: Erst arisiert, dann SEDisiert
■ Geraubtes oder zweckentfremdetes jüdisches Eigentum in der DDR soll zurückgegeben oder entschädigt werden/Heinz Galinski von der Claims Conferenze beauftragt, Verhandlungen mit der DDR-Regierung zu führen...
Von Anita Kugler
Auch diese Vergangenheit muß bewältigt werden. Die Folgen der nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden werden auch den zukünftigen deutschen Staat noch lange beschäftigen. Im Unterschied zur Bundesrepublik hatte sich die DDR immer geweigert, sowohl globale jüdische Ansprüche als auch Entschädigungsforderungen von einzelnen anzuerkennen. Die DDR als „antifaschistischer“ Staat verstand sich als die Vertretung der jüdischen Bürger des Landes. Die überlebenden Juden erhielten als „Opfer des Faschismus“, wie alle anderen anerkannten Verfolgten des Naziregimes, eine Ehreneinheitsrente, die ein Gutteil über den üblichen Durchschnittslöhnen lag. Diese „OdF„-Renten sind, zumindestens solange es die DDR noch gibt, auch weiterhin gesichert. Aber weder wurde den jüdischen Gemeinden das von den Nazis beschlagnahmte Gemeindeeigentum zurückgegeben, noch erhielten Privatpersonen eine materielle Entschädigung für das geraubte oder arisierte Vermögen. Im Gegenteil; der Grundbesitz wurde, wie Heinz Galinski, Vorsitzender des „Zentralrates der Juden in Deutschland“ es in einem Gespräch mit der taz nannte, „erst arisiert, dann SEDisiert“.
Dies wird rückgängig gemacht werden, genauso wie die widerrechtlichen Enteignungen während der DDR -Kollektivierungsphase ab 1949. Die ganze, in den frühen fünfziger Jahren in der Bundesrepublik geführte „Wiedergutmachungsdiskussion“ muß noch einmal wiederholt werden, diesmal für Vermögen auf dem Gebiet der DDR.
Den ersten Schritt hin zu dieser Debatte hat die Volkskammer mit der „Ehrenschulderklärung“ vom 12. April 1990 bereits getan. Zum erstenmal nach 45 Jahren Selbstbetrug gestand das Parlament der DDR eine Mitverantwortung der eigenen Bürger für die Demütigung, Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden ein. Gleichzeitig bat das Parlament im Namen aller DDR-Bürger das Volk Israel um „Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit (...) gegenüber dem Staat Israel“. Ausdrücklich erwähnt wurde in dieser Ehrenschulderklärung eine materielle Entschädigung nicht, aber der ganze Problemkreis steht seitdem auf der Tagesordnung, zumal eine Präzedenzentscheidung durch Ministerratsbeschluß bereits gefällt wurde. Die orthodoxe Berliner Synagogengemeinde Adass Jisroel ist seit einigen Monaten wieder im Besitz des Gemeindeeigentums in Ost-Berlin.
Wenige Wochen nach der Volkskammererklärung, am 25. Juni, trafen sich einige Staatssekretäre der DDR-Regierung mit dem Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski und seinem Ostkollegen Siegmund Rotstein vom „Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR“ zu einem ersten sondierenden Gespräch. Man einigte sich, daß alle um eine Entschädigung kreisenden Fragen nur in Zusammenarbeit mit der „Conferenze on Jewish Material Claims against Germany“ (Claims Conferenze) und der „Jewish Restitution Successor Organization“ (JRSO) entschieden werden sollen.
