: „Menschenstürmerei des 20. Jahrhunderts“
■ Eine Tagung der Grünen über „Technik und Politik - kein Ausweg aus der Fortschrittsfalle?“ / Auch hier wieder das Bild des idealen Forschers
Von Sabrina Rachle
Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Benutzung moderner Textverarbeitungssysteme in der Bundestagsfraktion der Grünen aus „grundsätzlichen Erwägungen“ nicht gestattet. Das hielt allerdings viele MitarbeiterInnen und MandatsträgerInnen nicht davon ab, sich der nützlichen Geräte zu Hause zu bedienen.
Tatsache ist: der technologische Fortschritt findet unaufhaltsam statt. Daß dieser Prozeß gestoppt oder gar rückgängig gemacht werden könnte, nehmen auch die Grünen nicht mehr an. Zugleich besteht aber auch weitgehender Konsens über die verheerenden ökologischen und sozialen Folgen ungebremsten Technikwahns. Weder unreflektierte Technikfeindlichkeit noch gläubige Technikeuphorie sind geeignet, die ökologischen und sozialen Probleme, die der wissenschaftliche und technische Fortschritt mit sich bringt, zu bewältigen. Das Problem der Grünen sei, so die bayerische Landtagsabgeordnete Ulrike Wax-Wörner, vor allem ihr theoretisches Defizit auf diesem Gebiet. Deshalb initiierte sie einen Grünen-Kongreß: „Technik und Politik kein Ausweg aus der Fortschrittsfalle?“ Im Münchener Deutschen Museum wurde der Dialog mit den „Machern“ der Technik gesucht. Am zweiten Juliwochenende trafen sich knapp 100 Natur-, Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen, VertreterInnen der Wirtschaft sowie interessierte BürgerInnen zu einem erfrischend ideologiefreien Disput über die Chancen politischen Handelns in einer hochtechnisierten Welt.
Der Physiker Peter Kafka (Max-Planck-Institut) gab in seinem Eröffnungsvortrag die Grundtendenz der Tagung vor, indem er gegen die „Ideologien der Wissenschaft“ zu Felde zog. Statt Vielfalt hätten Forschung und Technik bisher nur immer mehr Einfalt hervorgebracht. Kafka plädierte für „Vielfalt und Gemächlichkeit in einer solidarischen Gesellschaft“. Was die Entstehung dieser Gesellschaft anlangt, gab sich Kafka ganz optimistisch: das sei ein evolutionärer Prozeß, der durch die Veränderung des Bewußtseins und des Weltbildes erreicht werden könne. Von den im Publikum zahlreich vertretenen KollegInnen wurde nicht etwa Kafkas deutliche Absage an den Kapitalismus und die „dumme Ideologie, Werte könnten immer mehr werden“ angegriffen.
Unmut hat die etwas apodiktische Art hervorgerufen, in der Kafka seine Thesen vortrug. Bescheiden zu sein und offen einzugestehen, daß die Wissenschaft bis heute nicht in der Lage ist, die komplexen Zusammenhänge der Welt zu beschreiben, geschweige denn, exakte Vorhersagen zu treffen, war der Aufruf, den WissenschaftlerInnen im Publikum an ihre KollegInnen richteten. Ihr für die „Laien“ verblüffendes und ermutigendes Eingeständnis: „Naturwissenschaft beschäftigt sich nur mit den allereinfachsten Erscheinungen dieser Welt.“
Die Ergebnisse der Chaosforschung (siehe auch taz vom 18. Juli 1990, S. 12) scheinen den philosophischen Optimismus zu beflügeln. Mit dem Nachweis, daß es prinzipiell unmöglich ist, exakte Vorhersagen zu treffen, sei die These von der „Alles-Machbarkeit“ als Illusion entlarvt. Der endgültige Zusammenbruch des mechanistischen und deterministischen Weltbildes könnte, so die Hoffnung, auch die gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflussen.
Der Vortrag von Klaus Pinkaus (Wissenschaftlicher Direktor, Max-Planck-Insitut), als Hauptvertreter des etablierten Wissenschaftsbetriebes, holte die KongreßteilnehmerInnen allerdings wieder auf den Boden der profanen Realität zurück. Kaum irritiert von den skeptischen Blicken seiner ZuhörerInnen, malte Pinkau das ideale Bild des hehren Forschers, dessen Tun frei von ideologischen oder zweckgerichteten Überlegungen sei. Beim Kongreßpublikum erntete Pinkau heftige Kritik, es wurde allerdings deutlich, daß sein Selbstverständnis - zwar nicht im Auditorium - so doch von einer großen Zahl seiner KollegInnen geteilt wird.
Diese ungebrochen weiterforschenden WissenschaftlerInnen hätten sich - zumindest auf diesem grünen Kongreß - ein Beispiel an den Vertretern der Industrie nehmen können. So überraschend zahlreich sie erschienen (MAN, Audi, BMW, MBB) waren, so verblüffend war ihre Bereitschaft zum Umdenken. Es schien fast, als sei die Wirtschaft eher in der Lage, Ideologien über Bord zu werfen, als die Wissenschaft.
Alles ist Zweifel - was für eine Chance! Dennoch lastete auch auf den grundsätzlich hoffnungsvoll in die Zukunft blickenden DiskutantInnen die Frage, warum wir uns sehenden Auges unserer eigenen Lebensgrundlagen berauben, ohne sinnvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Im Gegenteil, „das Ziel technischen Fortschritts ist die Ersetzung des Menschen durch die Maschine“, wie der Arbeitspsychologe Walter Volpert (TU Berlin) konstatiert.
Die Bochumer Professorin für Allgemeine Pädagogik, Käte Meyer-Drawe, sucht eine Erklärung für diese, wie Volpert es ausdrückt, „Menschenstürmerei des 20. Jahrhunderts“ im Streben der Menschen nach Unsterblichkeit.
Die Entwicklung von Maschinen, die den Menschen ersetzen sollen, sieht sie als sinnfälligen Ausdruck der Bemühung, „wie Götter ewig zu leben“. Als Folge dieses Strebens sei es zu einer immer extremeren Betonung des Geistes gegen den (sterblichen) Körper gekommen. Wir „planen das Weiterleben als freie Geister in einer postbiologischen Gesellschaft“. Wie Volpert sieht Meyer-Drawe im Vergessen der Leiblichkeit die Ursache für die mangelnde Sensibilität gegenüber der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen.
Trotz Differenzen im Einzelnen herrschte auf diesem grünen Kongreß breiter Konsens hinsichtlich der Analyse der Situation und ihrer Ursachen. Die Wachstumsidelogie des Kapitalismus wurde - angesichts begrenzter Ressourcen - als zutiefst widersprüchlich erkannt und anerkannt. Die Frage, ob es einen Ausweg aus der „Fortschrittsfalle“ geben könnte, blieb erwartungsgemäß unbeantwortet. Vor allem, so die Einsicht dieser drei Tage, sollten PolitikerInnen aufhören, wissenschaftliche Kompetenz als Omnipotenz überzubewerten.
Wissenschaft, so Arnim von Gleich (Institut für Forschungsinfrastrukturplanung, Bremen) bewege sich - im Gegensatz zu den Pinkauschen Vorstellungen - keineswegs in wertfreien Räumen. Deshalb, fordert von Gleich, müßten Wissenschaft und Technik danach bewertet werden, wie stark sie in die Lebensvorgänge eingreifen. Armin Weiß, bayerischer Landtagsabgeordneter der Grünen und Chemiker, konkretisierte diese Vorstellungen und relativierte noch einmal Pinkaus Gemälde vom Musterwissenschaftler. Geld, Macht und Prestige seien wichtige Beweggründe, auch innerhalb der Forschung. Die einzige Chance, Mauschelei und Vetternwirtschaft zwischen Politikern und Wissenschaftlern zu verhindern, liege in größerer Transparenz, Offenheit und Kontrollmöglichkeit für die Bürger.
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