: EG kratzt DDR-Hilfe zusammen
■ EG will Grenzen für DDR-Lebensmittel öffnen / Mehrausgaben für die DDR sollen nicht zu Lasten der benachteiligten EG-Staaten gehen / Jene befürchten trotzdem Nachteile
Aus Brüssel Michael Bullard
„Weil die DDR-Bürger lieber teure Westwaren kaufen, sollen wir jetzt verstärkt Ostlebensmittel importieren?“ Soviel Hilfsbereitschaft der EG für die DDR-Landwirtschaft stößt bei den nicht-deutschen EG-Vertretern in Brüssel zunehmend auf Unverständnis.
Man sehe ja die Nöte der DDR, vermerkte man am Dientag in Brüssel, nachdem bekannt geworden war, daß auf Initiative des Bundeslandwirtschaftsministers Kiechle die EG ab 1.August ihre Grenzen für DDR-Lebensmittel öffnen wolle. Die Aussicht allerdings, in Zukunft statt des gewohnten elsässischen Schweinebratens oder belgischen Hühnchens Borstentiere und Federvieh aus der DDR verspeisen zu müssen, lag dennoch schwer im Magen. Freudig wurde deswegen das Versprechen der DDR-Regierung aufgenommen, auch neue Märkte in Osteuropa erschließen zu wollen. Schließlich sei es unklar, ob die ab 1.August zollfrei in alle EG-Länder lieferbaren DDR-Lebensmittel überhaupt Abnehmer finden.
Bis in den 13.Stock der EG-Kommissionszentrale war die Aufregung über die DDR-Landwirtschaftskrise allerdings noch nicht vorgedrungen. Dort berichtete Binnenmarktkommissar Bangemann beim Journalistenfrühstück über die Probleme der DDR-Integration in die EG. Es gäbe zwar eine Reihe technischer Probleme bei der Übertragung von EG-Richtlinien auf die DDR-Landwirtschaft, so der ehemalige Bundeswirtschaftsminister, aber keine wirklichen Probleme, die Übergangsfristen nötig machten. Ausnahmen könnte er sich allerdings bei den Quoten für die Vermeidung von Überproduktion vorstellen.
Generell bestätigte der westdeutsche Kommissar die Absicht der EG-Kommission, so wenig wie möglich Ausnahmen und Übergangsregelungen zuzulassen. Die anvisierten 40 bis 50 Ausnahmen - in der Landwirtschaft, in der Industrie und im Handel sowie bei technischen Normen, sollen bis Ende 1992 befristet sein. Nur bei der Übernahme von Vorschriften in den Bereichen Umwelt, Pharmazie und Patentschutz will die EG ein Auge zudrücken. Entsprechend schnell wischte Bangemann dann auch die Bedenken vom Tisch, die DDR-Außenminister Meckel bei seinem ersten Besuch beim EG-Ministerrat am Montag geäußert hatte. „Die DDR kann davon nur profitieren, so schnell wie möglich in die EG eingebunden zu werden.“ Meckel hatte gefordert, man solle erst in einem halben Jahr, das heißt nach den gesamtdeutschen Wahlen die Fristen vereinbaren.
Auch beim Punkt „EG-Finanzierung der DDR-Sanierung“ zeigte sich Bangemann unverdrossen. „Wir müssen einen neuen Finanzbetrag ausweisen. Das soll aber nicht zulasten der benachteiligten Gebiete in der EG gehen.“ Die sechs Milliarden D-Mark, die der DDR für 1991, 1992 und 1993 in Aussicht gestellt werden, sollen aus den Strukturfonds der EG kommen, die zur Förderung wirtschaftlich unterentwickelter Gebiete in der EG dienen. Hauptnutznießer sind bislang die südeuropäischen Länder, die sich entschieden dagegen wehren, daß die Förderung der DDR auf ihre Kosten geht.
Etwa ein Drittel der EG-Ausgaben für die DDR soll durch Mehreinnahmen aus der vergrößerten Bundesrepublik wieder hereinkommen. Bleiben noch etwa vier Milliarden D-Mark, die die reichen EG-Staaten berappen müßten oder die durch Umschichtung von Haushaltsmitteln aus anderen Bereichen zusammengekratzt werden könnten. Dazu Bangemann: „Diese Vorschläge werden im Rat nicht abgelehnt.“
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