Hurd und sechs Beratern bekannt. Darin heißt es, daß die Deutschen sich zwar geändert hätten, doch seien sie weiterhin „aggressiv, brutal und egoistisch“. Zu den deutschen Charaktermerkmalen gehörten „Minderwertigkeitskomplexe, ein Hang zum Selbstmitleid und die Sehnsucht nach Beliebtheit“. Dennoch schließt das Protokoll: „Wir müssen nett zu den Deutschen sein.“

Ridleys kontroverse Äußerungen sind also keineswegs der „Ausrutscher eines betrunkenen Ministers“. Ridley hatte bereits in der Vergangenheit heftig gegen Großbritanniens Beitritt zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion opponiert. Er mußte jedoch erkennen, daß die „Pro-Europäer“ im Kabinett, vor allem Hurd und Finanzminister John Major, immer mehr die Oberhand gewannen. Das 'Spectator'-Interview war daher ein verzweifelter Versuch, das Blatt zu wenden auch auf Kosten des eigenen Jobs. Immerhin teilen laut einer Meinungsumfrage von gestern 30 Prozent der BritInnen seine Ansicht, daß die deutsche Einheit eine Gefahr für den Frieden in Europa darstelle.

Als Aristokratensohn genoß Ridley zwar eine Ausbildung am traditionsreichen Eton-College, doch von britischer Zurückhaltung war bei ihm nichts zu spüren. Der 61jährige Kettenraucher bezeichnet sich selbst als „ersten Thatcheristen - lange vor Thatcher“. 1972 trat er aus der Heath-Regierung aus, weil sie ihm zu liberal erschien. Thatcher holte ihn wieder zurück und machte ihn zum Staatssekretär im Außenministerium. In dieser Funktion mißgelang es ihm gründlich, dem Unterhaus einen Pachtvertrag mit Argentinien über die Falklands zu verkaufen - der Malwinenkrieg war die Folge. Auch als Umweltminister machte er sich keine Freunde: Er bezeichnete Umweltschützer als „Pseudo-Marxisten“ und veranlasßte den Bau einer Entlastungsstraße durch einen Nationalpark. Ebenfalls in seinen Bereich fiel die Planung der umstrittenen Kopfsteuer. Vor einem Jahr nahm Thatcher ihren Anhänger aus der Schußlinie und versetzte ihn ins Industrie- und Handelsministerium. In einem Brief an Ridley bedauerte Thatcher am Samstag den Rücktritt und schrieb, sie werde die loyale Unterstützung für die Politik, „an die wir beide zutiefst glauben“, sehr vermissen. Zu seinem Nachfolger wurde Staatssekretär Peter Lilley vom Finanzministerium ernannt.

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