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„Gegen Oma hab ich jetzt keine Chance mehr“

■ Am Schulzentrum Rübekamp geht der erste Grundkurs Niederdeutsch in die zweite Runde

„Plattdeutsch - find ich gut“ hat Andre ganz klein unter seinen Plakatentwurf gesetzt, der zum Schuljahresende an alle Bremer Schulzentren verteilt wurde. Und Sylvia sagt: „Gegen meine Oma hab‘ ich jetzt keine Chance mehr.“ Die beiden lernen Nieder

deutsch an ihrer Schule am Rübekamp. „Wenn überhaupt, dann kann Plattdeutsch nur über die Schulen am Leben erhalten werden“, erklärt dazu ihr Lehrer Willy Persuhn vehement. Persuhn selbst ist noch eines der Opfer fehlgeschlagener Schulpolitik

der Nachkriegszeit: „Plattdeutsch ist meine Muttersprache“, betont er zwar. Doch sprechen durfte der Schüler vom „platten Land“ seine Sprache nur Zuhause. „Zum Glück war ich mit einem guten Freund zusammen auf dem Gymnasium in Bremen

-außerdem konnte ich mich als Fußballer ganz gut durchsetzen“, erzählt der heutige Deutsch-, Niederdeutsch und Sportlehrer, wie er sich gegen die erniedrigenden Angriffe der Schulkameraden aus der Stadt erfolgreich zur Wehr setzte: „Plattdüütsch“ galt als die Sprache dummer Bauernkinder.

Mit Diskriminierungen haben die neun Mädchen und zwei Jungen des gerade zu Ende gegangenen ersten Grundkurses Niederdeutsch nicht zu kämpfen. Nur Sonja, deren Vater selbständig ist

und „Einblicke hat in Bewerbungen und Personalpolitik“, macht sich Gedanken darüber, wie sich ein benoteter Oberstufenkurs Niederdeutsch in ihrem Abiturszeugnis auf spätere Bewerbungen auswirken könnte.

„Bei den Behörden haben wir offene Türen eingelaufen“, berichtet Lehrer Persuhn vom formalen Vorlauf des neuen Unterrichtsangebots. Die Fachkonferenz Deutsch hatte dem didaktischen Konzept, Lernzielen und Organisationsform ohne Zögern zugestimmt, so daß seit Januar der Grundkurs Niederdeutsch zusätzlich zu den Deutsch-Leistungskursen lief. Vom nächsten Schuljahr an wird der zweisemestrige Kurs schulübergreifend angeboten: Dann können ihn alle Bremer SEK II-SchülerInnen der Jahrgangsstufen 12 und 13 wäh

len und im Aufgabenfeld I (Sprachen und musische Fächer) in die Abiturqualifikation einbringen.

Willi Persuhn stellt unterdessen gemeinsam mit Jürgen Ludwigs, der Bremer Grundschüler in Platt unterrichtet, im Auftrag der Behörden Unterrichtsmaterial für Grundschule und SEK II zusammen. Beide sind dafür mit halber Stundenzahl freigestellt. Außerdem bereitet Persuhn eine Fortbildungsveranstaltung für interessierte KollegInnen am WIS (Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis) vor.

Die elf Rübekamp-SchülerInnen, die jetzt mit ihren ersten Noten in Niederdeutsch in die Ferien gingen, haben sich das Grundwissen niederdeutscher Grammatik nach dem „Lehrbook for een'n Plattdüütschkurs in 'o Grundschool von't 3. Schooljohr af an“

(Lilienthal, 1989) erarbeitet, da altersgemäße Schulbücher fehlen.

„Platt ist etwas besonderes“, „Platt ist eine humanere, freundlichere Sprache“ sagen die SchülerInnen, die sich bereits vorsichtig in plattdeutsche Gespräche mit ihren Verwandten einmischen. „Eine Nahsprache im Gegensatz zur künstlich hierher verpflanzten Hochsprache“, ergänzt Persuhn. Theaterstücke, Lyrik will der Kurs nach den Ferien angehen und die selbst erarbeiteten Umfragen zu ihrem Projekt auswerten: „Die meisten fanden es gut, Plattdeutsch auf freiwilliger Basis neben anderen Fremdsprachen anzubieten“, berichtet Sonja von den vorläufigen Ergebnissen. „Aber Heimattümelei - die wollen wir nicht“ betonen sie übereinstimmend.

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