Die Staatsanwaltschaft schont die Politiker

■ Der Stuttgarter Parteispendenprozeß geht in eine neue Runde / Trotz neuer Unterlagen bleiben die Ankläger untätig / Späths Entlastungsangriff geriet nicht sonderlich überzeugend / SPD will Justizminister zur Rede stellen

Aus Stuttgart Erwin Single

„Heute, Herr Staatsanwalt, ist Ihre Stunde“, hatte Richter Klaus Teichmann den Ankläger Wolfgang Schmid zu Beginn der 66. Verhandlungsrunde im Stuttgarter Parteispendenprozeß vor einer Woche begrüßt. Doch der Staatsanwalt stand am Ende mit leeren Händen da: denn die Verteidiger des wg. Steuerhinterziehung angeklagten früheren Bosch-Chefs Hans Merkle übergaben dem Gericht mit einem Paket von Protokollen des CDU-Landespräsidiums nicht nur neues Beweismaterial für die Verstrickungen der baden-württembergischen CDU -Prominenz; sie stellten mit ihrem Überraschungscoup auch die Ermittlungsbehörde bloß. Es bleibe das „Geheimnis“ der Staatsanwaltschaft, warum diese sich um die brisanten Unterlagen „ersichtlich nie bemüht“ habe, mußte sich Ankläger Schmidt von Verteidiger Eberhard Wahle anhören. Die Staatsanwaltschaft verschließe nicht nur vor den wirklichen Sachverhalten die Augen, sondern negiere auch deren rechtliche Relevanz. Deutlicher läßt sich der Verdacht kaum ausdrücken, der auf den Anklägern lastet: die Politiker sollen geschont werden.

Nirgendwo wurde die illegale Spendenwäscherei so dreist und erfolgreich betrieben wie im Musterländle. Verstrickt waren die Ministerpräsidenten Späth und Filbinger, ein gutes Dutzend amtierender und ehemaliger Minister und Staatssekretäre, um die 15 Bundes- und Landtagsabgeordnete sowie einige Oberbürgermeister. Immer häufiger muß sich die Staatsanwaltschaft fragen lassen, warum gegen Politiker nicht ebenso intensiv ermittelt wurde wie gegen spendende Industrielle. „Mannigfaltige Anhaltspunkte“ für die konspirative Verstrickung der Parteipolitiker in den Spendenfilz hat die Beweisaufnahme in dem nun schon 14 Monate dauernden Merkle-Prozeß ans Licht gefördert. Dies befand die Wirtschaftstrafkammer des Stuttgarter Landgerichts, die es für offenkundig hält, daß politische Amts- und Mandatsträger die illegale Spendenpraxis „nicht nur iniitiert und über Jahrzehnte hingenommen, sondern aktiv abgeschirmt und die Verantwortlichen der zahlenden Unternehmen in Kenntnis der steuerlichen Hintergründe“ laufend zu weiteren Spenden gedrängt haben.

Ein kaum überzeugender Befreiungsschlag

Auch nach den jetzt aufgetauchten CDU-Präsidiumsprotokollen aus den 70er Jahren sieht die Staatsanwaltschaft keine Veranlassung zum Handeln. Ein konkreter Anfangsverdacht für ein Ermittlungsverfahren gegen Späth wegen uneidlicher Falschaussage sei bislang nicht gegeben. Die Prüfung der von den Merkle-Verteidigern vorgelegten Protokolle hätten keinen Widerspruch zu den von Späth im Mai als Zeuge im Merkle -Prozeß gemachten Aussagen ergeben, erklärte Oberstaatsanwalt Dieter Jung. Ein sichtlich nervöser Späth hatte damals bestritten, vor 1979 von der verdeckten Parteienfinanzierung gewußt zu haben.

Als Befreiungsschlag präsentierte Späth vor wenigen Tagen einige jener Protokollauszüge der Presse, die nach Ansicht der Merkle-Verteidiger die Mitwisserschaft des Ministerpräsidenten an der illegalen „Kaskadenfinanzierung“ belegen sollen. Und tatsächlich sah sich zunächst enttäuscht, wer sich von den Protokollen Einzelheiten über krumme Machenschaften versprochen hatte. Direkte Hinweise gibt es nicht. Aber dennoch scheint auf den CDU-Sitzungen Brisantes besprochen worden zu sein: sonst hätte sich Generalsekretär Wolfgang Schall nicht so um die Geheimhaltung sorgen müssen. Schall schlug laut einem der taz vorliegenden Präsidiumsprotokoll auf der Sitzung am 9. April 1973 vor, „zum Zweck besserer Geheimhaltung der Protokolle des Landesvorstands in Zukunft nur noch fünf Protokolle zu erstellen“, die an Vorsitzenden, Stellvertreter, Schatzmeister, Generalsekretär und Landesgeschäftsstelle gehen sollten. Im selben Protokoll findet sich auch jener von Späth an die Presse verteilte Nachtrag zu einer Finanz-Sondersitzung, aus dem hervorgeht, daß sich die zerstrittenen Politiker auf die vom Schatzmeister Hubertus Neuhaus vorgeschlagene Verteilung von Spenden der „Fördergesellschaft“ (FG) geeinigt hatten.

