: DM-Roßkur für gebeutelte Kaligruben
■ 3.000 thüringische Bergleute protestieren in Sondershausen gegen drohenden Arbeitsplatzabbau Das einstige Flaggschiff des DDR-Exports soll nach westlichem Modell „gesundgeschrumpft“ werden
Berlin (taz/dpa) - Das „Glück auf!“ des Steigerliedes will den 3.000 Kali-Kumpeln im thüringischen Sondershausen am Samstag nicht so recht über die Lippen kommen. Weit mehr als eine gute Portion Glück ist gefragt, wenn es gelingen soll, 15.000 Kollegen aus den Kali-Bergbaurevieren der DDR vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren. Die IG Bergbau, die zu der Protestversammlung auf dem Marktplatz des Kreisstädtchens aufgerufen hat, befürchtet, daß die Berliner Nachlaßverwalter der Konkursmasse DDR und ihre Kollegen in Bonn den Kali-Bergbau der demontierten VEB-Wirtschaft eigentlich schon abgeschrieben haben.
Es wäre „das soziale Aus für viele tausend Familien“ in den drei Revieren Südharz, Werra und Zielitz, erinnern die Demonstranten ihre Regierung daran, sollte die geplante „Gesundschrumpfung“ der einstigen Export-Branche Nr.1 Wirklichkeit werden. Was ansteht für die unbedarften Bergleute, so wie allerorten in der Noch-Republik, ist eine lebensnahe Lektion in Sachen Marktwirtschaft.
Das Kali-Kombinat „Hängen im Schacht“ soll - wie seinerzeit die bundesdeutsche Ruhrkohle - in eine Holding-AG mit regionalen Tochtergesellschaften umgewandelt werden. Obgleich Wolfgang Zimpel, Vorsitzender der betrieblichen Gewerkschaftsleitung, seine Hoffnungen in Verhandlungen mit der Kasseler Kali und Salz AG setzt, bleiben kaum Zweifel: die Hälfte der 31.000-Mann-Belegschaft wäre für „wettbewerbsfähige“ Kaligruben nur unnötiger Ballast.
Dereinst erwirtschaftete der Kali-Bergbau der DDR die meisten Devisen für das Land. Als weltweit drittgrößter Produzent lieferte die DDR jede zweite Tonne des geförderten Düngers in die RGW-Staaten. Nach der Währungsunion nun mag kaum noch ein osteuropäischer Partner für harte D-Mark Kali ordern. Entsprechend mies ist die Absatz- und damit auch die Finanzlage des Kali-Kombinats, die Kumpel schieben Kurzarbeit. „Diesen Monat arbeiten wir acht Tage lang nicht, nächsten Monat sollen es zwölf sein“, sagt ein Sonderhäuser Steiger. Wie immer, wenn es um das Wegsanieren von Arbeitsplätzen geht, muß dazu die Produktivität herhalten, und die liegt im Vergleich zur bundesdeutschen darnieder. Ein DDR-Bergmann fördert zwischen einem Viertel und der Hälfte dessen, was sein westlicher Kollege aus der Erde holt. Das sei die Folge fehlender Investitionen, beklagt der technische Leiter des Sonderhäuser Schachts, Peter Schwarz, denn 20 Jahre lang habe der SED-Staat die Betriebsgewinne einfach nur abgeschöpft.
Für diese Mißwirtschaft indes wollen jetzt die Kali -Bergleute nicht ihren Kopf hinhalten. In einer Entschließung forderten sie am Samstag ein umfassendes „Zukunftsprogramm mit entsprechender Unterstützung aus dem Bundeshaushalt“. Dazu gehören unter anderem Überbrückungsgelder aus öffentlichen Mitteln für konkursreife Betriebe, darunter ein „Feuerwehrfonds“, um Lohnzahlungen zu sichern. Des weiteren die Bewilligung beantragter Fördermittel bis 1992, um „den Strukturwandel menschenwürdig und sozialökologisch vertretbar zu vollziehen“ und ein regionales Infrastrukturkonzept mit Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie einen Altschuldenerlaß. Freuen könnten sich die Umweltschützer, wenn der Kali-Bergbau schrumpft, leiteten die Thüringer doch jährlich über zehn Millionen Tonnen Salz in Werra und Weser ein. Die stillgelegten Kali-Schächte könnten sich aber als trojanische Pferde erweisen: bei Mühlhausen soll Sondermüll gelagert werden.
Th. Worm
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