Vergangene Woche nun kehrte Heinz Galinski von einem Blitzbesuch aus Israel zurück. Er hatte dort von der Claims Conferenze das offizielle Mandat eingeholt, für die Organisation Entschädigungsverhandlungen mit der DDR -Regierung aufzunehmen, beziehungsweise erste Richtlinien zum Verhandlungsablauf festzulegen. Weder Herr Rotstein noch ein anderer jüdischer Mandatsträger der DDR wird bei den weiteren Gesprächen mit den Regierungsbeauftragten ein Wort mitzureden haben. Der gesamte ehemalige jüdische Besitz in der DDR ist jetzt zu einer internationalen Chefsache erklärt worden. Formal ist das korrekt, denn keine jüdische Institution in der DDR war noch ist Mitglied der Claims Conferenze. Mitglieder der in Israel mit einem Büro ansäßigen Organisation sind 24 Dachverbände aus aller Welt, vom Jüdischen Weltkongreß bis zum Zentralrat der Juden in Deutschland.
Gegenüber der taz erklärte Heinz Galinski, daß die Claims Conferenze sich einen ähnlichen Vertrag mit der DDR vorstellt, wie er 1952 im „Luxemburger Abkommen“ mit der Bundesrepublik geschlossen wurde. Damals, am 12. September 1952, unterschrieben Nahum Goldmann für die Claims Conferenze, Konrad Adenauer für die Bundesrepublik und der israelische Außenminister Moshe Sharett zwei Entschädigungsverträge. In dem einen Vertrag verpflichtete sich die junge Bundesrepublik rund drei Milliarden DM „Entschädigung“ in Form von Waren und Krediten an Israel zu bezahlen, im zweiten Vertrag zwischen der Claims Conferenze und der Bundesrepublik wurden 450 Millionen DM individuelle „Wiedergutmachung“ vereinbart. Diese Millionen wurden von der Claims Conferenze verwaltet und in Form von Zahlungen an Einzelpersonen und Gemeinden ausgeschüttet. Der Vorgänger von Galinski im Zentralrat, Werner Nachmann, erlag seiner Zeit den Verführungen dieser Treuhandgelder.
Bis es zu einem - wenigstens formal - ähnlichen Vertrag mit der DDR kommen wird, wird noch einige Zeit ins Land gehen. Zuviel ist noch ungeklärt und vor allem unbekannt.
In drei unterschiedlichen Bereichen wird nachgeforscht werden müssen. Es wird erstens bei den Gesprächen zwischen der Claims Conferenze und den Regierungsunterhändlern um die Rückerstattung, beziehungsweise um eine Entschädigung für das ehemalige jüdische Gemeindeeigentum gehen. Zweitens wird über eine Entschädigung, beziehungsweise über eine Rückerstattung des faktisch enteigneten Privat- und Stiftungsvermögen geredet werden müssen. Und verhandelt muß drittens über das „erbenlose“ Eigentum. Denn was soll passieren mit dem ehemaligen Haus- und Grundbesitz, deren Besitzer, einschließlich aller Erben, umgebracht worden sind?
Die Feststellung gerade dieser Privatvermögen wird extrem schwierig werden, denn es gibt keine Aufstellungen, nicht einmal Schätzungen über einen annähernden Wert des privaten Haus- und Grundbesitz von jüdischen Bürgern im Bereich der ehemals sowjetisch besetzten Zone. Wie Heinz Galinski mitteilte, wurde jetzt eine Anwältin damit beauftragt, die Grundbücher - und zwar in der gesamten DDR - durchzusehen. Diese Arbeit kann Jahre dauern, zumal die Grundbücher in der DDR durch nachträgliche Korrigierungen oft gefälscht wurden. So mancher Westdeutsche, der jetzt mit Mercedes vor dem vermeintlichen Eigenheim der Eltern vorrollt, wird sich wundern, wenn sich herausstellt, daß das Haus 1938 arisiert worden ist. Nicht immer wird eine Besitzstandsklärung so einfach sein wie bei Paul Meir, Computeringenieur aus New York. Er flog vergangene Woche mit Katasteramtsauszügen und diversen Fotos nach Dresden, um in einem 400-Seelen-Dorf der Umgebung dem Landbesitz der nach Amerika geflüchteten Eltern nachzuspüren.
