: Gleitende Seifografie
■ „Der Seifenplanet“ von Norbert Stück im Künstlerhaus Bethanien
Vorwaschen
Beim Ausflug nach Potsdam, im Waschraum der Schloßtoilette, greif‘ ich nur zögernd nach dem kratzig-rauhen Seifenbeutel, der als eine Art Seifenwegglitschsicherung über den feuchten Seifenleib gezogen ist. Die glatte und intime Berührung wird masochistisch verwehrt in einem Akt der Selbstüberwindung. In dem blitzblanken Waschraum erscheint mir dies ein besonders preußischer Zug der Erziehung zur Reinlichkeit. Körperfeindlich wird dem antrainierten Ritual des Händewaschens der letzte Rest von lustvoller Verschmelzung mit der Seife entzogen.
Buntwäsche 60 Grad
1984 startete Norbert Stück sein Projekt Kernseife mit einem Aufruf zur Aktionshilfe: „Bitte entnehmen Sie der Waschstelle des Kunstmuseums X ein benutztes Seifenstück.“ Die Zusendungen von 31 Teilnehmern aus den Kunstmuseen der Welt ermöglichten ihm, eine Seifenachse zwischen dem Guggenheim-Museum, New York, über den Louvre in Paris bis zum Puschkin-Museum in Moskau zu konstruieren. Damit besiegelte er die von ihm seit 1982 gestiftete Beziehung zwischen Seife und Kunst.
Die Seife diente Stück als eigener Kompaß und Leitmotiv, mit denen er durch Geschichte und Gegenwart glitt. Er verfolgte sie an ihren sichtbaren und verborgenen Orten: Es gelang ihm, an Berliner Bunkerseife, eingelagert für Krisenfälle, heranzukommen und sie in Berliner Brandmauern einzubauen. Er stellt Seifenblöcke aus, die als Ziel für Schießübungen fungierten, weil sich in dem weichen, dem menschlichen Körper verwandten Material der Einschußvorgang gut beobachten läßt. Er arbeitete an einer Seifenrampe mit, über die ein Schiff aus der Werft zu Wasser gelassen wurde.
Neben den Recherchen über Herkunft und Einsatzorte der Seife entstanden seit 1982 Stücks Seifenobjekte, die er jetzt im Künstlerhaus Bethanien auf seinem Seifenplaneten versammelt hat. Der Seifenplanet breitet sich auf einem großen, das Studio bis auf einen schmalen Umgang füllenden Tisch in Brusthöhe vor den Besuchern aus, ein wenig an die Miniaturlandschaften für Modelleisenbahnen erinnernd. Der Reichweite unserer Hände entrückt und unberührbar, wachsen in der Mitte Röhren aus verseiften Papieren in die Höhe, wie die Skyline einer halb schon wieder in Ruinen liegenden Kultur. Gelblich und transparent erscheinen sie wie sprödes Pergament aus alter, zerbrechlicher Haut. Die Seife, die sonst als alltäglicher Konsumgegenstand an das propagierte Ideal ewiger Jugendlichkeit gebunden ist, simuliert Prozesse des Alterns. Auf runden Glasscheiben markiert Stück mit Seifenpunkten Sternenstraßen und Planetenbahnen. Seifenreliefs verzeichnen scheinbar die Pläne von archäologischen Ausgrabungsstätten oder lesen sich wie in Keilschrift und Hieroglyphen verschlüsselte Botschaften. Andere Prägungen dagegen verweisen auf die Darstellung von elektronischen Schaltungen. Archaik und moderne Technologie berühren sich in ihren Erscheinungsformen und verschmelzen in ihren Chiffren. Der Seifenplanet gleitet durch die Zeit.
So verführt die Seife neben ihrer handschmeichelnden Objekthaftigkeit auch zur Verseifung der sprachlichen Reflexion und wird zum Schmiermittel von Assoziationen.
Weichspülen
Schimmernd und durchlässig wie Wachs oder weiß wie Marmor, geprägt zu Blöcken oder gerieben wie Parmesan, zeigt sich Stücks Seifenplanet trocken und hart. Doch das Stadium des Glitschigen, Schmierigen, Feuchten vermeidet die kunstvolle Inszenierung, denn das Wasser ist zugleich der Todfeind der Seife. Erst in der sie selbst allmählich vernichtenden Berührung mit dem Wasser wird die Seife zu dem Gegenstand, der in der Ideologie der Sauberkeit und dem Ritual der Reinigung Bedeutung erlangt. Als Material der Kunst dagegen inszeniert Stück sie gegenläufig als einen Speicher von Energien und als schützende Materie.
An die Stelle der schaumgekrönten Geburt der Venus trat für Stück in einer Performance 1983 die Forellenwaschung. Zuletzt blieb der konservierte Fisch in seinem trockenen Grab im Seifenbett liegen, ähnlich einer fossilen Versteinerung, und erweitert den Seifenplaneten zu einem Naturkundemuseum. Aber diese Bewahrung und Aufbahrung des Fisches, der als christliches Symbol prädestiniert ist, den Märtyrer zu spielen, verweist zugleich auf seine Opferung. Sein Leben im Element des Wassers ist von dem Reinlichkeitswahn der Menschen bedroht.
Schleudern
Stück erteilt keine umweltpädagogischen Lektionen. Dennoch bildet das Wissen um schäumende Flüsse, um die Zerstörung der natürlichen Selbstreinigungskräfte und die Ausbeutung der Ressourcen durch die Sauberkeitsideologie der Zivilisation den Hintergrund für seine Installationen. Sauberkeit und Reinigung von Schmutz und Dreck sind zu unerschütterlichen Bestandteilen eines Wertesystems von Ordnung, Disziplin, Aufklärung, Übersicht und Kontrolle geworden. Doch immer größer wird die Kluft zwischen der metaphorischen Bedeutung von Reinigung und Aufhellung und ihrer realen Praxis. Sauberkeit schaffen erweist sich immer mehr als ein Akt der Verdrängung, als ein Aus-den Augen-Schaffen der Probleme, die sich damit aber keineswegs lösen. Stück dagegen benutzt die Seife nicht, um gleichsam immer wieder den Zustand des Neuen, Frischen, Ursprünglichen und Unberührten herzustellen und die Spuren der Zeit fortzuspülen und zu vernichten, sondern um die Erscheinungen des Vergehens und Alterns festzuhalten.
Entleeren
Fast visionär wirkt rückblickend eine der Szenen aus einem der blitzblanken amerikanischen Filme mit Doris Day aus den fünfziger Jahren. Sie hatte einen Swimmingpool geschenkt bekommen und dort vor Waschmittelkartons für die Werbung posiert. Nachts trieb ein Unwetter die Kartons in den Pool, der Regen schäumte die Lauge tüchtig durch. Am nächsten Tag mußte sie Lastwagen bestellen, um ihren Garten von den alles erstickenden Schaumbergen zu befreien. Ob der Gattungsbegriff der „Soap-opera“, die in Stücks Sammlung natürlich auch dokumentiert wird, auf diesen Film zurückgeht, ist leider nicht bekannt.
Katrin Bettina Müller
Norbert Stück: SO-OP 1982-1990 . Objekte . Fragmente . Dokumente. Künstlerhaus Bethanien, bis 22.Juli 14 bis 19 Uhr. Katalog 18 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen