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THE FALL - ein Volk sprengt seinen Rasen

■ Nach dem mäßigen Erfolg von „The Wall“ können sich die BerlinerInnen auf das nächste Superereignis freuen: Am 9. November steigt auf der Oberbaumbrücke die Multimediashow „The Fall“ / Der Clou: Beatles wiedervereinigenen sich mit den Fischer-Chören / Erlös für die Kinder der Welt

Berlin. „Im europäischen Haus wird Berlin immer mehr die Musizierstube für die Weihespiele“ - so freute sich gestern der Regierende Momper über eine gute Nachricht aus London: Geplant ist nämlich ein neues Superspektakel an der Spree. Am deutschen Jahrestag der Maueröffnung, der Ausrufung der Weimarer Republik 1918, aber auch in Gedenken an die Pogromnacht von 1938, soll auf der Oberbaumbrücke die multimediale Rockoper mit dem beziehungsreichen Titel „The Fall“ welturaufgeführt werden. Vor rund einer Million Fans vor Ort und einem TV-Publikum von zwei Milliarden Menschen aus fünf Kontinenten wollen sich am 9.November die legendären Beatles wiedervereinigen - und damit ihren Beitrag zum geplanten neuen Nationalfeiertag der Deutschen (die taz berichtete) leisten. Der Erlös der Oper, für die der Erfolgskomponist Lloyd Webber („Cats“) Elemente aus Richard Wagners „Ring“ und Erfolgshits von John Lennon verwenden will, soll einem guten Zweck dienen: „Einen einzigen Dollar nur“, will Lennon-Witwe Yoko Ono für jedes Kind dieser Welt sammeln. Wieviele das genau sind, so das Management des dafür gegründeten „World Children - Love and Care Funds“ (WC-LCF), prüfe man derzeit noch.

Wie die taz erfuhr, haben bereits der Nestle-Konzern, der Heilige Stuhl, Daimler Benz und Bennetton („United Colours“) ihre Unterstütztung zugesagt. Bundespräsident von Weizsäcker in einer Stellungnahme: „Von den Bürgern beider deutscher Staaten erwarte ich eine Bewußtseins- und Empfindungsunion. Das sind wir unseren Kindern schuldig.“ Bundeskanzler Kohl kündigte an, daß die Bunderegierung „The Fall“ mit einem Hauptstadt-Kinderspielplatz-Programm flankieren werde. Die Gesamtberliner KiTa-ErzieherInnen werde man zur „Aufwertung ihrer gesellschaftlichen Arbeit“ mit Back-Stage-Ausweisen ausstatten.

Aus dem Umkreis der designierten Regisseure von „The Fall“, Robert Wilson und Freya Klier, wurden erste Details des dramaturgischen Ablaufs bekannt: Nach einer Peter-Fechter -Gedenkminute werden überlebensgroße Figuren von Scheidemann und Liebknecht in einem Streitgespräch die erste Deutsche Republik ausrufen. Ute Lemper singt in der Rolle der Rosa Luxemburg „Berlin, Berlin, Dein Herz kennt keine Mauern“. Nach dem Einbruch der Dämmerung werden auf Großbildwände in der Spreemitte projizierte Original-Dokumente an den schlimmsten 9. November der Deutschen Geschichte erinnern.

Dann steigen 99 bunte Trabis am Himmel über Berlin auf. Zugleich singen der Chor der Deutschen Oper unter Leitung von Chefdirigent Sinopoli und Solist Peter Hoffmann den „Chor der Gefangenen“ aus „Nabuco“. Höhepunkt ist eine spontane Massenflucht über schwimmende Pontons von Bundeswehr und NVA. Dazu erklingt der Song „Help“, gesungen von den Fischer-Chören und den drei überlebten Beatles.

Umstritten ist noch der Beitrag der französischen Sponsorenfirma „Moet & Chandon“, die mit Hamburger Feuerlöschschiffen einen Chapagnerregen über die am Friedrichshainer Ufer versammelten DDR-Zuschauer niedergehen lassen will, die wiederum mit Wunderkerzen ausgestattet, die Zahl 89 bilden. Senatorin Schreyer (AL) fürchtet noch um die UFA-Biotope und die Vegetation auf dem Ostberliner Güterbahnhof. Schreyer-Sprecher Rogalla: „Wir prüfen noch die Umweltverträglichkeit der Volksbesprengung“. Sicher scheint schon jetzt der Ort für die Premierenfeier: Kultursenatorin Martiny lädt alle Beteiligten in die VIP -Lounge, die sie im ehemaligen Führerbunker einrichten möchte. Die Veranstalter schätzen die Kosten für das Open -Air-Ereignis auf rund 10 Millionen DM. Wie aus dem Bonner Kanzleramt bekannt wurde, werde man Bundesmittel für die „multimediale Gestaltung des ersten gesamtdeutschen Nationalfeiertages“ bereitstellen.

gs/kotte/nana/tom

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