Der Viehbetrieb der Familie war 1938 für ein Spottgeld dem Viehhändler des Nachbardorfes zugeschanzt worden, der diesen arisierten Besitz Anfang der fünfziger Jahre wiederum an eine LPG Tierproduktion abgeben mußte. Der völlig überraschte Bürgermeister des Dorfes versprach, die Angelegenheiten an „obere“ Instanzen weiterzuleiten.
Am unproblematischsten wird es sein, dem ehemaligen jüdischen Gemeindeeigentum auf die Spur zu kommen. Hier gibt es Listen, die jahrzehntelang bei den Finanzabteilungen der Liegenschaftsämter schlummerten und die den jüdischen Gemeindevertretungen in Ost und West jetzt vorliegen.
Die Grundlage für die Rückerstattungsforderungen im Berliner Raum ist eine von der Claims Conferenze 1947 zusammengestellte Liste; „ehemalige jüdische Grundstücke im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin“. Die Aufzählung enthält Grundstücke und Objekte, die nach Angabe des Vorsitzenden der Ostberliner Gemeinde, Peter Kirchner, schon Anfang der dreißiger Jahre einen Wert von über elf Millionen Goldmark hatte. Der jüdische Gemeindebesitz, vor allem im Bereich Mitte, war erheblich, denn vor dem Krieg war die Stadt das Zentrum des jüdischen Lebens in Deutschland. Über 160.000 Mitglieder zählte die Großgemeinde Berlin. Zum Besitz gehörten Synagogen, Schulen, Bibliotheken, Altersheime, ein Krankenhaus, Friedhöfe und diverse Verwaltungseinrichtungen. Ende 1941/Anfang 1942 wurde all dieses Vermögen der Nazitarnorganisation „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ zugeschanzt. Mitte 1943 wurde die „Reichsvereinigung“ ersatzlos aufgelöst.
Weder die sowjetische Besatzungsmacht noch die spätere SED -Regierung dachten auch nur im Traum daran, all diesen Besitz der sich ab Februar 1946 wieder rekonstituierenden Gemeinde zurückzugeben. Das geschah erst recht nicht während der antisemitischen Kampagnen in den frühen fünfziger Jahren und nach der unter diesem Eindruck vom Westteil der Stadt betriebenen Spaltung der Gemeinde 1953. Sämtliche Forderungen der Claims Conferenze und der JRSO wurden schlicht ignoriert und die meisten der in der DDR verbliebenen Juden akzeptierten diese zweite faktische Enteignung. Viele der aus dem Exil zurückgekehrten Juden wollten mit ihrer Herkunft auch wenig zu tun haben, sie waren in erster Linie Kommunisten. Der SED war es daher ein leichtes, einen Großteil des ehemaligen Gemeindebesitzes zweckzuentfremden.
Das spektakulärste Beispiel ist das 1883 eingeweihte Altersheim in der Schönhausener Allee 22. Mitte 1941 wurden die Bewohner einschließlich des Pflegepersonals nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nach dem Krieg zog in das imposante Gebäude die „Volkspolizei-Inspektion Prenzlauer Berg“ ein. Weder erinnert eine Gedenktafel an die Stifter, geschweige denn an das Schicksal der ehemaligen Insassen des Heimes. Das hundertjährige Jubiläum des Hauses verging völlig unbeachtet. Selbstverständlich hat die Volkspolizei der Jüdischen Gemeinde nie auch nur einen Pfennig Miete bezahlt. Der Umgang mit diesem Hause, sagt Galinski, „ist ein fortwährender Skandal“.
