: Ausgeblendete Helden
Konzeptuelle Fotografie von Wladimir Kuprijanow bei „Interart“ ■
Erloschen sind des Tages Gluten
Im Abendnebel schwand der blau
Meerespla
Gehorsam Segel, rausche ob der Flute
Erbrande unter mir, du finstrer Ozea
Die ferne Küste schwebt vor meinen Blicke
Der Mittagslande zaubrisches Gebie
O wie mein Herz der Sehnsucht We
durchzieh
Und der Erinnerung Entzücken
Die Träne keimt im Blick, ich seh manc
trautes Bil
Im Geist verjüngt vor mir entstehen
Vor Wehmut will die Seele mir vergehen! ..
Der Zeit gedenk ich, da die Liebe
sinnlos wild
Mit Wonne mich durchflammt un
Schmerzensglute
Und manche Hoffnung mich getäusch
als Wahn ..
Gehorsam Segel, rausche ob der Fluten
Erbrande unter mir, du finstrer Ozean
Diese Gedichtzeilen von Puschkin, 1820 geschrieben, montierte der sowjetische Fotograf Wladimir Kuprijanow 1985 zu seinen im offiziellen Auftrag entstandenen Porträts von Arbeiterinnen aus Moskauer Industriebetrieben. Im Pathos und Sentiment des Textes und der Nüchternheit und Sachlichkeit der tradierten Bildformeln für die „Helden der Arbeit“ treffen zwei scheinbar unvereinbare Weisen der Inszenierung aufeinander: Die nah aufgenommenen Gesichter der Frauen mittleren Alters betonen die Unnötigkeit jeglicher Pose im Vertrauen auf die Anerkennung ihrer Leistung. Fotograf und Fotografierte treten zueinander in ein bescheidendes und dienendes Verhältnis; als würden sie im Verzicht auf jegliches subjektive und individuelle Spektakel die Bühne frei für den Auftritt der Wahrheit lassen. Die Gedichtzeilen aber lassen diese Darstellungsform zugleich als eine des Mangels erfahren. Es ist weder den fotografierten Frauen noch dem Fotografen anzulasten, daß den Bildern fehlt, wovon der Text erzählt. Puschkin verbindet ein visuelles Erleben mit Erinnerung, Sehnsucht und Hoffnung; den direkten Porträts ist die Dimension von Weite, Zeit und Bewegung dagegen verschlossen. Im geraden Blick der Arbeiterinnen gibt es nur die Richtung nach vorne, kein Zurück. Die poetische Sprache brandet gegen die Statuarik der Bilder; ihre flutende und schwebende Bewegung drückt gegen die Schwere der Gesichter; ein ungenaues Dämmerlicht wird gegen die scharfe und unbarmherzige Helligkeit beschworen, die Weite des Horizonts der Meerlandschaft gegen die unvermittelte Nahsicht gesetzt; Erinnerung öffnet einen Ausweg aus den Grenzen der Gegenwart. Der dokumentierte Augenblick verblaßt in der Unbegrenztheit der poetischen Imagination.
Doch je länger man, vom Überschwang der Zeilen infiziert, in Kuprijanows Gesichtslandschaften eintaucht, mißtraut man ihrer Offenheit und Eindeutigkeit. Die klaren Porträts verschleiern sich. Die in die Kamera gerichteten Blicke der proletarischen Heldinnen, die nichts zurückzuhalten scheinen und sich widerstandslos preisgeben, erscheinen auf einmal als eine bewußte Entleerung und Ausdruckslosigkeit. Sie verstellen ihre Gesichter mit der Maske der Offenheit, um der erzwungenen Intimität mit einer anonymen Öffentlichkeit zu entgehen.
Diese Verunklarung und Brechung eines scheinbar von der Lenkung durch subjektive Bedürfnisse befreiten, objektiven Blicks setzt sich in den anderen Fotoinstallationen Kuprijanows fort. Seine Sujets bleiben die einer dokumentarischen und dem sozialen Element verpflichteten Fotografie; doch immer sorgen kleine Eingriffe - wie störende Helligkeiten an den Rändern nostalgischer Fabrikansichten, weiße Plexiglasscheiben über Bildern der Unschuld und Unbefangenheit kleiner und großer Mädchen oder zerknittertes, zartes Seidenpapier über den ordengeschmückten Konterfeis von Generälen - für eine Irritationen der Wahrnehmung und Verunsicherung der eindeutigen Lesbarkeit.
Kuprijanow, 1954 in Moskau geboren, ließ sich als Theaterregisseur ausbilden und studierte Malerei, bevor er 1979 ein Studium der Fotografie begann. Seine Serie Ehrentafel . Kollektivgesicht der Gesellschaft (Zum Gedenken an Puschkin) ist seine bekannteste und am häufigsten veröffentlichte Arbeit. Gerade seine Verbundenheit mit der offiziellen und propagandistisch gepflegten Bildsprache des unbeschönigten Ausdrucks, die er distanziert, aber nicht denunziatorisch oder verhöhnend handhabt, erweckt Interesse. Kuprijanow verzichtet auf die moralische Reinwaschung einer säuberlichen Trennungslinie zwischen Kunst und Propaganda. Die „Interart . Agentur für Kunst“ vermittelt seit fast einem Jahr junge Künstler aus Moskau, Leningrad und Riga, die vor dem Hintergrund des sozialistischen Realismus und der Ästhetik von Masseninszenierungen und Propaganda eine neue Überprüfung der Bildmittel vornehmen, an Sammler, Galerien und Kulturinstitutionen. „Interart“ zeigt Kuprijanows erste Einzelausstellung außerhalb der Sowjetunion.
Die Materialität der Bildträger kommentiert die Bildinhalte in den Fotoinstallationen Am Tisch und Mittelrussische Landschaft V. Bei Am Tisch reden zwei Frauen, die kräftigen Arme aufgestützt, lebhaft mit einem Freund. Die kumpelhafte Szene ist auf Resopal abgezogen; diesem Material haftet ein ärmlicher Geruch an von der Wirtschaftlichkeit der billigen Herstellung und des Holzersatzes bis zur Arbeitsökonomie der überlasteten Hausfrau, die allem Kleckern mit schnellem Wischen hinterher ist. Resopal als Bildträger kommt einem moralischen Apell gleich, bloß keinen falschen Aufwand im Nebensächlichen zu treiben. Auch die Kunst hat sich wischfest und beanspruchbar zu zeigen und keine empfindlichen Oberflächen zu liefern. Die, die am Tisch sitzen, haben keine Zeit für Überflüssiges. So ist der fotografische Abzug, der doch über den Moment hinaus ihre Entspannung festhält, blaß - wie zur Entschuldigung. Aus der Demontage des falschen Scheins wird die Ödnis der Scheinlosigkeit.
Die Mittelrussische Landschaft V zieht sich über acht Kissen: Zwei Bauern pflügen mit einem Pferd. Das harte Schwarz der schweren, brüchigen Erde steht unvermittelt gegen das kalte Weiß des Himmels - dazwischen gibt es fast keine Grautöne. Der Ikonographie des Bildes von Heimat und Verwurzelung entspricht die Geborgenheit verheißende Weichheit der Kissen. Aber das nasse und kalte Gewicht der Erde droht einen festzuhalten; die Geborgenheit ist trügerisch - wie ein saugender Sumpf.
Katrin Bettina Müller
Wladimir Kuprijanow: Mittelrussische Landschaft. Konzeptuelle Fotografie bei „Interart . Agentur für Kunst“, Potsdamer Straße 93, Berlin 30 bis 28. August Di. bis Fr. von 14 bis 18 Uhr.
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