: Dachbesteigung gegen Käfighaltung
■ Bericht von der Mannheimer Knastrevolte am 31. Mai
Am 31.5.90 bestiegen zwei Mitgefangene und ich aus Protest gegen die hier herrschenden Mißstände das Dach der JVA Mannheim. Wir hatten uns - nachdem wir als einzelne erfolglos versucht hatten, mit der Anstaltsleitung ins Gespräch zu kommen - mit Spruchbändern und einem Forderungskatalog ausgerüstet, um mit dieser Aktion auch die Öffentlichkeit auf die Zustände in der JVA aufmerksam zu machen. Nur ein Beispiel dafür, wie wir hier behandelt werden: Walter, einer der „Mitbesteiger“ wollte Ausgang, um seine Entlassung vorzubereiten. Wurde ihm ohne Begründung abgelehnt, mit der Bemerkung vom zuständigen Oberregierungsrat Steinbacher: „Einen feuchten Händedruck können Sie haben, sonst nichts!“ Auch sonst sind die Praktiken hier ziemlich übel. So bietet die Anstaltsleitung unverhohlen Vergünstigungen, um Häftlinge zur Denunziation ihrer Mitgefangenen zu verleiten. Agressionen und extremes Mißtrauen sind die logischen und wohl beabsichtigten Folgen. Selbst anonyme Hinweise werden von der Anstaltsleitung häufig ohne nähere Prüfung benutzt, um unbequeme Häftlinge mit Disziplinarstrafen zu belegen.
Weil uns das alles und noch einiges mehr unendlich ankotzt und wir nicht am Zorn ersticken wollten, stiegen wir aufs Dach. Von etwa 500 im Hof anwesenden Gefangenen erklärten sich nach Beendigung des Hofgangs cirka 120 Leute solidarisch und weigerten sich zunächst, in das Gebäude einzurücken. Gespräche mit der Anstaltsleitung lehnten wir zu diesem Zeitpunkt ab, wollten solche nur in Anwesenheit eines Pressevertreters, der Strafvollzugsbeauftragten der Grünen Landtagsfraktion, Frau Rose Glaser und/oder den Beauftragten der SPD, Drexler, führen.
Natürlich wurde der Presse der Zutritt in die Anstalt verweigert, die beiden Abgeordneten waren angeblich nicht zu erreichen.
Nach einiger Zeit bezog eine Einsatzhundertschaft der Polizei mit der von Demos hinlänglich bekannten Nahkampfbewaffnung im Hof Stellung. Vor und während der Anwesenheit der Bullen hatten wir mehrmals betont, daß von unserer Seite keine Gewalt angewendet wird. Der Einsatzleiter forderte unsere Jungs per Lautsprecherdurchsage auf, sich in ihre Zellen zu begeben. Null Reaktion. Darauf forderte er seine Jungs zum Räumen auf. Ausdrücklich betonte er per Flüstertüte, daß keiner ins Gebäude getragen wird. So wurden die Leute auch prompt gepackt, wo sie gerade erwischt wurden - an den Armen oder Beinen notfalls an den Haaren - und über den gepflasterten Hof in die Zellengebäude geschleift. Mindestens einer erlitt dadurch Kopfverletzungen.
Uns auf dem Dach wurden Nahrung und Wasser verweigert, und so stiegen wir - nachdem uns zugesichert wurde, daß keine Bestrafung erfolgt - am folgenden Tag wieder runter.
Inwieweit die Zusage gegenüber meinen beiden mitbeteiligten Kollegen eingehalten wurde, kann ich nicht sagen. Ich jedenfalls wurde umgehend in die JVA Freiburg verlegt. Abgesondert von den anderen Gefangenen, in die TE-Abteilung
-TE steht für Terroristen! Lediglich morgens kann ich für eine Stunde mit einem Mithäftling, der ebenfalls von den anderen isoliert gehalten wird, in den Sonderhof. Inwieweit unsere Forderungen erfüllt wurden, kann ich nicht beurteilen. Aber ich denke, die Frage beantwortet sich von selbst.
Fazit: Sie sperren uns weg. Nehmen uns das Recht, über unsere persönlichsten Angelegenheiten selbst zu entscheiden. Zwingen uns, für einen Minimallohn zu arbeiten. Lassen uns über Jahre hinweg unsere sexuellen Bedürfnisse buchstäblich an die Wand rotzen. Zärtlichkeit und Partnerschaft - auf eineinhalb Stunden Besuchszeit pro Monat beschränkt. So halten sie uns auf der Stufe von Tieren gefangen, erwarten, daß wir uns - wenn sie irgendwann einmal die Türen der Käfige öffnen - wie Menschen benehmen. Und nennen es Resozialisierung.
Kurt Tucholsky schrieb, wenn ich mich recht erinnere, so: Wer die wahren Zustände nicht erkennt, ist nur ein Dummkopf. Wer sie aber kennt und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher! Genau so isses.
J. R., (nach Freiburg verschubt)
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