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Katerstimmungbeim Mäusezählen

■ Ostberliner Kulturarbeiter und Funktionäre klagen regelmäßig gemeinsam am „Kulturtisch“

Jeden ersten und dritten Montag im Monat findet in der Ostberliner Magistratsverwaltung für Kultur eine merkwürdige Zusammenkunft statt. In einem ovalen, holzgetäfelten Raum, dem auch eine Goethe-Büste nicht die Erinnerung an des Führers Innenarchitekten nehmen kann, versammeln sich um einen langen Tisch Vertreter von Kulturinitiativen, Verbänden und kulturellen Einrichtungen der Stadt, um von ihrer seit zwei Monaten regierenden Stadträtin für Kultur Auskünfte einzuholen. Und weil diese DDRler hoffnungslos sentimental sind und ihre Autoritätsgläubigkeit gern mit der Erinnerung an revolutionäre Zeiten mischen, haben sie diesen Gesprächskreis „Kulturtisch“ genannt.

Berlins Stadträtin für Kultur heißt Frau Dr. Irana Rusta und wird von der SPD gestellt. Wie alle PolitikerInnen hat auch sie wenig Zeit und läßt sich zuweilen vertreten. So auch am letzten Montag, als wieder einmal gut zwanzig Leute erwartungsvoll am „Kulturtisch“ einer kompetenten Amtsperson harrten. Vergeblich, denn als offizielle Vertreterin des Magistrats präsentierte sich Frau Dr. Liedtke, Musikwissenschaftlerin und SPD-Mitglied, aber erst seit ein paar Tagen im Rathaus und völlig unbedarft. Ab und an meldete sie sich mit einem „Ja, das ist an unseren Musikschulen genauso“ zu Wort, hörte aber ansonsten mit traurigem Gesicht den Klagen der Versammelten zu.

Über welche Fragen gesprochen wird, bestimmt der Tisch selber, doch wie das Thema auch heißt, es geht schließlich immer nur um das Geld, das man nicht hat. Und auch das Szenario dieser Treffen ist reichlich stereotyp: Die Vertreterin der Stadträtin eröffnet, stellt sich vor, würdigt die Runde und entschuldigt sich für die Abwesenheit ihrer Chefin. Dann die ersten Fragen nach den noch ausstehenden Antworten vom letzten Mal. „Weiß ich nicht, kenne ich nicht, können wir noch nicht sagen...“ Noch immer kann man keine Angaben über den Kulturetat der Stadt machen; weniger soll es werden, ein Drittel weniger als bisher, doch wieviel Geld die Verwaltung vorher hatte, weiß man nicht. Die am Tisch Versammelten scheint jedoch soviel Blauäugigkeit nicht zu erschüttern. Unbeeindruckt fahren sie fort, ihre Sorgen auszubreiten: Den Bibliotheken fehlen 500.000 DM um ihre in einer Säuberungsaktion um 250.000 Bände geschrumpften Bestände aufzufüllen. Über 80.000 Leser sind bereits in den Westen abgewandert. Der Verband Bildender Künstler will für seine Büroräume Mietfreiheit zugebilligt bekommen. Der Galerie Unter den Linden wurde vom Hauseigentümer Textil-Commerz gekündigt. Nun beklagt die Chefin der kommerziellen Galerie die Schattenseiten der Marktwirtschaft: „Das widerspricht doch unserer humanistischen Einstellung. Wo bleiben da die ethischen Werte?!“ Doch sie hat sich auch gleich Hilfe mitgebracht, der Westberliner Galeristenverband interessiert sich für die Räume auf dem zukünftigen Nobelboulevard und will sich solidarisch in die Kunsthandelsgalerie einmieten.

Überhaupt waren erstaunlich viele Westberliner am Tisch versammelt. Jetzt, wo man zusammenwächst und eine Währung die Stadt regiert, versuchen sie auch schon mal über die Partnerorganisation Ost neue Haushaltsmittel aufzutreiben. Der Ortschronist von Hellersdorf fordert Mittel für die Berliner Heimatmuseen, und der Verband der Amateurchöre Berlin sieht die 80 städtischen Gesangsvereine vor dem Ruin. Probenräume werden gekündigt, Trägerbetriebe verabschieden sich, und für die Chorleiter können keine Honorare mehr gezahlt werden. Nicht anders ergeht es den Amateurtheatern, meint die Chefin vom Arbeitertheater „Maxim Gorki“. Auch der Komponistenverband ist in Untergangsstimmung - zum 1. August erklärt er sich für aufgelöst. „Ich liebe Mozart und Haydn, doch ohne Subventionen wird man bald nichts anderes mehr hören können. Wer kümmert sich jetzt um die zeitgenössische Musik?“ klagt ein anwesender Verbandsvertreter. Ihm folgen der Schriftstellerverband, dann die Gesellschaft für Denkmalspflege, die Kreiskulturhäuser und schließlich die Kinderfilmabteilung der Bezirksfilmdirektion. Auch sie hat kein Geld mehr, die Eintrittspreise sind um 800 Prozent gestiegen, viele Kinos weigern sich, übehaupt noch Kinderfilme zu zeigen. Nun können, da das Geld fehlt, nicht mehr wie bisher für Kindergärten und Schulen vormittags Filme gezeigt werden.

Das Ganze gleicht eher einer Selbsthilfegruppe, in der auch die politisch Verantwortlichen in den Chor der vom Schicksal gebeutelten einstimmen. Überhaupt scheint die Magistratsverwaltung für Kultur in einem völlig desolaten Zustand begriffen. Die Stadträtin Rusta, ihre persönliche Referentin Martin, die zu später Stunde die Runde mit etwas Kompetenz auffüllte, und Frau Liedtke kämpfen, glaubt man ihren Worten, an zwei Fronten verzweifelt und 16 Stunden am Tag. Zum einen gegen die verbohrten und völlig unfähigen alten Mitarbeiter im Apparat, die nicht einmal einen „Brief selbstständig verfassen können“ und die jede „progressive Politik“ verhindern, zum anderen gegen den stellvertretenden Stadtrat. Der kommt aus der Westberliner Sentasverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, wo er offenbar ziemlich leicht zu entbehren ist, heißt Ingo Fessmann und scheint sich als eigentlicher Chef der Ostberliner Kulturbehörde zu fühlen. „Der hat das Entscheidungsrecht in Personalfragen“, klagt die persönliche Referentin, „doch schließlich sind wir gewählt worden.“ Die Damen aus der Kulturabteilung sind gekränkt. Offenbar, so glauben sie, braucht der Senat sie nur, um Unterschriften zu leisten. Und so wird die Versammlung für kurze Zeit zu einem Tribunal wider westliche Invasionspolitik, bis ein Theatermann in völliger Unschuld allen Anwesenden Nachhilfestunden in westlichem Verwaltungsrecht und Subventionsgebahren anbietet. Diesen Vorschlag nimmt man dankbar an und vertagt sich, ohne irgendwelche Beschlüsse gefaßt zu haben. Andre Meie

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