Ein Tag im Leben der Rezensentin

■ Willkommen in Berlin: Gaukler, Gags&Gassenhauer, ZDF, 20 Uhr

Groß und unergründlich sind die Ratschlüsse der Medienredaktion. Niemand kennt das taz-Team genauer, das sich im ersten Morgengrauen, wenn die restliche taz noch schläft, schon an die Arbeit macht. Da wird die Medienlandschaft sorgsam sondiert. Das massenmediale Konsumverhalten überwacht und kritisch abgeklopft. Nachrichten aus der bunten Welt des deutschen Fernsehens mischen sich zwanglos mit Tips für die individuelle Programmgestaltung und der regelmäßigen Standpauke für das gestrige Fernsehprogramm. Kurz vor Beginn des Kinderprogramms schließt die Medien-Redaktion den ersten Teil ihrer Arbeit ab, und bevor sich alle vor den heimischen Apparat begeben, werden rasch noch die allerletzten Aufträge vergeben. Als Ute Thon mich anrief, lag ich naturgemäß vor der Glotze und schaute mir die „Rixdorfer Wochenschau Nr.69“ an. Utes lockende Stimme drang durch meinen Telefonhörer: „Heute abend um acht, auf ZDF, da muß ein Profi ran, Olga!“ Ich war zutiefst geschmeichelt, fast überwältigt von diesem Vertrauensbeweis. „Du, aber gern, du“, flötete ich und schwärmte insgeheim so heftig für meine Verbindungsfrau wie nie zuvor. Eine taz-Rezension wird ja gleichsam ehrenhalber vergeben. Die Redaktion wählt unfehlbar die zentrale Sendung des Tages aus, pickt die fetteste Rosine aus dem Kuchen und bietet sie der Rezensentin dar. Das Leben kann manchmal so schön sein. Ich fieberte der Sendung entgegen, träumte von Berliner Schlagern und Berliner Witz, amüsierte mich königlich bei der Sesamstraße und verzehrte während der „heute„-Sendung sieben Stullen mit Kalbsleberwurst. Als „Willkommen in Berlin“ dann endlich anfing, sackte ich in meinem Sessel zusammen. Nach näherem Hinsehen schleppte ich mich zur nächsten Toilette, meine Nachbarin klopfte schon besorgt an die Tür, als sie mein bitteres Weinen hörte. Sie habe noch eine Portion Kartoffelsalat übrig. Aber ich kroch zurück zum Fernseher und biß die Zähen zusammen. Und ich dachte an Ute. Was tat mir diese Frau an? War es ein fieser Härtetest? Oder pure Schikane? Wieso diese Sendung? Wieso nicht „Schweriner Plappermoehl“, „Du und Dein Haustier“ oder „Kontext: Erfahrungen einer Krankenschwester“? Oder die Kurznachrichten? Vielleicht haßt sie mich bodenlos und schustert mir deshalb die erbärmlichste Sendung zu, die sie ausfindig machen konnte. Ich möchte mich ganz kurz fassen, um niemanden zu verletzen. Die Sendung hatte mit Berlin überhaupt nichts zu tun, mal abgesehen vom Elefantentor des Zoos, vor dem sich verschiedene westdeutsche Künstler präsentierten. Rex Gildo im brandroten Abendanzug (allein um diesen Anzug zu verkraften, braucht es Stunden) sang „Darling, bei dir ist es immer so schön“. Das herangekarrte Publikum aus dem Osten wollte fliehen, wurde vor die Bühne zurückgedrängt. Karl Dall gab eine Kotzprobe mit „Herzlein, wie kann man so herzlos sein“. Und da gaben auch die ausgebufftesten Marzahnschranzen auf. Alle wollten fort. Von Gags und Gauklern keine Rede mehr. Von Gassenhauern schon gar nicht. Aber Ute Thon kann sich auf etwas gefaßt machen, das schwöre ich.

Olga O'Groschen