Tage der offenen Grenzen in Korea?

■ Nach Ankündigung der südkoreanischen Regierung sollen Mitte August für fünf Tage die Grenzen zwischen den Bruderländern geöffnet werden / Nordkorea reagiert kühl auf den Seouler Vorschlag

Aus Seoul Sandra Uschtrin

Die Schlagzeilen der südkoreanischen Morgenzeitungen vom Freitag kündigten es bereits an: Die Grenze zwischen Nord und Südkorea soll geöffnet werden. Das jedenfalls, so war den Blättern zu entnehmen, werde Staatspräsident Roh Tae Woo am Freitag morgen in einer landesweit von allen Fernsehstationen übertragenen Rede verkünden. Weitere Einzelheiten wurden offiziell nicht bekanntgegeben.

Die in den Zeitungen veröffentlichten, inoffiziellen Vermutungen wurden dann auch - wenige Minuten nach 8 Uhr bestätigt. Für fünf Tage, um den 15. August herum, den 45. Jahrestag der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft, sollen Koreaner aus dem Süden und dem Norden über die bisher hermetisch geschlossene Grenze bei Panmunjon und möglicherweise auch an anderen Stellen der demilitarisierten Zone die Grenze überschreiten dürfen. Dies würde nach fast vierzig Jahren der Trennung für viele getrennte Familien ein Wiedersehen ermöglichen.

Erinnerungen werden wach an die wenigen Tage im September 1985, als sich unter der Ägide des Roten Kreuzes Familien aus den beiden Hauptstädten treffen konnten. Die emotionsgeladenen Szenen von damals, vom koreanischen Fernsehen tagelang live übertragen, sind noch in lebendiger Erinnerung. Roh Tae Woo antwortete damit auf überraschende Weise auf ein bisher als „nordkoreanischer Propagandatrick“ abgetanes Angebot von vor wenigen Tagen, das ein Treffen von interessierten Gruppen in Panmunjon vorschlug. Das sei nur der übliche Versuch, die Lage in Südkorea zu destabilisieren, hieß es.

Bis 16 Uhr dauerte die Spannung, dann wurde eine erste Reaktion Nordkoreas bekannt. E war nicht die totale Ablehnung, die im allgemeinen erwartet worden war. Zwar hieß es aus Pjonggang, der Vorschlag aus Seoul sei unrealistisch und lediglich politische Propaganda. Dann jedoch wurden Bedingungen gestellt und damit der Ball an Südkorea zurückgegeben. Die von Südkorea errichtete Betonmauer am 38. Breitengrad müsse verschwinden.

Damit wiederholte Kim Il Sung ein schon vor einiger Zeit in Anspielung an die Berliner Mauer gebrauchtes Motiv. Auch müsse das südkoreanische Staatssicherheitsgesetz für ungültig erklärt werden. Nach diesem Gesetz sind noch vor kurzem Dissidenten aus dem Süden wegen nicht genehmigter Nordkontakte und -besuche zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden.

Jetzt wartet man gespannt auf die Fernseh-Abendnachrichten von 21 Uhr (14 Uhr MEZ), in denen weitere Einzelheiten der nordkoreanischen Reaktionen und erste Äußerungen der südkoreanischen Regierung erwartet werden. Gespräche mit Südkoreanern lassen eine weitverbreitete Skepsis sichtbar werden. Viele zweifeln, daß es tatsächlich zu den grenzüberschreitenden Besuchen im August kommen wird. Dabei wird auch immer wieder auf die von den beiden deutschen Staaten grundverschiedene Entwicklung der letzten Jahrzehnte hingewiesen: Zwischen Nord- und Südkorea hat es seit der Teilung weder einen Brief- noch einen Telefonverkehr gegeben. Radio- und Fernsehsendungen aus dem jeweils anderen Land wurden mit Einsatz aller Mittel gestört. Wohl kaum hat es zwei so verwandte Länder gegeben, in denen so wenig übereinander bekannt ist.

Staatspräsident Rohs Angebot scheint jedenfalls eine Modifikation, wenn nicht Abkehr von der bisher verfolgten Strategie gegenüber Nordkorea zu sein. Zu dem Versuch, auf dem „Umweg“ über die Verbesserungen der Beziehungen zu den Verbündeten Nordkoreas Druck auf Kim Il Sung auszuüben, ist nun wieder der direkte Kontakt getreten.

Innenpolitisch könnte Roh so der Kritik begegnen, daß er seinen bisherigen Ankündigungen für eine offensive Nordpolitik wenig Taten folgen ließ. Zugleich mag es ein dem Treffen mit Gorbatschow vergleichbarer Befreiungsvorschlag sein, um sich aus der von vielen Koreanern als unerträglich empfundenen Situation zu winden, in die sich Regierungs- und Oppositionsparteien durch die jüngsten, bis zur Anwendung physischer Gewalt gehenden Aktionen im Parlament gebracht haben.