: Handelsvertreter Kohl in Moskau
■ Bundeskanzler Kohl und Gorbatschow geben sich zuversichtlich, Nato-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands und Truppenstärke einer gesamtdeutschen Armee demnächst zu klären
„Nun haben wir euch schon einverleibt und jetzt müßt ihr auch noch draußen bleiben“, flachste ein bundesdeutscher Pressemensch vor dem Gästehaus des Außenministeriums der UdSSR in der Moskauer Uliza Tolstoi. Sowjetische Sicherheitsbeamte wollten die DDR-Journalisten partout nicht passieren lassen. Man hatte einfach nicht an sie gedacht, als man den kleinen Kreis zum Tete a tete der beiden Großen geladen hatte. Jovial kümmerte sich besagter Journalist um die Klärung des Falles: „Gegen euch haben wir ja nichts, aber womöglich schleichen sich noch Angelsachsen ein“. Ja, der Ridley-Effekt sitzt tief. Nur schade, daß die Upper -Class-Insulaner immer nur dann offen die Wahrheit sagen, wenn sie einen in der Krone haben.
Geulkt wurde viel an diesem Morgen. In der bundesdeutschen Delegation um Kohl, Genscher und Waigel herrschte Sektlaune. Und auch der müde Präsident tat sein Bestes, um zur Aufheiterung der Atmosphäre noch beizutragen. Aber halt! Nicht ganz. Den totalen Höhenflug wollte er den Deutschen nun doch nicht gönnen. Denn er hätte auch seinen Außenminister Schewardnadse allein in die Pressekonferenz schicken können... Jeder würde ihm nach diesen Tagen dafür Verständnis entgegenbringen. Beide Verhandlungspartner ließen nicht sehr viel raus, aber immerhin soviel, als wären sie zuversichtlich, in nicht allzu ferner Zukunft Einigkeit über Nato-Mitgliedschaft und Truppenstärke einer gesamtdeutschen Armee zu erzielen. Zum Thema einer neuen vertraglichen Grundlage zwischen beiden Staaten verwies Gorbatschow auf drei Realitäten: „Die erste Realität ist die, daß wir aus der Geschichte gelernt haben, wir müssen zusammenarbeiten. Zweitens ist die BRD unter den westlichen Staaten unser größter Partner und drittens unter den östlichen Staaten die DDR. Wenn man das zusammennimmt, haben wir wirklich etwas zu besprechen.“ In Zusammenhang mit der Nato-Mitgliedschaft bemühte der Generalsekretär den Vor -Sokratiker Heraklit, der das Werden in den Mittelpunkt seines Denkens stellt. Und jetzt „To Tanta rei“ - alles ist im Fluß, nichts verharrt“ meinte Gorbatschow, wohl wissend, daß es sich bei Heraklit um den Begründer der Dialektik handelt. Insofern blieb er Erkenntnistheoretisch wenigstens bei der Stange. „Wir müssen ein paar kleine Nüsse knacken, aber wir haben auch gute Zähne und wir werden sie knacken“, lachte der abgespannte aber deswegen nicht weniger präsente Generalsekretär und der ewig grinsende braungebrannte Kanzler nickte und nickte in der Vorfreude, daß nach Nikolaus Weihnachten kommt. Allerdings hatte Gorbatschow gleich zu Anfang klargestellt, daß der Gabenkorb diesmal noch nicht so reichhalig ausfällt. Es sei ein Arbeitstreffen, „die Diskussion wird aufgewärmt und ich würde sagen, es wäre zu früh, ein Fazit zu ziehen“. Es sei ein Gebot der Zeit, die strittigen Fragen anzugehen „und das persönliche Verhältnis zu Helmut Kohl erleichtert es uns, Fragen nicht auszuweichen, egal wie schwierig sie auch sind“. Der Kanzler konnte seine Freude kaum verbergen. Beim Frühstück haben beide mündlich denn auch schon zwei Verträge geschlossen, die etwas mit Bier zu tun haben müssen: „Mindestens zwei Brauereien werden wir bauen“, schmunzelte der Präsident, der seine Dienstzeit ausgerechnet mit einer Anti-Alkoholkampagne angetreten hatte. Das wird dem chronischen Biermangel zwar hier auch keine Abhilfe schaffen. Aber immerhin.
Nach Finanzhilfen befragt, sagte Gorbatschow mit entschlossener Stimme: „Wir bitten nicht um Almosen. Wir stehen vor einem großen Manöver, von einem Wirtschaftsmodell auf ein anderes überzugehen.“
Klaus-Helge Donath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen