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„Loops“ und „Duck Jibes“ vor Sylt

■ In der Brandung vor Westerland finden die Deutschen Meisterschaften im Funboardsurfen statt

Aus Sylt Carsten Erdmann

Die Parkplätze in der Nähe des Brandenburger Strandes in Westerland auf Sylt sind derzeit fest in der Hand der Surferinnen und Surfer. Buntbemalte Busse und Wohnmobile aus ganz Deutschland, beladen mit Surfbrettern, prägen das Bild der Inselmetropole. Sogar die Polizei, sonst emsig auf der Jagd nach wilden Campern, drückt ein Auge zu. Den Grund verkünden poppige Plakate auf der ganzen Insel: Deutsche Meisterschaften im Funboardsurfen.

Bereits die Trainingsbedingungen am vergangenen Wochenende waren nahezu ideal. Bei Wind aus Nordwest, Stärke 6, und meterhohen Wellen konnten die vielen angereisten Surfer ihr Material in der Sylter Brandung testen.

Am Montag wurde es dann ernst: Die gesamte deutsche Surfelite war nach Sylt gekommen und fährt bis zum kommenden Sonntag um die Deutsche Meisterschaft. Parallel dazu findet ein „Wave Contest“ statt. Somit wird in drei Disziplinen angetreten: dem Kursrennen, dem Slalom und dem spektakulären Wellenreiten. Dabei starten jeweils zwei Surfer gegeneinander. Eine Jury entscheidet am Ende des „Heats“, wer in die nächste Runde vorrückt.

Das Windsurfen, in Deutschland mal gerade 20 Jahre jung, zählt mittlerweile 1,5 Millionen Aktive. Die letzten Jahre bescherten der Branche einen Boom. Das Angebot ist mittlerweile so groß wie noch nie. Rund 50.000 Boards und 60.000 Segel werden pro Jahr in der Bundesrepublik verkauft. Ein Millionengeschäft wird aber auch mit den Acessoires und der Mode gemacht. Gerade die Surf-Abstinenzler bescheren der Surfindustrie dadurch überdurchschnittliche Zuwachsraten. Vom Neon-Bändchen an der Brille bis zur knallbunten Surfjacke reicht das Angebot, das auch dem Normalbürger das heiß ersehnte „Hawaii-Feeling“ vermitteln soll. Eine Zigarettenmarke entwickelte dafür sogar eine eigene Modekollektion. Autofirmen und HiFi-Hersteller wittern neue Kunden und präsentieren sich als großzügige Sponsoren des jungen Sports.

Die rund 380 im Verband Deutscher Windsurfer (VDWS) organisierten Windsurfing-Schulen blasen inzwischen zum Großangriff auf die potentiellen Surferinnen und Surfer.

Durch kostenlose Schnupperstunden und breite Öffentlichkeitsarbeit will man immer mehr Interessierte aufs Brett locken und den „faszinierenden Insidersport“ für ein Massenpublikum erschließen. Die Frauen, bei den Wettbewerben vor Sylt mit nur sechs Teilnehmerinnen in der absoluten Minderzahl, bilden dabei, nach Meinung der Industrie, eine großartige Zielgruppe. Zur Zeit surft nur jede 20. Frau. Jede fünfte würde aber, nach einer Umfrage, gern selber aufs Brett steigen, um aus der ungeliebten Rolle des „Surfgroupies“ herauszukommen.

Das Idealbild jener Umsteigerinnen präsentieren die Werbestrategen denn auch mit der 20jährigen Natalie Siebel. Die zweimalige Weltmeisterin bot ihren männlichen Kollegen vor einigen Monaten in Hookipa auf Hawaii eine eindrucksvolle Vorstellung: Als bis zu acht Meter hohe Wellen die meisten mildere Bedingungen abwarten ließen, stürzte sie sich in die Brandung und demonstrierte perfektes Windsurfen. So wird sie sicher auch vor Sylt das Feld der Frauen klar dominieren.

Überhaupt werden wohl die Profis das Rennen unter sich ausmachen und neben einer Flugreise in die Karibik das Preisgeld von 5.000 Mark mit nach Hause nehmen. Das ruft natürlich kritische Stimmen hervor: Das Gros des Feldes hätte gegen die gut ausgerüsteten Profis kaum eine Chance. Aber andererseits bietet sich für den Nachwuchs, im heimischen Revier vielleicht unangefochten die Größten, nur hier die Gelegenheit, den wahren Leistungsstand gegen wirklich erstklassige Konkurrenz zu testen. Denn selten gab es in einer Sportart eine derart rasante Entwicklung. Manöver, die vor wenigen Jahren noch bei Spitzensurfern als Sensation gefeiert wurden, gehören heute zum Allgemeingut der Aktiven.

Welche Vorteile es hat, Profi zu sein, zeigte sich schon während des ersten Durchgangs. Nachdem „Profi“ Bernd Flessner Materialbruch hatte, brachte ein „Surfcaddy“ Ersatzmaterial aufs Wasser und verhinderte so die drohende Niederlage des Worldcupfahrers gegen einen Nobody aus Sylt.

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