: Ein Kabinettstückchen von Lothar de Maiziere
■ Die DDR-Parteien streiten sich um den Zeitpunkt des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik. Ein Kompromißvorschlag, unterzeichnet von den Fraktionschefs der SPD und der Liberalen, verwirrte gestern die Abgeordneten der Volkskammer - er stammt von Lothar de Maiziere
Koalitionskrise in der DDR
Würde die Koalition platzen oder nicht? Über die Frage des Wahlmodus hatten sich die Oberfraktionäre der DDR-Regierung am Freitag und Samstag scheinbar restlos in die Haare gekriegt.
Ihre parlamentarische Basis verfolgte den inoffiziellen Wahlkampfauftakt über die Medien. Auf den Fraktionssitzungen bei den Liberalen und in der SPD krachte es vor der Sitzung. Der sozialdemokratische Fraktionschef Richard Schröder warf wutentbrannt seinen Aktenkoffer durch den Saal. Nur einer bewahrte an diesem Sonntagmorgen die Ruhe: der Saaldiener auf der Parlamentstribüne. Langsam und bedächtig beantwortete er die Frage nach der Perspektive des Koalitionskraches: „Die Herren werden sich auf der intellektuellen Ebene begegnen“. Eine grandiose Überschätzung. Denn danach folgte ein Stück aus dem Tollhaus, das die konsenswütigen CDUSPDBFD-Regierenden allerdings nicht entzweien dürfte. So befand ein Bonner Berater de Maizieres vor der Sitzung: „So schnell brechen Koalitionen nicht auseinander.“
Vor allem in der SPD-Fraktion kochte die Stimmung hoch. Gegenstand war schon längst nicht mehr der von SPD und Liberalen am Samstag ausklamüserte Antrag. Darin hatten die Parteien den Beitritt der DDR zur BRD „spätestens am Tag vor der Wahl zum gesamtdeutschen Parlament“ gefordert. Bis dahin sollten „die mit dem Beitritt zusammenhängenden Fragen in einem Einigungsvertrag“ einvernehmlich geregelt werden. Die DDR-Regierung - so wollte man de Maiziere eine Brücke bauen
-sollte „bis zur Bestellung der ersten gesamtdeutschen Regierung geschäftsführend im Amt bleiben“.
Während dies Papier die Runde machte, blieb de Maiziere nicht faul. Er leistete sich ein wahres Kabinettstück: Er diktierte selber einen Kompromißantrag - ließ darunter nicht etwa seinen Namen, sondern den der beiden Fraktionschefs von SPD und Liberalen setzen! Dem Papier zufolge soll „eine gemeinsame Sitzung der beiden Ausschüsse für deutsche Einheit noch im Juli“ einberufen werden, „um über gesamtdeutsche Wahlen zu beraten“. Zudem sollen die Regierungen beider Länder über eine Verkürzung der Fristen nach dem Bundeswahlgesetz verhandeln, so „daß eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl noch nach Abschluß des Vereinigungsvertrages organisiert werden kann“.
Mit diesem Papier, das die Entscheidung vom Parlament in Ausschüsse und Regierungen verlagert sowie den Beitrittstermin ausklammert, rauschte ein völlig entnervter Schröder in die SPD-Fraktion. Leise aber vernehmlich knurrte der wandelnde Griesgram: „De Maiziere hat alles diktiert“. Doch verschwieg er indes, wer das neue Papier formuliert hatte.
Die CDU wußte auch nicht so recht, welcher Antrag nun verhandelt werden sollte. Doch ihr Fraktionsvize Udo Kamm schmunzelte später: „Wir haben uns heute morgen mit dem zweiten Papier angefreundet“. BFD-Fraktionschef Rainer Ortleb bekam indes zunehmend kalte Füße. Zunächst verwirrte er die Journalisten mit der Bemerkung, er werde seiner Fraktion nicht empfehlen, den Kompromißantrag anzunehmen. Er wolle nun doch aus der Koalition aussteigen. „Wo sind wir hier eigentlich? Im Tollhaus oder in einem Parlament“, entfuhr es einem Beobachter, der noch vor zwei Minuten das Kompromißpapier mit Schröders und Ortlebs maschinenschriftlichen Unterschriften gesehen hatte. Der Liberale schob ab - und ging in sich. Eine Stunde später hielt er es wohl nicht mehr aus und schilderte mit todernster Miene, daß weder er noch Schröder das Papier unterzeichnet hätten. „Es stammt von Lothar de Maiziere“. In einer gemeinsamen Fraktionssitzung kehrten SPD und Liberale zu ihrem Antrag vom Samstag zurück.
Petra Bornhöft
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen