Renzo Piano - Baumeister

 ■ Seit dem Bau des Centre Pompidou ist er einer der

meistgefragten Architekten. Flughäfen, Museen, Werkhallen und Stadtsanierungen sind seine Spezialität.

Von Michael Kadereit

Renzo Pianos Bauch sitzt in Genua. Mit Beinen, Kopf und Händen mag er über den Erdball hasten, seine Wurzeln sind hier: Im Bauch von Genua, mitten in der Altstadt am Hafen. Die Luft in der ligurischen Metropole ist nicht vom Feinsten, eine häßliche Hochstraße aus Stahl zerschneidet den Blick auf die Bucht, quirliger Verkehr lärmt durch steile Straßen. Genau gegenüber ist eine Baustelle. Überall sprießen Schilder, Absperrungen und Bauzäune aus dem Boden, die alten Kaianlagen verschwinden hinter roten Plastikabdeckungen. So sehen die Genueser ihren wohl renommiertesten Mitbürger endlich auch auf heimischem Boden in Aktion. Denn Renzo Piano ist seit 1977, als er mit Richard Rogers das provozierende Centre Pompidou in Paris baute, zwar zu einem der gefragtesten Architekten der Welt geworden, zeigt aber jetzt zum ersten Mal auch in seiner Heimatstadt in großem Maßstab, was sein Ruf wert ist. Überall wo gebuddelt wird, tauchen die magischen Buchstaben RPBW auf: „Renzo Piano Building Workshop“.

1992 soll in Genua ein gigantischer Kolumbus-Zirkus stattfinden, die 500-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas durch den Genueser Cristoforo Colombo. Pianos Team hat unter den Schienenstrecken der stillgelegten Hafenkräne die alten Molen ausgebuddelt, noch intakte Anlegestellen aus dem 14.Jahrhundert, als Genua in Konkurrenz zu Venedig mächtigste Handels- und Hafenstadt des Mittelmeeres war. Piano baut eine U-Bahn, ein riesiges Aquarium und eine schwimmende Vergnügungsplattform; für das Ausstellungsgelände der Columbus-Expo restauriert er das enorme Baumwollager am Hafen, einen Bau aus Gußeisen und Backstein im historisierenden Stil der Jahrhundertwende, als Genuas Hafen noch florierte und nicht auf Freizeiterschließung angewiesen war.

Einen Steinwurf von der Mole des „porto antico“ entfernt schichten sich die engen, gepflasterten Gassen und die Häuser der Altstadt den Hang hinauf. Auch hier soll Piano im Zuge der Kolumbus-Feiern sanieren und das krisengeschüttelte Genua für eine bessere Zukunft rüsten.

Unter den Arkaden eines schwarzweißen Marmorhauses aus dem 14.Jahrhundert klebt eine schlichte Steinplatte mit den Buchstaben RPBW an der Wand, gegenüber der Privatkirche der Genueser Dogenfamilie Doria an der winzigen Piazza San Matteo. Ende der siebziger Jahre, zurück aus Paris und London, entwarf Piano hier für sich und seine Truppe das endgültige Hauptquartier. Der „Renzo Piano Building Worskshop“, das sind drei Stockwerke „laboratorio“, eine bis in den letzten Winkel mit Zeichentischen und Modellen vollgestopfte Werkstatt mit 60 Architekten, Ingenieuren und Handwerkern. Kein pompöser, durchgestylter Empfangssaal öffnet den Weg, sondern eine Schaltstelle mit Computern, Telefon und Faxgeräten, die Wände gespickt mit Ausstellungsplakaten Renzo Pianos. In einer Gruppe geschäftiger junger Architekten taucht bärtig und einen Zigarillostummel kauend der Chef auf, hemdsärmelig und unkompliziert, aber vom Arbeitsstreß sichtlich geknautscht. „Wir sind zur Zeit wahnsinnig beschäftigt“, entschuldigt er die Kürze des Interviewtermins.

Figaro hier, Figaro da, Renzo Piano baut gleichzeitig auf drei Kontinenten

Der Mann war nicht leicht zu haben. Pianos Standbein ist zwar der Workshop in Genua, aber er schafft mit vier Architekturbüros auf drei Kontinenten an vielen Großprojekten gleichzeitig. 100 Mitarbeiter aus 20 Ländern, meist blutjunge, engagierte Architekten, gehören zum Piano -Team. Die Etappen einer Reise zu seinen wichtigsten Baustellen und seinen vier „Studios“ heißen: Los Angeles, Paris, Genua, Osaka. In Newport bei Los Angeles baut er ein Museum für moderne Kunst, in Paris das Geschäftszentum Bercy - „ein großer schlafender Wal am Ufer der Seine“ -, in der Bucht von Osaka entsteht soeben der größte Flughafen der Welt, der „Kansai International Airport“. „Das ist mit Abstand unser bisher gewaltigstes Projekt. Ein Flughafen auf einer Insel im Zentrum Japans, geplant für 30 Millionen Passagiere jährlich, mit Starts und Landungen rund um die Uhr.“ Das Modell des Flughafengebäudes wölbt sich im Workshop wie der Rücken eines Brontosauriers - ein auf 1.700 Meter Länge geplanter Koloß. Ein junger schottischer Architekt, seit sechs Monaten im Piano-Team, erläutert das Farbfoto einer schon zum Teil fertiggestellten Landebahn: „Die Piste liegt mitten in der Osaka Bay, eine künstliche Flughafeninsel, taifunsicher drei Meter hoch über dem Wasserspiegel.“

Dem Verdacht auf Gigantomanie angesichts dieses 150 Milliarden Yen schweren Projektes nimmt schon Pianos Auftritt, seine bescheidene, ungeschwollene und direkte Art, die erste Schärfe. „Das ist für uns ein Pilotprojekt wie vor 20 Jahren das Centre Pompidou. Damals klotzten wir diesen absurden Bau voller Röhren und Farben ins Zentrum von Paris, wie eine Phantasie von Jules Verne mitten zwischen die ernsten und strengen Pariser Kulturbauten. Osaka ist eine Herausforderung, eine Insel als Flugplatz Überschallflugzeuge, die scheinbar mitten im Wasser landen. Was daraus werden soll, ahnen wir heute noch nicht. Auch damals hat das 'Beaubourg‘, diese als Spiel gemeinte Metapher auf die moderne Technologie, mir und Rogers noch Jahre später Kopfschmerzen bereitet, denn in der Vorstellung der Leute mußte eine Arbeit von uns fortan so aussehen wie das Centre Pompidou.“

Als Renzo Piano vor Jahren gefragt wurde, warum der Komponist Luigi Nono ausgerechnet ihn mit der Inszenierung seiner zwischen 1983 und 1984 in Venedig und Mailand aufgeführten Oper Prometheus beauftragt habe, gab er zur Antwort: „Vielleicht, weil ich mich nicht als Architekt, sondern als 'costruttore‘, als Baumeister verstehe.“ Der Genueser zauberte damals eine Art gewaltigen Schiffsbauch hin, eine gewölbte Konstruktion aus Holz für die Inszenierung Nonos. Auf den Bodenplanken saß das Publikum, umgeben von den Musikern, die ringsum und über den Köpfen der Zuschauer auf Holzstegen an den Innenwänden des imaginären Schiffes spielten.

Ein Schiff als Konzertsaal - Piano arbeitet gern mit solchen genial einfachen Mitteln, spricht von „Allegorien“ als Figuren aus der „kollektiven Erinnerung“: das Raumschiff (Centre Pompidou), der Wal (Geschäftszentrum Bercy), die Insel (Kansai), die Stadt in der Stadt (Projekt Lingotto in Turin); in seinen Bauten findet man immer wieder „Wundergärten“ oder Sonnenblenden, „die das Licht umlenken wie die Blätter der Bäume“. Doch geprägt ist seine Arbeit durch das handwerkliche, die technische Konstruktion, das materielle Detail. Deshalb nennt er sich lieber Baumeister, Konstrukteur, auch um sich vom heutigen Bild des Architekten abzusetzen.

