Dein ist mein ganzer Nerz

 ■ Über Mode und Film: Hollywoods Strick- und Schnittmuster

von Martin Halter

Greta Garbos Regenmantel aus Ninotschka, Rita Hayworths fleischgestütztes Korsagenkleid aus Gilda, das kesse Strohhütchen, das Audrey Hepburn als Süßer Fratz trug oder der Gangsterfilm-Borsalino, Omar Sharifs Schiwago-Hemd, Humphrey Bogarts Trenchcoat und Brigitte Bardots Schlabberpullis: Die Reihe der Filme, die Liste der Stars, die Kleidungsstücken zu einer Modekarriere verhalfen, ließe sich beliebig verlängern. Und seit die Mode von ihren nostalgischen Revivals lebt, können selbst Kopien von Kopien für originell gelten: Der große Gatsby, Der Clou oder Bonny and Clyde haben in den siebziger Jahren die Mode der Roaring Twenties wiederbelebt, John Travolta die Schmieren-Komödie der Fünfziger. Madonna trägt Marilyn als jungfräulichen Punk auf, und Marlene Dietrichs weite Männerhosen schließlich, einst Signale verruchter Emanzipation, haben sich mit fünfzigjähriger Verspätung als tragbar erwiesen. Das Kino hat in seiner bald hundertjährigen Geschichte immer wieder Moden, die schon in der Luft lagen, durchgesetzt und neue Trends kreiert; kurzlebige zumeist (wie zuletzt die Carmen-Rüschen,Amadeus-Spitzen oder den Out of Afrika-Safarilook), zuweilen aber auch folgenreiche: Man denke nur an die von Audrey Hepburn, der „Lolita der H-Linie“, populär gemachte Silhouette oder an das klassische Halbstarken-Outfit Jeans, T-Shirt, Lederjacke -, das Asphaltcowboys wie James Dean und Marlon Brando in den fünfziger Jahren einführten. „Was ich anziehe, zieht Millionen an“, prahlte die Hollywood -Diva Dorothy Lamour: Ihr Sarongkleid als „Dschungelprinzessin“ löste 1936 eine Exotikwelle aus. Anfang der vierziger Jahre wechselte Rita Hayworth ihr Kopfdesign, weil die Beleuchter geklagt hatten, ihr Haar wirke wie eine schlecht sitzende Perücke; woraufhin bald alle Welt rothaarige Perücken trug.

Mode und Film: Das ist eine ästhetische, sozialpsychologische und ökonomische Symbiose. Beide sind schon ihrer Struktur und Wirkung nach eng miteinander verwandt. Nicht nur, weil sich das Kino immer wieder explizit mit der Welt der Mode befaßt hat - etwa in Männer machen Mode (1952), Ein süßer Fratz (1957); erst kürzlich hat Wim Wenders einen abendfüllenden Dokumentarfilm über den japanischen Modemacher Yohji Yamamoto (Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten) gedreht, in dem er den Gemeinsamkeiten zwischen Couturier und Regisseur nachspürt. Beide stellen Waren her, die Kunstwerk und Massenkonfektion zugleich sind; Filme wie Kleider sind Elemente eines visuell attraktiven Zeichensystems, das durch die individuelle Phantasie seines Schöpfers hindurch gesellschaftliche Wunschvorstellungen ausdrückt. Der Charakter hat sich veräußerlicht, und noch das unscheinbarste Accessoire ist bedeutsam für die Konstitution des „Typs“ oder seiner spielerischen Schwundform, des „Looks“. Wer der Gute, der Böse und der Häßliche ist, das entscheidet sich um so mehr in der Kleidung, je beschränkter die Ausdrucksmittel der Filmsprache sind. Der Stummfilm prunkte nicht zuletzt deshalb mit aberwitzigen Phantasiekostümen. Das hochgesteckte Frauenhaar in den Hollywood-Filmen der vierziger Jahre ist Symbol der strengen, arbeitsamen Frau; die Auflösung des Knotens verweist allemal auf ihre bevorstehende Hingabe. So bildet sich im Film ein kompliziertes Gespinst von Chriffren, Assoziationen und Tabus aus und ab, zu dessen Textur wesentlich die Textilien gehören. „Treffen das System Kleidung und das Medium Film aufeinander“, schreibt die Mode - und Filmtheoretikerin Karen Ellwanger, „verstärken sie sich gegenseitig.“

