: Hausbesetzer der Adalbertstraße im Dialog
■ Anwohner fühlen sich durch die Besetzer in ihrer Ruhe gestört / Bezirksamt vermittelte / „Verkehrsberuhigung“ durch Besetzer von Bezirksamt nicht geduldet / Gemeinsame Arbeitsgruppe von Bezirksamt, Besetzern, Anwohnern und Polizei gebildet
Mitte. Das Problem der Hausbesetzungen ist ein Thema, das seit dem 9.November immer wieder neuen Zündstoff liefert. So auch in den Häuser 28 und 32 in der Adalbertstraße. Der Stadtbezirksrat für Jugend, Familie und Sport, Zimmermann (CDU), lud dort zu einem Ortstermin ein. Ziel war es, ein Gespräch zwischen den Besetzern und den Anwohnern in Gang zu setzen. Der Grund dafür waren wiederholte Beschwerden von Bewohnern der angrenzenden Häuser, die sich durch die Besetzer erheblich gestört fühlten.
Dem Termin unmittelbar vorausgegangen war in den Vormittagsstunden des gleichen Tages bereits ein kleiner Zusammenstoß zwischen dem Stadtbezirksrat und den Besetzern. Letztere hatten nämlich an einigen Stellen das Straßenpflaster aufgerissen und in die Fahrbahn künstliche Bodenwellen eingebaut. „Zur Verkehrsberuhigung“, wie einer der Besetzer lächelnd meinte. Denn seitdem die Mauer die Straße nicht mehr zweiteilt, gilt auch hier für viele Autofahrer der anrüchige Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“. Das Bezirksamt stellte ein Ultimatum: Sollten die Besetzer den „alten Zustand“ der Straße nicht wieder herstellen, würde das Amt die „Straßensperren“ beseitigen lassen. Wenn schon Verkehrsberuhigung, dann hätte diese „fachmännisch“ zu erfolgen.
Die Besetzer glätteten die Fahrbahn nicht, und so rückte eine Straßenbaubrigade auf den Plan. Nun sahen sich die Bodenwellenverursacher um die Früchte ihrer Arbeit betrogen und setzten sich zur Wehr. Leere Bier- und Colabüchsen flogen aus den Fenstern, und ganze Wassereimer wurden über den Köpfen der Arbeiter entleert. „Zur Beruhigung der Lage“ wurde die Polizei gerufen, und die geplagte Baubrigade konnte ihre Arbeit zu Ende bringen. Daß dieser Vorfall die abendliche Gesprächsatmosphäre nicht gerade versachlichte, scheint einleuchtend. So schlugen denn auch am Anfang zwischen Stadtbezirksrat, Besetzern und Anwohnern die Wogen der Emotionen hoch. Jahrelang, so ein Anwohner, hätte man Ruhe gehabt in der Straße, und die wolle man sich jetzt nicht durch „so'n paar ausgeflippte Typen“ stören lassen. „Jawoll“, pflichtet ihm eine korpulente Mittvierzigerin zu, „die Häuser ziehn ja kriminelle Elemente geradezu an. Sehen Sie sich doch bloß mal die Fassade an, da weiß man doch Bescheid!“ Wütend weist die Dame auf das Haus Nr. 32. Der bröckelnde Putz ist bunt bemalt, unter einem Fenster im zweiten Stock hängt ein Einkaufswagen aus einem Supermarkt, eine Etage höher ein ausgedienter Fernsehkasten mit dem Bildnis Gorbatschows auf der Mattscheibe. Ein anderer Anwohner läßt seinen Ärger über seiner Meinung nach von den Besetzern falsch plazierte Mülltonnen ab, findet aber bei einer Besetzerin, die „ursprünglich aus Jena“ kommt, wenig Gegenliebe: „Hier geht es doch nicht um Mülltonnen! Hier geht es um die politische Situation in dieser Straße! Was meint ihr wohl, wie lange ihr noch hier wohnen dürft, wenn erst mal die Mieten verzehnfacht werden!“
Politisch, wenn auch aus einem gänzlich anderen Blickwinkel, sieht das Problem der Hausbesetzungen auch ein Herr von gegenüber: „Das ist doch alles nur das Werk der alten Stasi“, blafft er einen Besetzer an, „hier genauso wie im Westen! Die schicken euch doch bloß vor, um Unruhe zu verbreiten, damit die Leute sagen, sie wollen das alte System wiederhaben. Die Stasi ist noch überall, auch bei euch!“ Bei diesem Durcheinander hat es der erst 24jährige Stadtbezirksrat sichtlich schwer. Doch langsam beruhigen sich die Gemüter, und das Gespräch miteinander kommt doch noch in Gang. „Eijentlich is det mit der Verkehrsberuhijung jar nich so schlecht“, stellt Oma Zilli (81) nachdenklich fest, „wenn man bloß mal bedenkt, wie die jroßen Laster hier neuerdings imma durchrasen.“ Auch bei den Besetzern wird man kompromißbereiter: „Also, ob Sie das mit dem Einkaufswagen nun schön finden oder nicht - das interessiert mich überhaupt nicht. Hingegen das Argument, Sie hätten Angst, daß das Ding jemanden auf den Kopf fallen könnte, lasse ich gelten.“
Am Schluß kann Zimmermann doch noch zufrieden sein. Man vereinbart, eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit Anwohnern, Volkspolizei und Besetzern zu bilden, die die in der Adalbertstraße anstehenden Probleme klären soll.
Olaf Kampmann
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