„Die moderne Architektur ist eine Art Selbstgeißelung gewesen, die mehr oder weniger unbewohnbare Bauten hervorgebracht hat. Ich verstehe also beispielsweise die Flucht der postmodernen Architekten aus diesem calvinistischen Übermaß an Perfektion, diesem Mangel an Leichtigkeit, diesem Verständnis von Architektur als Urteil, als Strafe. Aber historische Versatzstücke zu nehmen, finde ich ziemlich akademisch und wenig kreativ. Architektur muß voller Freude, muß leicht sein, aber dafür braucht man nicht unbedingt Zitate aus der Vergangenheit zu bemühen. Damit kastriert man sich selbst und landet in der Sackgasse nicht umsonst ist die postmoderne Bewegung schon passe.“

Der magische Moment ist der Anblick der Baustelle

Als junger Ragazzo wird der 1937 in Genua geborene Piano sich kaum an den Ritzen in den Absperrungen der Baustellen die Nase plattgedrückt haben wie seine Altersgenossen. Denn sein Vater, ein Ingenieur, war Bauunternehmer, und der junge Renzo erlebte Bauen als das „Zusammensetzen von vielen Objekten zu einem funktionierenden Ganzen“ hautnah auf den Baustellen des Vaters. Und bis heute ist die Baustelle für ihn „der magische Moment, der Augenblick der Entdeckung“. Während des Interviews hageln neue Baustellentermine auf den Tisch, oben im dritten Stock warten ungeduldig Ingenieure auf ein klärendes Gespräch mit dem Baumeister. Vorher zeigt Piano den Gästen den magischen Ort seines Workshops: Eine kleine, aber bestens ausgestattete Holzwerkstatt, aus der Gerüche von Holz, Lack und Leim durchs Gebäude ziehen. Ein Tischler („Der Mann ist ein Genie“) setzt hier die zeichnerischen Entwürfe wieselflink in Modelle um. „Nur hier kann man richtig begreifen, wie handwerklich wir arbeiten“, strahlt Piano, „hier ist die Schaltstelle zwischen Hand und Kopf, wo das Gedachte erstmalig konkret wird.“

Piano studierte 1964 am Politechnikum in Mailand, ging dann nach Frankreich, in die USA, und unterrichtete am Politechnic of London. („Ein sehr guter Lehrer“, sagen die Schüler.) Piano baute ein Einkaufszentrum in Cambridge, Industrie- und Bürogebäude in Italien (Olivetti), ließ 1970 durch die Baufirma seines Vaters den Pavillon der italienischen Industrie in Osaka erstellen, dann kam die Zusammenarbeit mit Rogers. Piano erprobte sich an allem, was sich bauen läßt, von Wohnhäusern (wenige), bis zu Museen (allen voran die Sammlung De Menil in Houston 1981-86), vor allem aber an großen öffentlichen Gebäuden. Sein Faible jedoch sind Restaurierungen und Sanierungsprojekte: Auf Rhodos der Umbau der Stadtmauern und des historischen Zentrums, in der alten Fiat-Fabrik Lingotto in Turin die Umwandlung in ein High-Tech- und Ausstellungszentrum, in Xania auf Kreta die Renovierung der alten venezianischen Arsenale. „Dabei reizte mich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Geschichte des Ortes. Das ist ebenso wie die Natur meine Inspiration, der Anlaß zum Dialog mit den technischen Lösungen.“ Bewußt hat Piano seinen Workshop nicht ins mondäne Designer-Viertel Mailands oder an eine Architekten-Avenue in New York, sondern nach Genua verlegt; bewußt hat er auch den Rahmen seiner transnationalen Projekte begrenzt. 100 Leute gehören zu seinem Team, alles, was darüber hinausginge, „würde mich zum Manager, zum Koordinator reduzieren, die Kreativität wegnehmen.“

„Wir haben keinen Stil zu verteidigen, einen stilistischen Stempel mit Namen Renzo Piano gibt es nicht, das wäre langweilig.“

