„Hier läuft bald gar nichts mehr“

■ Ganz Italien leidet unter einer gnadenlosen Hitzewelle. Doch die Katastrophe ist nicht nur klimatisch bedingt, sondern auch hausgemacht. Im sizilianischen Agrigent etwa, wo aus den Hähnen wöchentlich gerade noch eine Stunde lang Wasser fließt, versickern 75 Prozent des kostbaren Naß‘ aufgrund maroder Leitungen im Boden, und Bauspekulanten verschärfen die Malaise. Auch in Spaniens ewig feuchtem Nordwesten herrscht entsetzliche Dürre.

Akuter Wassernotstand im Süden Europas

Bauer Lanthaler am Jaufenpaß in Südtirol und seinen Kollegen Giovanni dall'Esco im 1.000 Kilometer entfernten Sinnital plagen dieselben Sorgen: „Wenn das Wasser aus ist, geht hier nix mehr, gar nix mehr.“ Die Wiesen im Passeiertal verdorren ebenso wie die Äcker in den Ebenen der Basilicata am Ionischen Meer, und nicht nur das Vieh ist dann gefährdet ein ganzer Wirtschaftszweig stünde am Rande des Ruins. Vorräte an Heu, Stroh oder Getreide gibt es hier wie dort allenfalls für einen Monat: was der Bauer nicht braucht, verkauft er, notgedrungen; die EG-Normen haben längst zu derart massiven Einbußen geführt, daß man kaum mehr etwas beiseite legen kann. Man hofft eben darauf, daß es doch nie richtig ernst wird.

Der Unterschied zwischen dem norditalienischen Landmann und seinem Kollegen in Süditalien liegt derzeit freilich - noch

-darin, daß der Passeierbach durch Zuflüsse aus dem Jaufenmassiv bisher keine Zeichen von Erschöpfung zeigt und die Bauern ringsum Tag für Tag Tausende Kubikmeter auf ihre Wiesen sprühen, während der Sinni, trotz des größten Staubeckens Europas (eine halbe Millionen Kubikmeter) an seinem Oberlauf, längst leer ist - wie nahezu alle Flüsse, Bäche und Rinnsale des Südens. Nach einer jüngst erschienenen Statistik des Zivilschutzministeriums ist der italienische Norden immerhin noch zu mehr als 91 Prozent mit Wasser versorgt, während im Süden nicht einmal 30 Prozent der Bevölkerung auf genügend Naß zählen können. Sogar in der Hauptstadt Rom fehlt mehr als ein Viertel der benötigten Menge.

Daß es in Italien seit Jahren weniger regnet, als der Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte es ausweist, und wegen der dauernden Hitze sogar der Spiegel des Mittelmeers in den vergangenen Jahren um mehr als einen halben Meter gesunken ist, wissen alle: Das Ministerium hat ausgewiesen, daß in den ersten sechs Monaten 1990 alle Regionen um gute 40 bis 60 Prozent unter dem Mittel geblieben sind. Dennoch: der einzige Grund für die Misere in vielen Gebieten ist das nicht: tatsächlich platschen auch so noch mehr als 150 (Schnitt: 296) Milliarden Kubikmeter Regenwasser auf das Land, und zur Versorgung mit Spreng- und Trinkwasser genügen 43 Milliarden Kubikmeter. Tatsächlich aber gelingt es den Italienern nicht einmal, 40 Milliarden Kubikmeter dauerhaft zur Verfügung zu stellen - und das liegt weder an der durch den Treibhauseffekt gestiegenen Temperatur, noch am Versickern in den Oberläufen der Flüsse.

So sehen die Einwohner des unteritalienischen Sinnitales ihren 100 Kilometer langen Fluß schon mehr als ein Vierteljahrhundert überhaupt nicht mehr - nicht, weil er kein Wasser mehr hat, sondern weil ihn ein vordergründig ehrgeiziges, tatsächlich aber ausschließlich ausbeuterisches Projekt mit dem Namen „Wasser für den Mezzogiorno“ ab dem Stausee im Oberlauf in riesige Rohre gepackt hat und, fast zynisch, entlang dem alten, nunmehr zur Steinwüste vertrockneten Bett, nach Apulien - der reichsten und potentesten Region des Südens - sowie, als Alibi, zum kleineren Teil, in einige Zonen Kalabriens ableitet. Bauer dall'Esco hatte nach Kriegsende von seinem Vater mehr als 40 Hektar Land geerbt - ausreichend für einen bescheidenen Wohlstand. „Mit dem Staubecken haben sie alles ruiniert“, sagt der Bauer, „das Einkommen, die Gesundheit, die Familie“: Die Söhne mußten sich im gut 80 Kilometer entfernten Industrie-Schmutzort Trapani in einer Ölraffinerie bzw. beim Straßenbau verdingen und sind beide lungenkrank geworden. Die Landwirtschaft trägt heute nicht mehr zum Lebensunterhalt bei als der Schrebergarten bei einer deutschen Familie.

Leitungswasser versickert zu großen Teilen

Daß mittlerweile auch jene Gebiete stöhnen, die von dieser Raub-Wasserwirtschaft eigentlich profitieren sollten, hat wieder andere Gründe: Immer weniger Naß kommt bei ihnen an selbst nach Gewittern und längeren Regenzeiten. Eine Erscheinung, die zwischen Neapel und Palermo allenthalben zu beobachten ist: Die Wasserleitungen sind nahezu überall undicht geworden, seit Jahrzehnten nicht mehr repariert. In Palermo, wo vor zehn Jahren angeblich mehrere 100 Millionen jährlich in die Instandhaltung des Netzes investiert wurden, versickert noch immer mehr als 40 Prozent des Leitungswassers im Boden, in Agrigent sind es gar 75 Prozent. Solche Angaben wollten Kommunalpolitiker bisher als Panikmache norditalienischer Zeitungen abtun (die damit die Aversion vieler Lombarder oder Piemonter gegen Subventionen für den „Mezzogiorno“ begründeten): tatsächlich aber haben Pilotprojekte in mehreren Orten Siziliens gezeigt, daß die Wasserversorgung ausreichen wurde, wenn man statt unterirdischer Leitungen Schläuche über der Erde verlegte.

Doch auch das ist nicht der einzige Grund, den Experten wie den Wasserwirtschaftler Giulano Cannata für das Desaster „oder zumindest die Verschärfung des Desasters bei allgemein zurückgehenden Niederschlägen“ in Italien verantwortlich machen: „Dazu kommt auch die bedenkenlose und überwiegend auch sinnlose Verschleuderung des kostbaren Stoffes auf Felder und Wiesen - und die gleichzeitige Nichtnutzung weiter Flächen in der Nähe vieler Flüsse und Bäche.“ Tatsächlich gehen mehr als zwei Drittel des Wassers in Italien mit der Bewässerung von Wiesen und Feldern drauf (die Industrie zweigt ein Sechstel ab, ebensoviel wie die Haushalte als Trink- und Waschwasser bekommen). „Der Nutzeffekt“, sagt Cannata, „ist in vielen Fällen gleich Null, weil zu schnell aufgebrauchte Wassermassen zu tief sickern oder an den Rändern der Pflanzungen wegschießen.“ Nicht genutzte Terrains wiederum verkarsten schnell: Hier versickert dann ein Großteil der Bachwässer im Boden und ist nicht mehr nutzbar.

Auch Urbanistiker haben Gründe für die Malaise festgestellt: Das in Italien wildwuchernde Bauwesen - mehr als zehn Millionen Häuser und Gebäude wurden illegal errichtet - läßt weder eine sinnvolle Planung der Aquädukte zu, noch sorgt es für den Schutz der Erdoberfläche. Für jeden Hektar bebauter Fläche rechnen Umweltschützer einen weiteren Hektar ruinierten Landes, zum Teil weil oft gewachsene Biotope zerstört, Quellen verlegt oder wichtige Wasserhalter wie Büsche und Wälder gerodet werden, teils weil oft große Teile des Gartens oder der Umgebung, der leichteren Pflege halber, zubetoniert werden. Bei Regen sammeln sich dann gigantische Wassermassen am Zementrand, reißen die Oberfläche weg, öffnen den Weg für neue Verkarstungen.

Von alledem wollen freilich weder Italiens Landwirte noch die Häuslebauer etwas wissen. Für sie ist alles nur die Schuld des veränderten Klimas. „Mitunter“, grübelt Hydrologe Cannata, „ist die Entdeckung des Treibhauseffekts regelrecht hinderlich für die Sanierung vor der eigenen Haustür.“

Werner Raith, Rom