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Bündnis 90 zwischen SPD und Grünen

■ Zum Angebot der SPD, DDR-Bürgerrechtler auf ihren Listen kandidieren zu lassen

KOMMENTARE

Die Überraschung ist groß, vor allem an der eigenen Basis: prominente Abgeordnete der Volkskammerfraktion Bündnis 90/Grüne erwägen, auf dem SPD-Ticket in das gesamtdeutsche Parlament einzuziehen. Doch angesichts der Entwicklung der letzten Wochen können derartige Überlegungen kaum überraschen. Die Abgeordneten, die mit ihren Beiträgen immer wieder politische Akzente in den häufig eher tragikomisch anmutenden Volkskammerdebatten setzten, haben das Interesse, ihre Erfahrungen in das neue Parlament hinüberzuretten. Dieses Interesse ist legitim und kann nicht einfach unter dem Stichwort „Pöstchensicherung“ abgetan werden.

Da die Bürgerbewegungen nach dem bundesdeutschen Wahlgesetz nicht kandidieren können, stehen sie vor der Entscheidung, unter welchem Dach sie im Dezember antreten - dem der SPD oder dem der Grünen. Die Folgen dieser Entscheidung sind für die zukünftige politische Landschaft, den Einfluß und die Aktionsmöglichkeiten der Opposition in Ost und West von erheblicher Tragweite. Daher muß diese Debatte in jedem Falle öffentlich und nicht hinter verschlossenen Türen mit den Formen der Geheimdiplomatie und den Mitteln der Sprachhülsen von Verlautbarungen geführt werden.

Vor die Alternative gestellt, schlägt das Herz der Fraktion Bündnis 90/ Grüne weiterhin „links“. Wenn es nun dennoch Überlegungen gibt, auf sicheren Listenplätzen der Ost-SPD anzutreten, dann steht dahinter vor allem die Ernüchterung und Enttäuschung angesichts des mühevollen Prozesses, ein grün-bürgerbewegtes Bündnis zusammenzuzimmern. Namentlich die Autonomiebestrebungen des Neuen Forums und der Beschluß, die Entscheidung über eine Kandidatur den Landesverbänden zu überlassen, werden hier Öl ins Feuer gegossen haben, denn zumindest für Landtagswahlen ist absehbar, daß das Forum in zwei bis drei Ländern alleine antritt.

Das Verhältnis von Bürgerbewegungen und Grüner Partei (DDR) schließlich war nie konfliktfrei. Da muß man nicht auf die Zeit zurückgehen, in der die Bemühungen für ein Zusammengehen für die Volkskammerwahlen scheiterte, oder als die Grüne Partei am Runden Tisch zunächst dafür eintrat, daß Bürgerbewegungen nicht kandidieren können. Da genügt ein präziser Blick auf die jetzigen Verhandlungen um ein gesamtdeutsches Wahlbündnis, bei dem die Grüne Partei auf eine Art Vorzugsbehandlung durch die West-Grünen pocht und die Bürgerbewegungen regelmäßig verprellt. Hinzukommen mag schließlich, daß die Parteienlandschaft der DDR vier Monate nach der März-Wahl bei weitem nicht so zementiert ist wie in der Bundesrepublik und sich einzelne Sozialdemokraten und jetzige Mitglieder der Bürgerbewegungen noch aus der gemeinsamen Zeit der Opposition gegen das alte Regime kennen.

Sollte es also zu einem Zusammengehen mit der SPD kommen, so erhebt sich die Frage, ob die Sozialdemokraten soviel Glück verdient haben. Die Antwort lautet schlicht: Nein. Denn es ist schiere Wahlkampftaktik und keine politische Strategie der Öffnung, die die SPD da umtreibt. Das Beharren auf einem gemeinsamen Wahlrecht mit Fünf-Prozent-Hürde hat den Parteizentralen in Ost und West den berechtigten Vorwurf eingebracht, die kleinen Parteien aus Angst vor Konkurrenz und Stimmenverlust aus dem gesamtdeutschen Parlament verbannen zu wollen. So gesehen, ist das Angebot von Listenplätzen an die Bürgerbewegungen ein cleverer Schachzug selbst für den Fall, daß diese ablehnen. Dazu kommt, daß die Geschichte des Verhältnisses der SPD zu den Bürgerbewegungen ähnlich vorbelastet ist wie im Falle der grünen Partei. Waren es doch die Sozialdemokraten gewesen, die, staatstragend, wie sie sind, im Winter aus dem zunächst für die Volkskammerwahlen anvisierten Oppsitionsbündnis der neuen gegen die alten Parteien ausgeschert sind, die sich dann unter schnellem Vergessen ihrer häufig verkündeten Essentials flugs auf den Regierungsbänken wiederfanden und ihren Partnern von einst schließlich noch mit der Sperrklausel das Wasser abdrehen wollen. Aus all diesen Gründen und dem fehlenden inhaltlichen Profil der Sozialdemokraten werden die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/ Grüne nur mit gehörigen Bauchschmerzen zu einem Zusammengehen mit der SPD entschließen, wenn sie es überhaupt tun. Sollten Ullmann, Birthler, Weiss et al. das Angebot der Sozialdemokraten annehmen, wird die Situation für die Grünen fatal, vor allem in der DDR. Denn geht es nicht um Einzelne, die „abspringen“, es sind diese Namen, die nicht nur mit der Wende verknüpft sind, sondern auch Versuch einer neuen, anderen Politik als die der Parteiendemokratie stehen. In dieser Hinsicht kann die Grüne Partei, die sich bereits in „Die Grünen“ umgetauft hat, den Bürgerbewegungen und ihren profilierten VertreterInnen bis auf wenige Ausnahmen nicht daß Wasser reichen. Auch für die Grünen gutklingende Nahmen, um das eigene angeschlagene Image aufzupäppeln.

Jenseits dieser Interessenlage bleibt festzuhalten, daß nicht nur die inhaltlichen Berührungspunkte zwischen den Abgeordneten der Fraktion mit den Grünen größer sind als mit der bundesdeutschen Altpartei SPD. Auch in der Art, Politik zu machen, liegen zwischen beiden Parteien Welten. Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß die SPD mit ihrem Beharren auf der Fünf-Prozent-Hürde auch einen alten Libelingsgedanken über den Umweg DDR wieder aufgreift: Das Zweiparteiensystem. Sollten die Grünen im Dezember den Sprung ins Parlament nicht schaffen, und das erst Recht ist zu befürchten, wenn das SPD-Angebot zieht, bedeutet dies über Jahre hinaus eine Zementierung der politischen Verhältnisse - ein fatales Signal für die Geburtsstunde des gesamtdeutschen Staates.

Beate Seel

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