Andere jüdische Gemeinden wurden, soweit sie nach dem Krieg noch standen, vom Magistrat benutzt. Die Jüdische Mädchenschule in der Auguststraße 11-13 ist heute die Bertold-Brecht-Oberschule des Bezirks Berlin Mitte. Die Knabenschule in der Großen Hamburger Straße 27 beherbert heute eine Berufsschule. Das Jugendheim in der Pankower Mühlenstraße ist zur Volksbücherei geworden. Die ehemalige Taubstummenanstalt in Weißensee brauchte die SED -Kreisleitung und das II. Waisenhaus in der Berliner Straße wurde der Kubanischen Botschaft zur Verfügung gestellt. An die allermeisten jüdischen Einrichtungen, an die vielen Synagogen erinnert heute kein Stein mehr, auf den Grundstücken, vor allem im Innenstadtbereich, stehen jetzt Mietshäuser oder Verwaltungsgebäude.
Offiziell hat die Jüdische Gemeinde von Ost-Berlin auf all diesen Besitz nie verzichtet, aber weder der Magistrat noch die Gemeinde verspürten ein besonderes Interesse, dieses heikle Thema auf den Tisch zu bringen. Immerhin, dem seit 1971 amtierenden Gemeindevorsitzenden Peter Kirchner wurde vor knapp 20 Jahren vom Magistrat zugesichert, daß alle Abgeltungsforderungen etc. einer späteren Vereinbarung vorbehalten bleiben müssen.
Daß die Jüdische Gemeinde noch heute einen unverwirkten Rechtsanspruch auf Grundbesitz und Immobilien besitzt, wurde Peter Kirchner vom jetzigen Berliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina zum letztenmal am 28. Juni versichert, wenige Tage nachdem die Regierungsunterhändler sich mit Herrn Rotstein und Herrn Galinski auf die übergeordnete Verhandlungsinstanz (Claims Conferenze) geeinigt hatten.
Für Peter Kirchner ist die Tatsache, daß er aus allen Verhandlungsgremien nun ausgeschlossen ist, eine bittere Pille. Er hatte gehofft, daß seine Mitarbeit bei der Feststellung des jüdischen Vermögens in Ost-Berlin dazu führen könnte, daß die kleine Ostgemeinde (knapp 200 Mitglieder) bei der bevor stehenden Integration in eine Großberliner Gesamtgemeinde (Westgemeinde rund 6.500 Mitglieder) ein wenig Selbständigkeit behält. „Auf unsere besonderen Probleme muß Rücksicht genommen werden“, sagt er, und hofft, daß nicht alle bisher selbständig geführten Gemeindeinrichtungen der Wiedervereinigung zum Opfer fallen. Grundlos ist die Sorge nicht, denn die Ostberliner Gemeinde hatte schon in den letzten Jahren arge Mühe, die noch genutzten Institutionen zu finanzieren. Die Gemeinde steckt in akuten Geldschwierigkeiten, denn von den für das Haushaltsjahr 1990 zugesagten Magistratsgeldern sind bisher gerade ein Drittel auf die Konten geflossen.
Zudem ist Kirchner ein sehr ungleicher Partner für den Westberliner Gemeindevorsitzenden Galinski. Die Gemeindespaltung von 1953, sagt Galinski, hat er nie akzeptiert, sie ist daher auch kein Grund für ein Eigenleben. „Für uns Juden gibt es keine Grenzen“, sagte er der taz, „wir waren in der Verfolgung eine Gemeinschaft und sind es nach wie vor. Bei der Vernichtung hat man auch keine Unterschiede gemacht, weswegen sollen wir jetzt eine Unterscheidung in Juden-Ost und Juden-West machen“.
Für Heinz Galinski gibt es jetzt drei große Aufgaben. Die „vollständige Integration der Ostgemeinde in eine Gesamtberliner Gemeinde“, den Zusammenschluß des Zentralrats der Juden in Deutschland mit dem Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR und als Wichtigstes: Eine Entschädigung für das „arisierte“ und dann „SEDisierte“ jüdische Eigentum in die Kassen der Claims Conferenze, „zugunsten der bedürftigen jüdischen Opfer des Nationalsozialismus“. Das ist ein Lebenswerk und viel Zeit wird er dafür nicht haben, denn Heinz Galinski zählt 78 Jahre.
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