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Über die Rechte des Betriebsrates

■ Das neue (BRD-) Mitbestimmungsrecht: Wofür ist der Betriebsrat zuständig? Wie kann er seine Rechte durchsetzen?

Der rote Faden

8. Teil

Die Volkskammer der DDR hat das bundesdeutsche Betriebsverfassungsgesetz übernommen. Was in der Bundesrepublik in einer langen Tradition der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung geformt und eingeübt wurde, soll nun in der DDR von heute auf morgen die Spielregeln der innerbetrieblichen Machtverteilung regeln. Wofür ein Betriebsrat - auf dem Papier - zuständig ist und wie er seine Rechte durchsetzen kann, erläutert der achte Teil unserer Serie.

Die Rechte des Betriebsrates

In den §§ 87 bis 113 BetrVG sind die Beteilungsrechte des Betriebsrates auf drei Ebenen geregelt: soziale, personelle und wirtschaftliche Angelegenheiten. Die Intensität der Rechte variiert stark nach Mitbestimmungs-, Mitwirkungs-, Beratungs- und Informationsrechten; von echter „Mitbestimmung“ wird gesprochen, wo der Konflikt notfalls durch die Einigungsstelle entschieden wird (dazu III.1.). Dabei zeigt sich ein starkes Gefälle zwischen den drei Bereichen. Echte Mitbestimmung besteht in sozialen, begrenzte Mitwirkung in personellen und überwiegend nur ein Informationsrecht in wirtschaftlichen Fragen.

1. Zuständigkeit des Betriebsrates. Zuständigkeit besteht in allen Fragen, die für den Betrieb oder die Belegschaft bedeutsam sind. Das ergibt sich zum Beispiel aus der Aufgabe gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, Maßnahmen beim Arbeitgeber zu beantragen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen. Auch wenn in vielen Bereichen Durchsetzungsrechte für die Vorschläge des Betriebsrates fehlen, kann er mindestens Information verlangen (§80 Abs.2 BetrVG).

Bei den konkreten Beteiligungsrechten ist die gesetzliche Staffelung nach der Betriebsgröße zu beachten. Die Mitbestimmung in sozialen Fragen (§87 BetrVG) besteht auch in betriebsratsfähigen Kleinbetrieben (ab 5 mindestens 18jährigen Arbeitnehmer; s. §§1 und 7 BetrVG), sobald ein Betriebsrat gewählt ist. Im Rahmen der personellen Mitwirkung gilt dies nur für die allgemeinen Rechte (§§92 bis 95 Abs.1 BetrVG), die Berufsbildung (§§96 bis 98 BetrVG) und die Kündigung (§102 BetrVG). Bei Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung beginnt die Mitwirkung erst bei einer Betriebsgröße von mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern (§99 BetrVG). Dieselbe Grenze gilt bei den Rechten wegen Betriebsänderung und Sozialplan (§§111 bis 113 BetrVG). Erst bei mehr als 100 Beschäftigten im Unternehmen ist ein Wirtschaftsausschuß zu bilden (§§106 bis 110 BetrVG).

2. Soziale Angelegenheiten. In §87 Abs.1 BetrVG sind in 12 Punkten die Angelegenheiten der sozialen Mitbestimmung aufgelistet. Dabei hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht bei Fragen, die schon gesetzlich, aber auch bei solchen, die im Tarifvertrag abschließend geregelt sind (§87 Abs.1 BetrVG Eingangssatz - sog. „Tarifvorbehalt„; s. ferner §77 Abs.3 - sog. „Regelungssperre“). Hier wird erneut die Rollenverteilung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft deutlich. Prinzipiell werden die im Arbeitsverhältnis gegenseitig zu erbringenden Leistungen (Arbeitszeit, Entgelt) vor allem ihrem Umfang nach tariflich geregelt. Aber die Umstände und die Art und Weise der Leistungserbringung unterliegt dem Mitbestimmungsrecht. So bestimmt die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit der Tarifvertrag. Gemäß §87 Abs.1 Nr.2, 3 BetrVG ist dagegen unter anderem die Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage und die Verlängerung durch Überstunden mitbestimmungspflichtig.

In sozialen Fragem gemäß §87 BetrVg hat der Betriebsrat im allgemeinen auch ein Initiativrecht. Das heißt, daß er nicht nur auf Maßnahmen des Arbeitgebers reagieren, sondern selbst Regelungen vorschlagen kann. Dringt er mit seinen Regelungsvorschlägen nicht durch, kann er versuchen, sie über die Einigungsstelle (siehe III.1.) durchzusetzen.

3. Personelle Angelegenheiten. Über die sehr beschränkten Rechte bei Kündigungen (§102 BetrVG) war schon im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutz zu lesen. Die Mitwirkung bei anderen personellen Einzelmaßnahmen geht etwas weiter (§§99 bis 101 BetrVG). Durch die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrates wird die Einstellung, Versetzung, Ein- oder Umgruppierung immerhin zunächst blockiert. Wie bei der Kündigung muß sich der Betriebsrat aber an einen begrenzten Katalog von Zustimmungsverweigerungsgründen halten (§99 Abs.2 BetrVG). Das muß in einer detaillierten Begründung innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber geschehen (§99 Abs.3 BetrVG).