Einer der Streithähne, der ehemalige Bezirksvorsitzende und Staatssekretär Gerhard Mahler, hatte vor Monaten im Merkle -Prozeß die Parteivorständler mit der Aussage schwer belastet, ihnen seien Details der illegalen Parteienfinanzierung geläufig gewesen. Heute soll er nochmals vor Gericht zu den Sitzungsprotokollen vernommen werden, die die Merkle-Verteidiger offensichtlich von ihm erhalten haben. Jedenfalls belegt das Protokoll jener Sondersitzung, daß im CDU-Präsidium über Parteifinanzierung und Spendeneinnahmen nicht nur geredet, sondern auch kontrovers diskutiert wurde.

Den Streit um die Geldverteilung hatte ein brisanter Brief des Schatzmeisters an den damaligen Ministerpräsidenten Filbinger und die Bezirksvorsitzenden geschürt.

Das „Cleverle“ stellt sich diesmal dumm

Darin gab Neuhaus die nach einem Gespräch mit dem FG -Vorsitzenden Riesterer festgelegte Aufteilung von 350.000 DM Spendengelder auf Landes- und Bezirksverbände bekannt nicht ohne zu vermerken, daß die Gesamtbeträge „den sogenannten direkten und den sogenannten zweiten Weg“ umfaßten. Mit diesem schwäbischen Kaskadenpatent, in streng vertraulichen Parteidossiers schlicht „zweiter Weg“ getauft, wurden Spenden an die FG über den CDU-nahen „Wirtschafts -Verband“ und regionale Spendenwaschanlagen in die Parteikasse geschoben.

Nach eigenem Bekunden hat die Spitzenpolitiker nie interessiert, woher und wie die Spendengelder flossen. Folgt man diesen Bekenntnissen, ging es im CDU-Präsidium scheinbar zu wie in einer schlecht geführten Firma, wo die Geschäftsführung nicht weiß, was der Buchhalter treibt. Und man fragt sich, ob das „Cleverle“ Späth mit seinen einschlägigen Finanzkenntnissen sieben Jahre lang im Präsidium saß, ohne die Zusammenhänge der illegalen Parteienfinanzierung durchschaut zu haben.

Selbst bei der Staatsanwaltschaft hätten längst alle Glocken schrillen müssen. Doch die Stuttgarter Rechtspfleger hatten zunächst die Mahler-Aussage mit dem Hinweis auf einen „Erinnerungsvorbehalt“ heruntergespielt. Dann erwog Oberstaatsanwalt Jung, das Ermittlungsverfahren gegen den Spenden-Drahtzieher Neuhaus mit einem schlichten Strafbefehl abzuschließen. Der Vorwurf, bei Spendern und Politikern mit zweierlei Augenmaß vorzugehen, wurde mit einem Verweis auf die Verjährung abgebügelt - und das, obwohl der Ankläger Jung 1986 vor dem Parteispenden-Untersuchungsausschuß des Landtags vesicherte, die Gefahr einer Verjährung sehe er nicht.

Die SPD-Opposition, die ungehalten von einem „Justizskandal“ redet, wirft der Staatsanwaltschaft vor, das Legalitätsprinip nicht eingehalten zu haben, nachdem sie bei einem Anfangsverdacht verpflichtet sei, Ermittlungen aufzunehmen. Der SPD-Rechtspolitiker Hermann Bachmaier ließ gar dem Stuttgarter Justizminister Eyrich eine mit Kommentaren gespickte Rechtsbelehrung darüber zukommen. Die Antwort Eyrichs: die Staatsanwaltschaft habe das Nichtbestehen eines Anfangsverdachts gegen Späth „ermessensfehlerfrei festgestellt“.

Die SPD-Landtagsfraktion hat nun angekündigt, den Justizminister vor den Ständigen Ausschuß zu zitieren. Dort soll er Rechenschaft darüber ablegen, wie von der Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ranghohe Politiker wie Späth und Filbinger geprüft wurden und warum sie nicht eingeleitet worden sind.