: Mit Qualifizierung gegen „heißen Herbst“
■ Modellprojekt: Mit Qualifizierung statt Sozialplänen sichern Tarifpartner und Arbeitsämter DDR-Arbeitsplätze
Mitte. Fortbildung statt Sozialplan: In Ost-Berlin ist die erste Qualifizierungsgesellschaft der DDR gegründet worden. Drei Montagefirmen aus den Bereichen Dampferzeugung, Kraftwerke und Rohrmontage mit insgesamt fast 10.000 Beschäftigten wollen damit rund 1.400 zu entlassenden ArbeitnehmerInnen die Arbeitslosigkeit ersparen. In sechsmona- tigen Qualifizierungsmaßnahmen werden die ArbeitnehmerInnen auf neue Aufgabengebiete geschult. Zum Teil können sie danach mit ihrem neuen Wissen wieder auf ihre alten Arbeitsplätze zurückkehren. Die Unterstützung durch die drei Firmen und das Arbeitsministerium der DDR sichert den ArbeitnehmerInnen immerhin 93 Prozent des Nettolohnes.
Initiiert wurde das Projekt „Qualifizierungsgesellschaft Energie und Umwelt mbh“ durch die IG Metall in West- und Ost -Berlin. „Wir befürchteten einen heißen Herbst mit Massenentlassungen“, so der West-IG-Metaller Volker Fiebig. Ziel des Berliner Modellprojektes sei es, von den herkömmlichen Sozialplänen mit Abfindungen und Entlassungen hin zu einer „innerbetrieblichen Qualifizierung“ zu kommen. Durch die enge Verknüpfung der entlassenden Firmen und der selbständigen Qualifizierungsgesellschaft soll auch die in der BRD übliche Diskrepanz zwischen der Wirtschaft und den rund vierzig existierenden Qualifizierungsgesellschaften überwunden werden. Zudem sollen während der praktischen Fortbildung zum Beispiel an CAD-Rechnern (computerunterstütztes Entwickeln) neue, umweltverträgliche Produkte ent wickelt werden. Die Geräte werden dabei von den drei Gesellschaf ten angeschafft, die Ausbilder kommen voraussichtlich aus dem Westen.
Die zuständige Ostberliner Arbeitsamtbeauftragte Renate Dittberner weist darauf hin, daß auch bei guter Konjunktur nicht alle umgeschulten Personen wieder an ihre alten Arbeitsplätze zurück können. Dies trifft besonders die, die in der Verwaltung beschäftigt sind. Waren bisher rund 21 Prozent der Angestellten in der Betriebsverwaltung tätig, erklärt der Geschäftsführer der Dampferzeugerbau GmbH i.A., Günter Wunderlich, werden es zukünftig „wie in der Marktwirtschaft üblich“ nur noch rund 12 Prozent sein. Für die umgeschulten Verwaltungsfachleute werden Jobs im sich neu entwickelnden Dienstleistungsbereich, zum Beispiel bei Versicherungen und Banken, gesucht. „Wir suchen Firmen, die jetzt schon sagen, daß sie die qualifizierten Leute nehmen“, sagt Wunderlich. Denn dann könne auch hier die Qualifizierung eng auf die zukünftigen Anforderungen abgestimmt werden.
Rochus Görgen
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