Der Betriebsrat kann bestenfalls eine Einstellung oder Versetzung verhindern. Eigene KandidatInnen kann er nicht durchsetzen. Der Arbeitgeber muß sich lediglich mit Vorschlägen des Betriebsrates befassen. Durchsetzbar ist aber die richtige Eingruppierung der Beschäftigten in das tarifliche oder betriebliche Lohngefüge.

Ein wichtiges echtes Mitbestimmungsrecht hat der Betriebsrat bei der beruflichen und sonstigen betrieblichen Bildung (§98 Abs.1 und 6). Das gilt auch für die Auswahl zur Weiterbildung (§98 Abs.3, 4 BetrVG). So kann der Betriebsrat einer Spaltung der Belegschaft in Qualifizierte und Unqualifizierte entgegenwirken. Er kann dafür sorgen, daß zum Beispiel auch Frauen und ältere Beschäftigte Qualifizierungschancen erhalten.

4. Wirtschaftliche Angelegenheiten. Hier besteht in weiten Bereichen nur ein Informations- und Beratungsrecht für den Wirtschaftsausschuß (§§106 bis 108 BetrVG). Erst bei „Betriebsänderungen“ (Begriff: §111 Satz2!) bestehen weitergehende Rechte hinsichtlich zu erwartender Nachteile für die Belegschaft (§§111 bis 113 BetrVG). Auch von Betriebsänderung und Sozialplan war im Teil zum Kündigungsschutz die Rede.

Die Durchsetzung

der Rechte

Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat, so werden für Dauerregelungen Betriebsvereinbarungen geschlossen (§77 BetrVG). Für den Streitfall ordnet das Gesetz jeweils an, wie die Rechte des Betriebsrates durchsetzbar sind bzw. gegen Verstöße des Arbeitgebers gesichert werden können. Zwei Rechtswege sind zu unterscheiden: das Einigungsstellenverfahren und das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren.

1. Einigungsstelle. Für den Fall, daß sich Arbeitgeber und Betriebsrat in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nicht einigen können, ist die Ersetzung der Einigung durch die Einigungsstelle vorgesehen. Das gilt vor allem für soziale Fragen (§87 BetrVG), das betriebliche Bildungswesen (§98 Abs.4 BetrVG) und die Aufstellung des Sozialplans (§112 Abs.4 BetrVG). Eine Einigungsstelle kann nicht nur die den Einzelfall, sondern auch auf Dauer eingerichtet werden (§76 Abs.1 Satz2).

Hier kann von echten Mitbestimmungsrechten gesprochen werden. Denn der Betriebsrat kann die Einigungsstelle notfalls durch das Arbeitsgericht bestellen lassen (§76 Abs.2 Satz2 BetrVG). Die Einigungsstelle besteht aus der gleichen Zahl von Beisitzern seitens des Arbeitgebers wie des Betriebsrates und einem neutralen Vorsitzenden (§76 Abs.2 Satz1 BetrVG). Ihr Spruch ist verbindlich. Sie muß die Belange beider Seiten angemessen berücksichtigen (§76 Abs.5 BetrVG).

Die Kosten der Einigungsstelle trägt der Arbeitgeber (§76a Abs.1 BetrVG). Dies ist ein bedeutendes Druckmittel für den Betriebsrat; denn mit zunehmender Dauer des Verfahrens steigen die Kosten.

2. Beschlußverfahren. Das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren hat viele Funktionen bei Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Eine wichtige kann wie schon erwähnt - die Bestellung der Einigungsstelle sein. Eine weitere wichtige Funktion ist die Durchsetzung der Mitwirkung bei personellen Einzelmaßnahmen gemäß §99 BetrVG. Führt der Arbeitgeber eine solche Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrates durch, so kann auf dessen Antrag vom Arbeitsgericht die Aufhebung per Zwangsgeld betrieben werden (§101 BetrVG). Das Beschlußverfahren ist hier gerichtskostenfrei.

3. Einstweilige Verfügung. Einigungsstellen- und Beschlußverfahren dauern oft viele Wochen. Möglicherweise ist die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit bei Abschluß lange Vergangenheit; z.B. sind die ohne Zustimmung des Betriebsrates angeordneten Überstunden schon lange durchgeführt. Hier besteht die Möglichkeit, per einstweiliger Verfügung im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren, die mitbestimmungspflichtige Maßnahme solange zu unterbinden, bis eine Einigung erzielt ist. Die einstweilige Verfügung ist auf die Abwehr der akuten Bedrohung der Mitbestimmung gerichtet. Gerichtlich geltend gemacht werden muß dabei ein sogenannter „Verfügungsanspruch“ (z.B. das Recht des Betriebsrats, in einer bestimmten Angelegenheit mitzubestimmen) und ein sogenannter „Verfügungsgrund“ (z.B. Eilbedürftigkeit: nicht rückgängig zu machender Schaden, falls dem Betriebsrat die Mitbestimmung verweigert wird). Einen anderen Weg eröffnet §23 Abs.3 BetrVG nach groben (d.h. schweren oder fortgesetzten) Verstößen des Arbeitgebers, die Unterbindung künftiger Verstöße durch das Arbeitsgericht zu erwirken.

Edgar Peter

Die Serie wird fortgesetzt.

Der letzte Teil über die Betriebsverfassung erschien am 17.Juli. Die Serie begann am 22.Juni. Beiträge am: 25., 26. Juni, am 3., 5., 11. Juli. Die Texte können bestellt werden bei: taz-Archiv, Kochstr. 18, 1 Berlin (West) 61

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