: „Jeder hat Flecken in seinem Lebenslauf“
■ Vaclav Havel über die internationale Isolation Kurt Waldheims
INTERVIEW
Ihr Salzburg-Besuch ist durch die Begleitumstände und vor allem den Appell der Charta77 belastet. Es hat den Anschein, als sei an der Spitze beider Staaten die Gesprächsmöglichkeit gestört. Können aber die beiden Staaten überhaupt noch kooperieren, wenn die beiden Präsidenten in ihren Kontakten gehandicapt sind?
Havel: Es ist zweifelsfrei weder für das eine noch für das andere Land eine gute Situation, aber ich habe mir leider diese Situation nicht ausgedacht. Ich bekam auch manche anderen Unterlagen unterschiedlichster Art - von offiziellen Dokumenten über die vom österreichischen Botschafter übermittelten Angaben bis hin zu einer Unzahl verschiedener Proteste -, durch die ich aufgefordert wurde, mit Präsident Waldheim nicht zusammenzutreffen und überhaupt nicht nach Salzburg zu fahren.
Wenn Sie entscheiden müssen, ob Sie einen offiziellen Staatsbesuch in Österreich machen, gibt es zwei Kriterien: Sie können die moralische Frage stellen, oder Sie können sehen, ob der Besuch international und auch innenpolitisch opportun ist.
Ja, vor allem müßte ich dazu sagen, daß im gegebenen Fall, aber auch in vielen anderen Fällen, es nicht so ist, daß die beiden Möglichkeiten so scharf zu trennen sind und daß die Handlung A moralisch sauber, aber politisch unpraktisch ist und die Handlung B politisch praktisch ist, aber moralisch unsauber. Dies ist vereinfacht. Die Dinge verknoten sich rätselhaft und auf komplizierte Weise, und manchmal kann es passieren, daß etwas politisch nützlich und letztlich, wenn man politisch zu Ende denkt, auch moralisch sauberer ist als das, was auf den ersten Blick moralisch sauberer zu sein scheint, aber zugleich zum Teil politisch unpraktisch ist. Was das Wesen dieses Besuches betrifft, liegt seit langem eine Einladung vor. Ich erhielt sie, noch bevor ich Präsident wurde, ich fahre als Privatperson zu einer kulturellen Veranstaltung. Allerdings bin ich auch zur Zeit des Besuches Präsident, das ist etwas, was man nicht ablegen kann, das heißt, daß ein gewisser Hauch des Offiziellen an jedem meiner Besuche haften bleibt. Ich würde folgendes sagen: Wenn ich nicht nach Salzburg fahren würde, so ernte ich den Beifall derer, die mir ein strikt moralisches Verhalten empfehlen ohne Rücksicht auf politische Konsequenzen. Ich würde quasi einem Druck ihrerseits nachgeben aus Gründen einer guten Atmosphäre und Harmonie in unserem Lande. Und umgekehrt. Ich meine, wenn ich gegen eine bestimmte Mode verstoße im Bewußtsein aller Risiken, die es mit sich bringt, dann kann das politisch zu etwas gut sein, aber gleichzeitig das Element eines moralischen Mutes in sich haben - gegen den Strom zu gehen.
In unserem geographischen Raum, zu dem ich auch Österreich und die Tschechoslowakei zähle, hat jeder von uns mehr oder weniger Flecken in seinem Lebenslauf. Es sieht so aus, als gäbe es hier eine Tendenz, immer einen zu finden und in den Vordergrund zu schieben und aus ihm eine symbolische Figur zu machen, eine Art stellvertretendes Opfer für alle unsere Schuld, und mit seiner Hilfe das eigene schlechte Gewissen loszuwerden. Das ganze Boykottspiel der Staatsmänner ist zu einem bestimmten Stereotyp, einem Spiel, geworden. Ja, es ist von beiden Seiten her ein Spiel, von einer Seite den Boykott zu durchbrechen und von der anderen Seite ihn aufrechtzuerhalten. Und plötzlich hört es auf, einen Sinn zu haben - ich will hiermit nicht sagen, daß diese Haltung ursprünglich keinen ethischen Grund und ethische Intensität gehabt hätte; natürlich hatte sie sie, aber durch ihre Ritualisierung leert sie sich quasi und verliert an ihrem ursprünglichen moralischen Gehalt und wird zum Klischee. Mit freundlicher Genehmigung aus den
'Salzburger Nachrichten‘ vom 25.Juli 199
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