Geld spielt bei der Auswahl der Arbeiten keine Rolle mehr („Gott sei Dank“). Pianos Sekretärin Carla Carbato trennt bei den hereinkommenden Angeboten die gröbste Spreu vom Weizen, dann entscheiden der Baumeister und sein Team. Von drei Angeboten findet im Durchschnitt nur eines das Placet: „Hier kommt so ziemlich alles rein, was es gibt, auch die seltsamsten Dinge. Wir planen zum Beispiel ein großes Projekt zur Sanierung und Wiederaufwertung der 'Sassi‘ von Matera, dieser viertausend Jahre alten Höhlenstadt in Süditalien. Wir haben für Fiat den Prototyp eines Autos gebaut, den Vorläufer des 'Tipo‘. Wir planen die Renovierung und den Umbau der Basilica Palladiana in der Palladio-Stadt Vicenza in ein Kulturzentrum; für eine amerikanische Gesellschaft bauen wir ein Kreuzschiff für dreitausend Passagiere, eine schwimmende Stadt - mir machen solche ausgefallenen Dinge einfach Spaß! Aber es ist kein Eklektizismus, der uns dazu treibt, sondern eher die Lust am Entdecken, am Abenteuer.“

Schwerlich lassen sich Pianos Arbeiten in die großen Architekturströmungen des Jahrhunderts einordnen. Bewußt hat er sich aus den modischen Tendenzen rausgehalten. Seine technisch so ausgefeilten Bauten sind weder konstruktivistisch noch High-Tech. Selbst das Centre Pompidou ist für ihn keine Technik-Huldigung, sondern ein oft falsch verstandener „Technologie-Scherz“. Als Leitfaden zwischen seinen so verschiedenen Konstruktionen will er allenfalls die Auseinandersetzung mit dem konkreten Ort, seiner Geschichte, seiner natürlichen Umgebung anerkennen. „Wir haben keinen Stil zu verteidigen, einen stilistischen Stempel mit Namen Renzo Piano gibt es nicht, das wäre langweilig.“

Sein Studium in den sechziger Jahren, zur Zeit der ersten Studentenbewegung, hat ihn für das soziale Umfeld von Architektur sensibilisiert, „aber ich war nie politisch aktiv, habe mich immer nur fürs Bauen mit Stein und Stahl interessiert“.

Liebe für Detail und Technik, für lebbare Architektur sind vielleicht das, was Pianos Bauten populär machen. Keine übertriebene Künstlichkeit, kein Streben nach Kunst -Effekten. „Ich rege mich oft auf über das Image der Architekten als Künstler. Ich bin für eine Normalisierung, 'runter von diesem Roß der hohen Kunst. Auch deshalb haben wir uns in diese abgeschiedene Ecke der Welt verzogen, hier nach Genua mitten zwischen ganz normale Leute. Ich benutze oft das Beispiel des einfachen Bäckers, vielleicht hier in der Altstadt. Der muß täglich sein Brot backen, eine schlichte, aber wesentliche Tätigkeit. Genauso muß auch der Architekt zunächst die grundlegenden Dinge produzieren, danach kommen erst Genialität, Kreativität und so weiter.“

Das Brotbacken lernte Piano schon auf den Baustellen seines Vaters, die Kreativität kommt bei ihm aus den Regeln des Handwerks und den konkreten Vorgaben eines Projektes: „Umwelt, Natur, Geschichte sind für mich eine Segnung des Himmels, eine Ordnung, eine Leitschnur, an die wir uns halten müssen - was einen nicht daran hindert zu träumen!“

Daß Piano für Luigi Nono ein Schiff konstruierte, entsprang vielleicht seiner Herkunft aus der Hafenstadt Genua. Es blieb bisher seine einzige Arbeit als „Bühnenbaumeister“. Musik jedoch gilt ihm als Quelle der Inspiration. Für das 1977 mit Rogers gebaute musikwissenschaftliche Zentrum ICRAM von Pierre Boulez in Paris projektiert er soeben einen Erweiterungsturm; für das Fiat-Projekt Lingotto arbeitet er mit dem Komponisten Luciano Berio an einer Reihe „musikalischer Stationen“. „Mit Berio habe ich oft über das Problem von Regel und Unordnung, von Disziplin und Ungehorsam gesprochen. Die Arbeit des Musikers steht der des Architekten sehr nahe: So wie für uns die Technik, so sind auch für den Musiker seine fünf Notenzeilen eine geradezu mathematische Ausgangsstruktur. Erst im Laufe der Arbeit kann er diese Disziplin stürzen - erst dann ist alles möglich.“ Doch auch dafür, so grinst der „costruttore“ verschmitzt, müsse in jedem Fall eine Grundharmonie greifbar sein. „Und die steht auch bei uns nicht auf dem Papier - die kommt schließlich doch aus dem Bauch.“