: SERO sitzt praktisch auf einem Papierberg
■ Leipziger Ökolöwen fordern, das Müllproblem endlich anzugehen / Nach der Neustrukturierung der Ministerien fiel SERO unter den Tisch / Niemand fühlt sich jetzt dafür zuständig / Verbraucher und Ministerium sind angesprochen
INTERVIEW
Nach wie vor haben viele Aufkaufstellen für Sekundärrohstoffe geschlossen, oder verwandeln sich binnen kurzem in Videotheken. Neue Plasteverpackungen, Bier-, Cola -, Limobüchsen können in der DDR noch nicht recycelt werden. Wohin soll nun der Dreck?
Anfang Mai schrieb der Ökolöwe-Umweltbund Leipzig einen Offenen Brief an die Regierung der DDR, in dem unter anderem staatliche Subventionen und kommunale Unterstützung für SERO gefordert werden. Außerdem wurden Maßnahmen gegen den Import von Altstoffen unter dem Marktpreis und gegen die massenhafte und unkontrollierte Einfuhr von Einwegverpackungen und verpackungsintensiven Produkten verlangt. Das Pfandsystem soll auf schadstoffhaltige Produkte wie Batterien und Neonleuchten ausgedehnt werden, hieß es in dem Brief.
Die taz sprach mit Maren Pink, Chemiestudentin und Mitarbeiterin des Ökolöwen-Umweltbundes Leipzig.
taz: SERO war in der DDR Zwischenhändler für Altwaren aller Art. Er wurde aufgebaut, um Exkremente der Konsumtion zu erfassen und somit möglichst billig der Produktion sekundäre Rohstoffe zuzuführen. SERO unterstand deshalb dem Wirtschaftsministerium. Weshalb funktioniert dieses international anerkannte Recycling-System nicht mehr?
Maren Pink: Nach der Neustrukturierung der Ministerien fiel SERO unter den Tisch. Inzwischen fühlt sich keiner mehr zuständig dafür. Hinzu kommt, daß es westdeutschen Altwarenhändlern nun gelungen ist, den DDR-Konkurrenten durch Dumpingpreise - jedenfalls bei Altpapier auszubooten.
Das heißt, die Aufkaufstellen und auch SERO selbst sitzen auf dem Papier?
Ja'die Lager sind voll. Die können sich nicht rütteln und nicht rühren - nicht nur wegen Papier. VEB Feinkost bekommt seine Produkte nicht mehr los - Gemüsekonserven, Babynahrung, Spirituosen. Deswegen können sie natürlich auch nichts zurücknehmen. Da rettet auch die Subventionierung, die Umweltminister Steinberg für SERO versprochen hat, nichts mehr.
Was könnte er denn außer Subventionen noch tun?
Ich fürchte, gar nichts. Unserer Meinung nach müßte das Wirtschaftsministerium eingreifen. Zum Beispiel Einfuhrzölle verlangen. Oder auf gesetzlichem Wege das Verursacherprinzip durchsetzen - auch für den Westen. Ansätze dafür gibt es im Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung, das sich jetzt in der Diskussion befindet. Es wäre wichtig, SERO nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auch auszubauen.
Einige Aufkaufstellen haben die Auskunft gegeben, daß demnächst wieder Altstoffe angenommen, dafür aber gleichzeitig dort Coca-Cola-Büchsen verkauft werden. Ist das ein schlechter Witz?
Schlecht ja, aber Witz? Laut Berichten von Aufkäufern soll das so sein. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht. Dabei wurde noch vor knapp zwei Monaten darüber diskutiert, daß die Aufkaufstellen mit Ökoläden gekoppelt werden können. Recycling-Briefpapier, Recyling-Notizblöcke und so weiter. SERO läßt sich das ja zu Werbezwecken schon herstellen. Inzwischen denken sie vielleicht, daß sie damit zu wenig Leute ansprechen würden. Coca-Cola, denken sie, hat vielleicht eine stärkere Anziehungskraft.
Was ja so falsch nicht ist...
...schlimm genug. So geht es nicht mehr lange weiter. Ein Beispiel: Eine alte spanische Frau beschloß eines Tages, ihren Abfall nicht mehr aus dem Haus zu schaffen. Nachdem sie gestorben war, benötigte man mehrere LKWs, um ihren gesammelten Hausmüll wegzubringen. Ich denke, unsere Erde ist auch nur ein begrenzter Raum, und Müll ist für immer verbrauchte Energie, Arbeit und verbrauchter Rohstoff. Müll kann nur hin und her geschoben werden. Unsere Altlasten bleiben über mehrere Jahrtausende auffindbar. Fragt sich nur, von wem. Müll wird zwar in steigendem Maße ein Riesengeschäft für Müllverbrennungsanlagen und Deponiebetreiber sein. Nur - wer lebt schon gern auf bebauten Müllkippen?
Das scheint wie eine Grenzwertrechnung: Die Probleme werden immer größer und die Zeit, sie zu lösen, immer weniger, nicht nur in der Ökologie. Irgendwann gibt's vielleicht Luft in Tüten, und wer es sich leisten kann, der kann's. Dennoch die Frage: Habt ihr als Ökolöwen Konzepte für die Lösung des Müllproblems - mit oder ohne SERO?
Unserer Meinung nach ist das Konzept überhaupt die Müllvermeidung. Oder, wenn die Leute beispielsweise kompostieren würden, könnte der zu deponierende Hausmüll in der DDR um 10 Prozent gesenkt werden. Des weiteren könnte man bei konsequenter Auslastung des SERO-Recycling-Systems nochmal 50 Prozent einsparen. Für Markkleeberg haben wir ein Konzept zur Vermeidung, zum Recycling und zur Entlagerung entwickelt, das der Wohnstruktur angepaßt ist. Die Handelshochschule hat ein Müllkonzept für Leipzig erarbeitet. Wir denken auch, daß sich der unterteilte Mülleimer in der Küche durchsetzen sollte, da es auch bei uns bald möglich sein wird, Containersysteme für Getrenntmüll zu nutzen. In Leipzig beginnt SERO mit einem Viererpack für Papier, Glas, Plaste und Knüllpapier. Jede Art von Flaschen und Gläsern sollte durchgängig mit Pfand belegt werden, ebenso Neonleuchten und Batterien. Auf jeden Fall aber sind wir gegen die Verbrennung von Gewerbe- und Hausmüll. Abgesehen davon empfehlen wir umweltbewußten KäuferInnen nach wie vor, überflüssige Verpackungen einfach in den Läden liegen zu lassen.
Ihr habt Abgeordnete in der Stadtverordnetenversammlung, und Grüne sitzen auch im Parlament. Ihr macht Ökofeten, habt für die Forderungen aus eurem Offenen Brief Unterschriften gesammelt. Was brachte es bis jetzt?
Also, die Unterschriften als solche bringen rein juristisch noch gar nichts. Es gibt kein Gesetz, daß es auf eine bestimmte Zahl von Unterschriften wenigstens zu einer Anhörung kommt. Diskutieren im Parlament - das hilft auch nur was, wenn bei allen Menschen die Einsicht wächst, daß sie was tun müssen, weil sonst bald nichts mehr geht. Ich bin da eher pessimistisch. Was her muß, das sind Gesetze, die die Industrie an gewisse Verhaltensnormen binden. Und: Es wäre so wichtig, daß die Leute darauf drängen, daß was passiert. Sonst haben wir mit unseren Aktionen keine Chance. Daran hängt alles.
Das Interview führte Jette Seese
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen