: Beschwichtigung und Falschinformation
■ Mit restriktiver Informationspolitik versucht Bonn die Gefahren des Abzugs zu bagatellisieren
Die als geheim und amtlich geheimgehaltene Regierungsvereinbarung vom 19./21.2.90 enthält auf den ersten Blick keine Informationen, die Geheimhaltung rechtfertigen. Schon seit längerer Zeit sind die meisten Fakten bekannt. Sie werden letztlich durch dieses Dokument bestätigt. Die in den Art. 1 und 2 geregelten Abzugsmodalitäten sind z.T. sogar ausführlicher beim sogenannten Medientag am 7./8.3. in Pirmasens bzw. Bonn dargestellt worden. Damals wurden die beiden möglichen Abzugsstrecken genannt, die in der Vereinbarung nicht vorkommen. Auch die Auflistung der einzelnen Konvois, d.h. wieviele Fahrzeuge von Clausen nach Miesau fahren, wie sich die Transportzüge zusammensetzen, wurde schon ausführlicher benannt.
Aus den darauffolgenden Artikeln 3 und 4 wird die Brisanz des Papiers allerdings klar. Denn die Artikel besagen deutlich, daß die Verantwortung für den als „Operation Lindwurm“ bezeichneten C-Waffenabzug in wesentlichen Punkten auf bundesdeutscher Seite liegt. „Die Gesamtleitung der Vorbereitung und des Abzugs der C-Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland obliegt den zuständigen deutschen Stellen... Die Koordination aller zwischen den zuständigen Stellen zu treffenden Maßnahmen erfolgt durch das Sekretariat der IMK-CW (Interministerielle Kommission zu den C-Waffen, d. Red.).“ Ebenso eindeutig ist hier geregelt, daß die deutsche Seite über die Streckenführung sowie „ggf. über eine Unterbrechung/Fortsetzung der Transporte“ entscheidet. Die so oft in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung angeführten Sicherheits- und Souveränitätsinteressen der USA greifen hier nicht. Für die Geheimhaltung des Zeitpunkts und der Abzugsstrecke ist ausschließlich die Bundesregierung verantwortlich. Die von der Regierung Kohl/Genscher eingesetzte Kommission hat seit mindestens drei Jahren Zugang zu sämtlichen Informationen, die die hier gelagerten C-Waffen betreffen. Ebensolange ist die Bevölkerung nicht oder zum Teil sogar falsch informiert worden. Was und ob C -Waffen in Fischbach lagerten und noch lagern, ist beispielsweise unklar. Eine eindeutige Falschinformation war die Behauptung, es gäbe keinerlei beschädigte Granaten. Jetzt ist klar, daß 67 beschädigte Granaten in Spezialbehältern transportiert werden.
Von daher ist es bezeichnend, daß ein langer Passus der Regierungsvereinbarung der Öffentlichkeitsarbeit gewidmet ist. Mit dem Grundsatz „restriktiver Informationspolitik“ bleibt man konsequent auf der Linie der bisherigen Regierungsverlautbarungen. Hierin liegt denn auch neben der durch nichts zu rechtfertigenden Geheimhaltung ein weiterer Knackpunkt der Vereinbarung. Wie die „speziell zu erarbeitenden Richtlinien für die Öffentlichkeitsarbeit“ aussehen, ist in den vergangenen Monaten deutlich geworden: Beschwichtigung statt Fakten oder Information. Nicht die immer wieder von den Verantwortlichen angeführte Sicherheit oder der „Schutz der Bevölkerung“, sondern der konspirativ durchgeführte und rechtzeitig vor der Bundestagswahl im Dezember als Abrüstungserfolg verkaufte Abzug stehen im Vordergrund.
Daß an den Abzug der alten C-Waffen die - vielleicht sogar zeitgleiche - Stationierung neuer binärer C-Waffen in „einem Land Europas“ (die vorhandene Infrastruktur spricht für die BRD) gekoppelt ist, wird ebenso verschwiegen wie die Tatsache, daß der Abzug selbst nicht nach den technisch möglichen und in den USA selbstverständlichen Sicherheitskriterien durchgeführt wird, betrachtet man beispielsweise die „billigen“ MILVAN-Container. Schnelligkeit und niedrige Kosten gehen hier eindeutig vor Sicherheit. Letztlich nährt die Vereinbarung den Verdacht, daß nicht die C-Waffen das Problem sind, sondern die eigene Bevölkerung.
Johannes Baare
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