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Rote Radler in schwarzer DDR

■ Der einst berühmte Rad- und Kraftfahrerbund „Rote Radler“, wurde nach 57 Jahren in der DDR wiedergegründet

Berlin (taz) - Geschichte ist skurril: Da muß tatsächlich erst der Sozialismus fallen, der Kapitalismus gewählt und der DDR-Sport übernommen werden, damit die „Roten Husaren des Klassenkampfes“ wieder aufs Rad steigen dürfen: Der Rad- und Kraftfahrerbund (RKB) Solidarität, 1896 in Offenbach als Arbeiter-Radfahrerbund „Solidarität“ gegründet, 1933 von den Faschisten zerschlagen und nach 1949 von Ulbricht & Honecker nicht geduldet, wurde nun in Görlitz wiederbelebt.

Überzeugt, daß sie nichts zu verlieren haben als ihr Aschenputtel-Dasein im Schatten der Medaillenproduktion, verständigten sich Radwanderer, Kunstradfahrer, Radballer und weitere Freizeitsportler über ein DDR-spezifisches Profil ihrer Organisation: Förderung des bislang von volkseigenen Trägern vernachlässigten Breitensports. Feierabendlicher Volleyball, wohngebietsnahes Tischtennis, Kegeln oder Fußball, alle Formen des Radwanderns sowie die Einzeldisziplinen des „unolympischen“ Hallenradsports sollen hier möglich werden.

Den Anfang in Form der Neugründung eines Soli-Ortsvereins haben am 6. Juli 30 Hallenradler in Weinböhla (Sachsen) gemacht. Im thüringischen Wölfertshausen war es sogar schon im Frühjahr zur Wiedergeburt der dortigen RKB-Gruppe gekommen. Heinz Baumert aus Erfurt, bisher ehrenamtlich in der Kommission Radwandern des DRSV tätig und in Görlitz zum Solidarität-Präsidenten der DDR gewählt, begründet seinen Übertritt: „Von den einseitig und unverbesserlich auf Medaillen eingestellten hauptamtlichen Funktionären hat der Volkssport nichts mehr zu erwarten.“

Offensichtlich hat er recht, denn vor kurzem hat Radsport -Präsident Wolfgang Schoppe in Frankfurt/Oder den dort durchradelnden Oder-Neiße-Friedenstouristen (siehe taz vom 9. 7. 90) den eiligen Anschluß des Fachverbandes an den Bund Deutscher Radfahrer, den bundesdeutschen Fachverband also, erläutert. Ziel: Weltgeltung der deutschen Rennpedaleure erhalten, wissenschaftliches Trainings-Know-how und zahlreiches Fachpersonal ins einige Velo-Deutschland einbringen.

In der BRD konnte die korporative Mitgliedschaft des RKB Solidarität im Deutschen Sportbund, als national gleichberechtigter Spitzenverband neben dem BDR, nach jahrelangen Boykotten und Verboten 1977 erfolgreich beim Bundesgerichtshof eingeklagt werden. Das „A“ für Arbeiter war jedoch aus dem Namen verschwunden. Zudem hatte der BDR den lukrativen Renn- und Tourensport zu diesem Zeitpunkt völlig an sich gerissen, den Genossen von Solidarität blieb der Breitensport. Dennoch steigen die Mitgliederzahlen kontinuierlich (1989: 40.000) und dürften durch den wiederbelebten DDR-Solisport weiter aufwärts tendieren.

Das Angebot besteht aus den vier Hauptsäulen Rad-, Motor-, Roll- und Freizeitsport, ergänzt durch neue populäre Teildisziplinen wie BMX und Skateboard. Die Solidaritätsjugend, als eigenständige Jugendorganisation des RKB, widmet sich u.a. der Verkehrserziehung, der kulturell -sportlichen Ausfüllung von Kinderfreizeit und dem internationalen Jugendaustausch. Ewald Schramm ist mit 89 Jahren der Älteste der in Görlitz versammelten Wiederbeleber. 75 Jahre lang ist er RKB-Mitglied. Seit seinem Eintritt in den damaligen Arbeiter-Radfahrerbund im Jahre 1915 hat er unter den Kunstradfahrern in Bertsdorf bei Zittau bis heute das Selbstverständnis der „Soli“ über mehrere Generationen wachgehalten: geselliges und solidarisches Sporttreiben.

Peter Renner

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