Daß gesellschaftliche Leit- und Identifikationsfiguren immer auch Trendsetter waren, daß sich die Masse ihren Lebensstil zum Schnittmuster ihrer Träume nimmt, auch wenn sie in der Kleidung höchstens einen Rockzipfel - die Trümmerfrauen malten sich die Nähte des Nylonstrumpfs aufs nackte Bein - davon zu fassen bekommt: All das ist nichts Neues. Meist waren es müßiggängerische Klassen, die jenseits der Produktionssphäre und materieller Not den modischen Geschmack kultivierten. Im Ancien regime lancierte die Aristokratie den „Dernier cri“, im neunzehnten Jahrhundert spielten die Schauspieler die Rolle der Agenten der Haute Couture, im demokratischen zwanzigsten schließlich teilen sich die Champions der Unterhaltungsindustrie - Sportler, Filmstars, Sänger - jenen zweifelhaften Ruhm. Seit das Prinzip des „Anything goes“ nicht nur in der Mode gilt, nehmen die Schneider freilich an allem Maß: Soldatenuniformen und Punkfetzen, exotische Baströckchen und Holzfällerhemden drapieren die Menschen heute zu Kleiderständern aller Stile, Epochen und Länder.

Die große Zeit der Filmmode aber, die nicht zufällig mit der goldenen Ära Hollywoods zusammenfällt, waren die dreißiger und vierziger Jahre, als das Diktat der Mode noch funkionierte. Im Stummfilm waren die Korsetts der Walküren und die gepufften Milchmädchenröcke der artigen Engelchen noch aus dem Fundus des Theaters besorgt oder, wie im Falle Lillian Gishs, von der Mutter zusammengeflickt. Die Filme aus Hollywoods klassischer Periode sind allesamt Kostümfilme; der Stoff, aus dem die Träume sind, war der lasziv über die Schulter geworfene Pelz samt Pailletten -Glamour. „Gesegnet sei dein Lametta-Dekollete und die Marabu-Stola aus Chicago“, singt Andre Heller über Jean Harlow. So wurden von den riesigen Costume Departements der Filmgesellschaften atemberaubend enge Abendkleider, kostbare Capes und gewagte Hut-„Kreationen“ entworfen, die die Schauspieler zu Mannequins auf dem Laufsteg degradierten. Von dem Paramount-Mogul Adolph Zukor ist sogar überliefert, daß er, von Haus aus gelernter Kürschner, seine Stars gern in Pelze hüllte, um so der Haute Fourrure wieder auf die Beine zu helfen; deshalb auch die Pelzorgien in Die scharlachrote Kaiserin (1934). Wenn das Aschenputtel, wie so oft in den Kinomärchen jener Zeit, Millionärsfrau werden will, braucht es dafür eine auf den Leib geschnittene Garderobe: Dein ist mein ganzer Nerz.

Kleider machten Menschen, Kostüme Schauspieler, und die Üppigkeit der ersteren war nun nicht mehr nur Darstellungsmittel, sondern schiere Repräsentation, Traumfabrik-Luxus. Ginger Rogers‘ Pelzkostüm für Lady in the Dark ging als das teuerste der Filmgeschichte in die Analen ein: 35.000 Dollar durfte die Stardesignerin Edith Head, achtfache Oscar-Preisträgerin für Kostümdesign, dafür ausgeben. Der Effekt war grandios, aber durchaus riskant: Im selben Film verlor sich die zierliche Ginger Rogers zur allgemeinen Heiterkeit in einem bombastischen Brautkleid. In der Nachkriegszeit drang dagegen das hausfrauliche Sparsamkeitsmotto „Aus eins mach zwei“ bis in die Kinos vor. Die Frau nach Maß konnte sich in einem einzigen Kostüm mal als brave Hausmutter, mal als lockendes Weib verkleiden. Ingrid Bergmann machte es inSpiel mit dem Schicksal (1945) vor: Weil der Kostümetat knapp bemessen war, trug sie Kleider, deren Muster nicht zufällig an Küchenvorhang- und Tischdeckenstoffe erinnerten.

