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„Die Lage in Prenzlauer Berg ist beschissen“

■ Im künftigen Citybezirk die meisten Sozialfälle und die schlechteste Wohnungssituation / Kaum Geld vorhanden

Prenzlauer Berg. Daß der Szenebezirk Prenzlauer Berg künftig zur City gehört, hilft den Einwohnern wenig. Die Probleme sind riesig, der Geldbeutel schmal. Das wurde gestern auf der ersten Pressekonferenz des neuen Bezirksamtes deutlich.

Prenzlauer Berg hat von allen Ostberliner Stadtbezirken die meisten Sozialfälle, die schlechteste Bausubstanz, den höchsten Wohnungsleerstand (zwischen 7.500 und 8.200 Wohnungseinheiten), die meisten Besetzungen (57 Häuser) und die ungünstigsten Eigentumsverhältnisse.

Wie der Bezirksstadtrat für Bauen und Wohnen, Klipp, erklärte, ist hier der stärkste Privatisierungsgrad zu erwarten. Nach seiner Einschätzung gehe der Verfall der Wohnsubstanz weiter. Rund die Hälfte der 90.000 Wohnungen sei „dringend sanierungsbedürftig“. Bei den veranschlagten 100.000 DM je Wohnung bedeutet das 4,5 Milliarden. Dabei ist der notwendige Aufwand für die Instandhaltung noch nicht berücksichtigt. Die früher bewilligten 200 Millionen Mark für ein halbes Jahr reichten schon damals nicht aus. Dabei beträgt der noch nicht bestätigte, angekündigte Gesamtetat des Bezirksamtes für das zweite Halbjahr 1990 ganze 75 Millionen Mark.

„Die Lage ist beschissen“, bemerkte drastisch Wirtschafts und Finanzstadtrat Siemsch. Über die Verteilung der Gewerberäume entscheide laut Magistratsbeschluß vom 17.Juli die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH, Nachfolgerin der Kommunalen Wohnungsverwaltung. Daß sie die Interessen der Kommune berücksichtigen solle, hat für Siemsch lediglich „biblische Bedeutung“. Das Bezirksamt hat nämlich de facto nur bei „erlaubnispflichtigen Gewerben“ eine reale Möglichkeit, Einfluß zu nehmen. Notwendig seien Standorte für Billiganbieter wie Aldi, Penny-Markt und Bolle, für Cityback und die Fleisch GmbH (ehemals Fleischkombinat). Außerdem braucht der Stadtbezirk Räume für Selbsthilfegruppen und Werkstätten, die Schwerbeschädigte betreuen. „Die Honecker-Regierung hat diese Bevölkerungsgruppen offensichtlich in Prenzlauer Berg konzentriert“, bemerkte Siemsch sarkastisch. 500 Blinde und 20.000 Schwerbeschädigte leben in dem 145.000-Einwohner -Stadtbezirk.

Zu allen Problemen hinzu kommt der Ärger um das dringend von der Kommune benötigte Gebäude in der Prenzlauer Allee 77. In dem „volkseigenen“, vierstöckigen Haus sitzt seit Ende vergangenen Jahres die PDS und nutzt es mit einer Sauna und einer Kantine bisher „privatwirtschaftlich“. Das Bezirksamt werde das Gebäude zurückfordern, erklärte Bürgermeister Dennert.

su

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