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Wo ist der errigierte Penis für die Frau?

■ „Sex nach 7 - Hautnah an der Pornographie“, 16. 07., DFF 2

Eins muß man den KollegInnen vom Deuschen Fernsehfunk lassen. Im Gebrauch freizügiger Sprache haben sie das bundesdeutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen längst überrundet. In ARD oder ZDF jedenfalls sind zur jugendfreien Sendezeit Begriffe wie „ficken“, „vögeln“, „Finger in der Möse“ oder „Fist-fucking“ bislang immer noch tabu und über bevorzugte Stellungen beim Geschlechtsverkehr wird, wenn überhaupt, dann nur im Spätabendprogramm diskutiert. Im DDR -Fernsehen dagegen plappern die Studiogäste kurz nach sieben (19 Uhr!) munter über ihren Spaß und ihre Entrüstung angesichts der neuen Pornowelle in der DDR.

Erst letzte Woche hätte sie den letzten Pornofilm gesehen und natürlich würde sie aufreizende Stellungen dann mit ihrem Mann nachahmen, gestand eine tiefdecolletierte junge Modedesignerin ganz ohne Scham. „Ich guck‘ mir die Pornos auch an, weil ich daraus 'was lernen kann“, bestätigte ein Mann. Von der „entsexualisierten Bevölkerung“ und vom „Nachholbedürfnis“ ist da die Rede, wenn der Beate-Uhse-Boom im ehemaligen Honnecker-Staat erklärt werden soll. Ja, wir wollen die Pornographie, aber nur die „weiche“, die mit „Zärtlichkeit“ und „Liebe“. Gewaltpornos - igitt, solchen Schmutz brauchen wir nicht. Das Angebot an harter Pornoware in den Videotheken, die in der DDR wie Pilze aus dem Boden sprießen, malt da ein anderes Bild. Ein Videothekar formuliert genau das, was in der DDR zum lebenserhaltenden Wahlspruch wurde: „Ich muß danach gehen, was der Markt von mir fordert“. (60 Prozent seiner Kunden wollen Pornos.)

Noch überwiegt die Freude über die neugewonnene Freizügigkeit. Aber gleichzeitig zeigen sich schon deutliche Anzeichen für dieselbe Doppelmoral, die in bundesdeutschen Ehebetten regiert. Eine Frau, die die plakative Herausstellung praller Brüste schon satt hat, wünscht sich die „gleichberechtigte Darstellung beider Geschlechter von vorne“. Und sie meint das ganz wörtlich. „Wo ist der errigierte Penis für die Frau?“ Die Sendungsmacher hatten ihre Assoziationen zu Pornographie und Erotik in der Studiodekoration wieder einmal nur eindimensional auf weichgezeichnete nackte Mädchenkörper reduziert.

Trotzdem versprühte die Diskussion eine naive Frische, wie man sie in vergleichbaren West-Talkshows oft vermißt. Die Fronten sind noch nicht klar abgesteckt. Die Feministinnen -Fraktion redet noch mit dem HO-Gaststättendirektor, der sich seine Brötchen jetzt mit „künstlerischen Striptease -Shows“ verdient.

Ute Thon

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