„Up to date“ zu sein, gehörte zur Aura des Stars, und es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, daß die Filmproduzenten ihre Zugpferdchen zum obligatorischen Modebummel nach Paris einfliegen ließen und die beträchtlichen Ausgaben - die mondäne Gloria Swanson gab 1925 einmal eine Viertelmillion Dollar aus - dem Werbeetat zuschlugen. Audrey Hepburn, die sich in Sabrina vom All american girl zur eleganten Dame fortbilden mußte, trägt seit damals im Film wie auch privat nur noch die Kreationen des französischen Modeschöpfers Hubert de Givenchy. „Givenchys Hüte!“ schwärmt die Hepburn im Geleitwort des Bildbandes Film und Mode - Mode im Film. „Sie ließen das Gesicht in der Großaufnahme stets wie ein wundervoll gerahmtes Bild erscheinen. Givenchys Kreationen gaben mir immer das Gefühl von Sicherheit und Selbstvertrauen, die Arbeit fiel mir leichter in der Gewißheit, daß mein Äußeres perfekt stimmte.“

Sind die Modedesigner auch Diktatoren, so können sie doch selber zum Sklaven fremder Leute werden; die großen französischen Couturiers sind in Hollywood am Kostümdesign oft genug gescheitert. Coco Chanels Entwürfe für Gloria Swanson (in Tonight or never) waren ein kapitaler Flop, weil sie bei der Premiere des Films bereits „demode“ waren. Errol Flynn ließ für seine Liebesabenteuer des Don Juan (1949) kurzerhand die Renaissancemode umschreiben, weil ihm kurze Pluderhosen und Halskrause unvorteilhaft zu Gesicht standen. Von dem berühmten Walter Orry-Kelly geht sogar die Rede, er sei aus Enttäuschung darüber gestorben, daß der Kostümdesign-Auftrag für My fair Lady an seinen Rivalen Cecil Beaton gegangen war.

Die Stars ihrerseits waren nicht nur die Kleiderständer, sondern selber Modekreationen, dem Trend unterworfene Geschöpfe von Make-up-Designern und Schneidern, Friseuren und Gesichtschirurgen. Modezeitschriften hoben für jede Saison einen anderen „Typ“, die „Sportliche“ (Katherine Hepburn), die „Vornehme“ (Merle Oberon) oder die „Exotische“ (Ilona Massey), auf den Schild wie Autodesigner ihre neuen Modelle. Selbst die Körper der Stars waren den Fährnissen des Modegeschmacks ausgeliefert wie die Länge des Rocksaums. Die „Sexbombe“ der fünfziger Jahre etwa wurde um 1960 vom mädchenhafteren Typ „Audrey Hepburn“ - das „kleine Schwarze“ mit großer Sonnenbrille - verdrängt.

In jene Blütezeit von Kostümfilmen und Filmkostümen fällt auch ein Vertriebssystem, das durchaus modern anmutende Züge trägt. Man konnte entweder Firmenmarken im Film direkt in Szene setzen - eine Vorform unseres Product placements oder aber die „Kollektion zum Film“ rechtzeitig zur Premiere vorstellen. Dieses sogenannte „Waldmann-System“ wurde Mitte der dreißiger Jahre mit der Gründung einer „Cinema Fashion„ -Ladenkette perfektioniert. Filmhistoriker wollen nachgewiesen haben, daß Hollywood damals auf Druck der Textilindustrie hin „moderne“ Themen mit zeitgenössischen Kostümen favorisierte.

Als 1948 zum ersten Mal ein Oscar für Kostümdesign bezeichnenderweise ging er seither fast ausschließlich an die Schöpfer historischen Fummels - verliehen wurde, war das Star-Kostüm schon selber fadenscheinig geworden. Mit dem kultischen Nimbus der Diven schwand auch ihre modische Pilotfunktion. Die Filmgesellschaften begannen ihre teuren Kostümabteilungen aufzulösen; der Fundus wurde versteigert. Man trägt, historische oder Science-fiction-Filme ausgenommen, Konfektionsware. Der Charakterdarsteller bedarf keiner Maskerade, und die ganze Kunst des Kostüms besteht nun darin, abgetragenen Chic und unaufdringliche Adrettheit zu kreieren. Filmkleider werden heute entweder gleich von der Stange gekauft oder bestenfalls von beauftragten Modeschneidern entworfen. Natürlich ist sich kein Armani, kein Saint-Laurent, kein Gaultier zu schade als Kostümschneider: So etwas befördert, wenn nicht den Umsatz, so doch den „creativen“ Leumund. Aber die Promotion bestimmter Kollektionen durch einen Film spielt heute eine um so geringere Rolle, als die Mode ohnehin alles erlaubt. Die Pin-up-Starlets beflügelten wenigstens noch die Bikini -Industrie; aber man kann sich unschwer die Verzweiflung der Modefürsten ausmalen, wenn heute ein Schimanski seine C&A -Jacke überstreift oder Woody Allen in kariertem Hemd und Strickjacke durch die Schluchten von Manhattan schlurft.